New UK Soul: Licht im Dunkel der Kellerclubs
Während der so genannte R’n’B in den USA immer noch unter seiner Eurodiscoisierung zu leiden hat, bringt in Großbritannien ein Crossover aus Bassmusik und Soul Licht ins Dunkel der Kellerclubs.
Ein Vergleich zwischen Ushers Song „You Make Me Wanna …“ von 1997 und seinem Nummer-1-Erfolg „DJ Got Us Falling In Love Again“ aus dem vorletzten Jahr zeigt, worauf es im modernen R’n’B ankommt. Während damals ein zurückgelehnter HipHop-Beat Ushers charmantes Gebalze in Szene setzte, kreischten 2010 die Synthesizer und Rapper Pitbull bellte dazu. Man nennt das Ibiza-House. Und man sagt, wir hätten dies dem Durchbruch von David Guetta zu verdanken.
Allerdings gibt es in den USA eine kleine, junge Splittergruppe von Künstlern, die mit verführerischer Schlafzimmer-Produktion und der LoFi-Ästhetik des Selbstgemachten versucht, wieder Sex und Seele in die Musik zu holen und damit nebenbei auch den geneigten Indie-Hörer abholt. Der Kanadier Abel Tesfaye alias The Weeknd, der seine Musik bislang nur im Internet vertreibt und verschenkt, aber auch schon einen Feature-Auftritt bei Drake vorzuweisen hat, machte uns mit Samples von Siouxsie & The Banshees und Beach House neugierig. Frank Ocean, Mitglied des anarchischen HipHop-Kollektivs Odd Future und inzwischen Duzfreund von Kanye West, Jay-Z und Chris Martin, bediente sich auf seinem 2011er-Mixtape Nostalgia, Ultra bei Radiohead und MGMT.
Doch im Mainstream-Einerlei der nach wie vor vom Eurodisco-Sound dominierten Charts können sich Künstler wie Tesfaye und Ocean bislang nicht durchsetzen. Vor allem aber sind sie noch zu schwach, um dem R’n’B wieder eine andere Wendung zu geben. Anders ist die Situation in Großbritannien, wo in den vergangenen Monaten immer mehr Musik entsteht, die nicht nur die Waage zwischen Qualität und Massentauglichkeit hält, sondern vor allem in der Lage ist, Momente zu schaffen, in denen auf der Tanzfläche sowohl die Beine zappeln als auch das Herz laut schlägt.
Will sich im Pop ein Trend durchsetzen, braucht er ein Gesicht. Das Gesicht dieses neuen Trends von der Insel ist Jessie Ware. Die 27-Jährige aus dem Süden Londons verkörpert mit ihrer soulvollen Stimme die reizvolle Anziehungskraft, die der Crossover von britischer Bassmusik und Soul in sich trägt, auf nahezu ideale Weise – und bringt genügend Potenzial mit, um sich auch über den Trend hinaus etablieren zu können. Vor allem aber können sich die Zuhörer über ihre Musik wieder an den Soul heran tasten, der in vielen modernen, eben nur noch so genannten R’n’B-Produktion nicht einmal mehr als Geisterscheinung auszumachen ist.
Mitte August wird ihr erstes Album Devotion erscheinen, aber ihre Verehrer in den Blogkammern und Magazinredaktionen flechten schon seit Monaten an ihrem Lorbeerkranz. Jessie Wares jüngste Auftritte in der Londoner Kirche The Naive und beim Hackney Weekend von BBC sorgten für großes Augenreiben. In der Suche nach Superlativen sind sich Augen- und Ohrenzeugen einig, mit Ware die neue Sade gefunden zu haben. Mit diesem Vergleich kann sie umgehen. Er macht sie sogar stolz: „Ich liebe Sade!“, sagt sie. „Sie hatte schon immer etwas Zeitloses an sich. Genauso stilvoll wie sie würde ich gerne wirken.“
In Jessie Wares Video zu der Single „Running“, gedreht von der Designerin Kate Moross, wird dieses Vorhaben besonders deutlich. Das seidige Haar hat sie streng zum Dutt gebunden, das Rot ihrer Lippen harmoniert perfekt mit den Samtvorhängen. Ihr Posing auf sündhaft teuren Ledermöbeln gelingt subtil und geschmeidig, ihr Blick findet dabei nur selten, aber sehr zielsicher den des Betrachters. Dazu singt sie mit betörender Stimme, die in den genau richtigen Momenten mit den Muskeln spielt, über einen sanften Soul-Beat, der deutlich Britbass und UK-House beleiht.
Dieser Sound findet seinen Weg aus den dunklen Clubs an das Licht einer breiteren Öffentlichkeit. Als Metapher lässt sich das auch auf den englischen (Ex-)Piratensender Rinse FM übertragen. Seit 18 Jahren ist die Station eine Instanz für alles, was Dubstep, Grime, UK-House und Drum’n’Bass angeht. Dass der Sender seit nunmehr zwei Jahren legal on air gehen darf, beschert auch Jessie Ware ein größeres Publikum. Zuvor war sie nämlich fast ausschließlich als Gästsängerin auf Tracks von Dubstep-Produzenten wie SBTRKT und Joker zu finden, konnte sich anschließend aber auch außerhalb der Szene einen Namen machen.
Unsere Galerie zeigt die wichtigsten Künstler des New UK Soul. Die vollständige Reportage findet ihr in der aktuellen Ausgabe.