Neun deutsche Gangsta-Rap-Alben, die alles verändert haben
Gangsta-Rap hat die Popkultur radikal verändert. Auch in Deutschland. Das sind die Alben des Genres, an denen kein Weg vorbeiführt.
Im superpopulären HipHop ist Gangsta-Rap die populärste aller populären Spielformen. Kein Wunder, denn der Gangster ist nicht einfach nur ein Gangster. Der Gangster ist eine Projektionsfläche. Die große Identifikationsmöglichkeit liegt im zugrundeliegenden Narrativ, das immer auch eine Aufstiegserzählung ist. Es nicht mehr bloß mit Fleiß und harter Arbeit, sondern mit allen nötigen anderen Mitteln nach oben schaffen zu wollen – das ist eine universelle Erfahrung, die nicht bloß im Berliner Wedding, sondern auch im norddeutschen Buxtehude funktioniert. Der Gangster ist das Sinnbild, die Personifikation des sozialdarwinistischen Kapitalismus, der in einer jungen Generation längst zum Ideal erhoben und schon lange nicht mehr hinterfragt wird. Diese neun Klassiker-Alben spiegeln die Evolution des Genres. Und die Geschichte des deutschen Gangsters.
Wer die Geschichte vom Aufstieg und Fall des deutschen Gangsta-Rap verstehen will, der kann sie anhand von diesen neun Alben nachvollziehen. Sie zeichnen die Evolution und die wichtigsten Stationen des Genres nach. Und sie spiegeln die Geschichte des deutschen Gangsters. Dass die Liste nicht ganz frei von unproblematischen Charakteren, dafür aber umso freier von weiblichen Protagonisten ist, liegt in der Natur der Sache. Der Erfolg des Gangsta-Rap basierte schon immer darauf, dass er Ausdruck eines wertkonservativen und neoliberalen Weltbildes war, der Gangster selber ist das Sinnbild, die Personifikation des sozialdarwinistischen Kapitalismus, der lange Zeit zum Ideal erhoben und kaum hinterfragt wurde.
Zwar gab es in der Geschichte des deutschen Gangsta-Rap auch immer wieder wichtige weibliche Protagonisten, wie Kitty Kat oder Schwesta Ewa, die als Figuren für das Genre in Summe wichtig waren, doch nie einen bleibenden Fußabdruck in Form eines Albums hinterlassen konnten. Diese Liste spiegelt also auch den Erfolg eines Genres wieder, der gerade daraus resultierte, sich als Gegenbewegung zum progressiven Pop-Mainstream zu inszenieren.
1. Bushido/Fler: CARLO COKXXX NUTTEN (2002)
Ende der 1990er-Jahre war Deutschrap im kollektiven Bewusstsein noch immer mit dem gefälligen mittelstandsgeprägten Wohlfühlrap verknüpft, der die Charts und das Radioairplay dominierte. Doch in Berlin hatte sich bereits eine vitale Undergroundszene etabliert, die viel brachialere Themen in den Fokus rückte. Mit dem Kollabo-Album „CCN“ fand diese neue Härte zu Beginn des neuen Jahrhunderts ihren ersten, formvollendeten Ausdruck. „Ich komm‘ auf die Party und mach‘ Stress ohne Grund“ heißt es auf dem Titeltrack und war fortan nicht bloß Ansage, sondern auch Paradigma einer neuen Zeitrechnung, die fortan die Freude am Pöbeln und Prollen kultivierte.
2. Bushido: VOM BORDSTEIN BIS ZUR SKYLINE (2003)
Mit „CCN“ brannte Bushido gemeinsam mit Fler die etablierten Fundamente der deutschen HipHop-Kultur bis auf ihre Grundfesten ab, mit „VBBZS“ baute er sie dann ein Jahr später im Alleingang wieder auf. Harter Straßenrap auf melancholisch, düsteren Gothik- und Elektrobeats definierten von diesem Moment an, wie deutscher Gangsta-Rap zu klingen hatte und Bushido selber wurde allerspätestens mit diesem Album zum Archetypus des migrantisch-ignoranten Underdogs, der sich von der Gesellschaft einfach nahm, was ihm seiner Meinung nach zustand. Das hatte Superstar-Potential.
3. Xatar: NR. 415 (2012)
Als Gangsta-Rap den vorläufigen Höhepunkt seiner kommerziellen Blüte erreichte und der Rest der Republik das nachahmte, was man in Berlin vorspielte, da entstand ein regelrechter Wettbewerb um die Frage, welcher Gangster mehr Gangster war. Die Musikalität rückte immer mehr in den Hintergrund, Platten verkaufte nun, wer die beste und authentischste Geschichte hatte. Den Überbietungswettbewerb in Sachen Straßenkredibilität bereitete der Bonner Rapper Xatar mit diesem Werk schließlich ein Ende, denn das hier, das war der Superlativ der Gangsta-Rap-Authentizität. Xatar hatte einen Goldtransporter überfallen, eine Millionensumme erbeutet, war über Staatsgrenzen hinweg geflohen, bis er in einem nordirakischen Folterknast landete. Als ihn deutsche Zielfahnder schließlich in ein deutsches Gefängnis überführten, ließ er sich ein Diktiergerät hineinschmuggeln und nahm in seiner Zelle das Album 415 auf. Benannt nach seiner Knastnummer. Mehr Gangsta ging nicht mehr.
4. Haftbefehl: RUSSISCH ROULETTE (2014)
Auch Haftbefehl war angetreten um die Berliner Gangsta-Rap Vormacht von Frankfurt aus zu brechen. Sein Rapstil war ungelenk, aber authentisch. Seine lyrische Brutalität entfaltete durch die völlig selbstverständliche Einbindung von Fremdwörtern eine eigene Ästhetik, die er auf RUSSISCH ROULETTE erstmals mit einer bombastischen Soundproduktion verknüpfen konnte. Das HipHop-Fachmagazin „Die Zeit“ kürte ihn darauf zu einem modernen Goethe, was er natürlich nicht war, denn der moderne Goethe wusste nicht einmal wer der klassische Goethe denn bitteschön sein sollte. Dass das deutsche Feuilleton von nun alles, was Haftbefehl machte so dermaßen überhöhte, dass er unter dem Druck der Erwartungen gar nichts mehr machte, von dem man noch etwas erwarten könnte, ist eine Geschichte. Die Straße hat er fortan verloren, das Bürgertum dafür gewonnen.
5. Kollegah: ZUHÄLTERTAPE (2005)
ZUHÄLTERTAPE war ein Game Changer. Niemals zuvor und niemals danach klang deutscher Gangsta-Rap so eloquent, niemals zuvor wurde der Inhalt so stark der Form unterworfen. „Showtime“ nannte Kollegah einen Song, den er im Laufe seiner Karriere über mehrere Teile streckte und genau das war die Essenz dieser Platte. Es ging darum, lyrische und technische Dominanz zu beweisen. Das Kollegah, bürgerlich Felix Antoine Blume, alles andere als ein Gangster war und sich gleichzeitig zu den Arbeiten an seiner Musik auch noch für ein Jura-Studium einschrieb, machte das Ganze umso spannender. Kollegah machte Gangsta-Rap zu einem technisch brillanten Hochglanz-Entertainmentpaket und befreite ihn von dem Ballast des Authentizitätshungers. Bis zu seinem Durchbruch sollte es zwar noch ein paar Jahre dauern, aber alle Grundlagen dafür, waren in seinem Erstlingswerk bereits angelegt.
6. Azet: FAST LIFE (2017)
Die KMN-Gang aus Dresden, ja, wirklich, das stimmt, aus Dresden, leitete die dritte Generation des deutschen Gangsta-Raps ein. Während Aggro Berlin um Bushido, Sido und Fler die Türen noch mit verbalaggressiver Brutalität aufstoßen und sich ihren Platz in der Musikgeschichte erkämpfen mussten, hatte es ein Kollegah mittlerweile geschafft, sämtliche Verkaufsrekorde zu brechen. Gangsta-Rap war jetzt ein Millionengeschäft und der Kulturraum Ghetto als Herkunftsort schon lange kein Makel mehr, sondern für den selbstbewussten Rapper der neuen Generation vielmehr ein Privileg. Die Stimmung im Land hatte sich entsprechend verändert. Eine neue Generation von Migranten waren mittlerweile angekommen. Ihre kulturellen Codes, ihre Sprache war zur Popkultur geworden. Eine neue Leichtigkeit zog ein und die KMN-Gang um Miami Yacine, Nash, Zuna und Azet fanden einen Sound für diese neue Stimmung. Die Lyrics waren immer noch street, der Sound aber klebrig-süß und in Autotune getränkt. Kein Wunder, dass genau diese Musik zum Soundtrack eines neuen Shishabar-Lifestyles wurde, der das Land erfassen sollte.
7. Bonez MC/RAF Camora: PALMEN AUS PLASTIK (2016)
Auch PALMEN AUS PLASTIK entstand im Rahmen der neuen musikalischen Liberalisierung des Gangsta-Rap, die das Genre von den klassischen 160bpm-Bushido-Type-Beats befreite. Während sich die KMN-Gang an einer poppigen Variante versuchte, etablierte die 187 Straßenbande aus Hamburg eine deutsche Dancehall-Variante als Soundgerüst. Nie klang das so ausgereift wie auf dem Kollaborationsalbum zwischen 187-Kopf Bonez und dem österreicher RAF Camora, der sich wohl für das visionäre Beatdesign verantwortlich zeichnete. Das Album erreichte Doppelplatin, mehrere Singles sogar Diamant.
8. Fler: VIBE (2016)
Fler gehört zu den vielleicht wahnsinnigsten, sicher aber auch zu den vielseitigsten Künstlern des Landes – ein Künstler, der nicht müde wird, sich und seinen Sound immer wieder neu zu erfinden. Mit Bushido brachte er den modernen Gangsta-Rap nach Deutschland. Mit Aggro Berlin etablierte er ihn. Mit seinem besten, aber leider schrecklich unterschätzten Album „HINTER BLAUEN AUGEN, hievte er eine massentaugliche Form des Miami-Playa-Rap in die Charts und mit BLAUES BLUT setzte er als erster etablierter Künstler auf Trap. Damals verstand das niemand. Heute macht es jeder. Fler war seiner Zeit schon häufiger voraus, mit VIBE synchronisierte er seinen Sound mit dem Zeitgeist. Trap war mittlerweile akzeptiert, auf VIBE gelang es Fler aus jedem Song einen Hit zu formen. So fokussiert und on point sollte er danach nie wieder werden.
9. Apache 207: PLATTE (2019)
Mit PLATTE beerdigt Apache den deutschen Gangsta-Rap, wie wir ihn kennen und transformiert und überführt ihn endgültig in den Pop. Apache 207 ist ein Kind der jüngeren Gangsta-Rap-Ära, die zu harter Straßenlyrik einen eingängigen, massentauglichen Sound etablierte. Apache griff diese Stilistik auf, nutzte die in der jungen Generation eingeübten Straßencodes, befreite nun aber als letzte Bastion auch die Lyrics von der ihr typisch-innewohnenden verbalaggressiven Ikonografie. Damit öffnete er das zahnlos gewordene Genre nun endgültig für das Radio und die breite Masse. Der Plan ging auf. Apache ist heute der erfolgreichste Künstler Deutschland überhaupt.