Neil Young live in Colmar


Immer noch genügend Wut und Energie, und eine Spielfreude, dass es eine Pracht ist: Neil Young beim Foire aux Vins im elsässischen Colmar, gesehen von ME-Leser Pändy.

Es ist schon amüsant, wie sich manche Begebenheiten im Leben gelegentlich wie Puzzleteile zusammenfügen, auch wenn man selbst eigentlich gar nichts dazu beigetragen hat. So fiel mir vor einigen Wochen ein Buch mit dem Titel „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ in die Hand. Ich studierte die Inhaltsangabe, überflog die erste Seite, kaufte es und las es mit viel Spaß und großem Interesse. Ein kleines Manko beim Schmökern stellte sich lediglich insofern dar, dass ich mit dem Werk dieses zweifelsohne großen Künstlers nicht besonders gut vertraut bin und dem zur Folge nur relativ wenige der im Buch zum Teil sehr ausführlich beschriebenen Songs kannte. Wenige Wochen nachdem ich die Lektüre beendet hatte, erreichte mich die E-Mail eines glühenden Neil-Young-Verehrers, der anfragte, ob ich Lust hätte, ein Konzert des Kanadiers mit den markant tönenden Stimmbändern im benachbarten Ausland zu besuchen. Ich sagte spontan zu.Die von uns souverän angesteuerte Lokalität lag am Rande eines Messegeländes. Sie war zum größten Teil überdacht und nur an den Seiten offen, so dass man schön die untergehende Sonne betrachten konnte und später dem Mond beim Beginn seiner allnächtlichen Bahn folgen konnte – falls man den Blick überhaupt von der Bühne zu lassen gewillt war. Ich fühlte mich spontan an eine Art Kolosseum erinnert. Der nette Betonklotz war ausverkauft, ich würde mal schätzen, dass etwa fünf- bis sechstausend Leute Platz fanden. Um kurz nach 21 Uhr war es dann soweit, wir waren per Baguette mit Jambon und Fromage, aber ohne Claudette und Jeannette gestärkt und hatten uns die Wartezeit mit fleißiger Konversation vertrieben, als endlich einer der wohl größten Musiker unserer Zeit samt seiner Band die Bühne betrat. Ohne Ansage oder irgendwelche Begrüßungsreden wurde das Set rockig mit „Love And Only Love“ gestartet, darauf folgte sogleich „Hey Hey, My My“, dem Song mit einer der wahrscheinlich berühmtesten Textzeilen der Rockmusik überhaupt, zu traurigem Ruhm gekommen als Abschiedsworte von Kurt Cobain. Mein in Sachen Neil Young recht fachkundiger Begleiter mutmaßte alsbald, dass dies eine echte Best-Of-Show werden könnte. Er sollte sich nicht getäuscht haben. Ich selbst kannte vielleicht die Hälfte der Songs, doch der Meister hatte wohl an alle Eventualitäten gedacht und am linken Bühnenrand nebst einer hübschen Indianerfigur eine Vorrichtung angebracht, auf die einer der Roadies zu jedem Song ein Gemälde auflegte, auf welchem der Songtitel des gerade gespielten Liedes zu lesen war. Schönes Schmankerl am Rande, wie ich meine. Und dann auch noch so herrlich unzeitgemäß!Dabei merkte man dem so genannten Godfather of Grunge sein fortgeschrittenes Alter keineswegs an, er war praktisch durchweg in Bewegung, trägt offensichtlich noch immer genügend Wut in sich, seinen Songs die nötige Energie zu verleihen und erging sich in einer Spielfreude, dass es eine wahre Pracht war. Das Set fügte sich aus drei zeitlich etwa gleichlangen Teilen zusammen: Im ersten Teil wurde gerockt, ohne die anfängliche Instrumentierung zu ändern, also mit Herrn Young an E-Gitarre und Gesang, einem seiner langjährigen Begleiter an der elektrischen Rhythmusgitarre, Schlagzeug und Bass natürlich, dazu ein gemischt-geschlechtliches Backgroundduo, dessen weiblicher Teil des Meisters Angetraute stellte. Der zu Beginn etwas dürftige Sound wurde im Lauf des Sets immer besser, lediglich Stimme und Gitarre des Bandleaders hätten für mich gerne noch einen kleinen Tick mehr zur Geltung kommen dürfen.Im zweiten Teil wurde es etwas ruhiger, die sehr gute Begleit- Band verließ zunächst die Bühne und es gab „The Needle And The Damage Done“ alleine mit akustischer Gitarre und Mundharmonika zu bestaunen, darauf folgend noch einen weiteren Song solo an der Orgel, bevor das Gefolge zurückkam, eine Pedal-Steel-Gitarre zum Einsatz kam, Klavier, Orgel, ein hübsches Instrumentenwechselspiel. Während dieses Abschnitts wurde unter anderem gar „Heart Of Gold“ dargeboten, was selbst meinen Begleiter überraschte. Mir bekannte Songs in diesem sozusagen Mittelteil des Auftritts waren noch „Old Man“, „Cinnamon Girl“ und „Oh, Lonesome Me“. Zwischendurch gab es die eine oder andere kurze Ansprache ans Publikum, zum Beispiel ein paar Worte über den Mond, den der gute Neil wohl hinter dem Publikum im Blick hatte, woraufhin er diese schöne Nacht „under a French moon“ lobte und uns nebenbei erklärte, dass der Mond überall in der Welt anders aussähe, hier und heute aber besonders schön sei. Nach einiger Zeit und einigen Songs gab der Chef die akustische Gitarre wieder ab und es wurde erneut gerockt.Mein Zeitgefühl hatte sich längst in die Nacht hinaus verabschiedet, während das Set unweigerlich auf seinen Höhepunkt zusteuerte, der in einer Wahnsinnsversion von „Cowgirl In The Sand“ mündete, in welchem der Meister ausgiebig sämtliche Register seiner Saitenkünste zog und meinetwegen bis zum nächsten Morgen hätte weitermachen dürfen. Und damit nicht genug, schloss daran als letzter Song „Rockin´ In The Free World an“, spätestens jetzt dürfte auch der letzte Sitzplatzhörer aufgestanden sein, um die freie Welt auch standesgemäß zu rocken. Mittlerweile waren uns bereits über zwei Stunden ohne Pause mit erstklassiger Musik versüßt worden, die Musiker verabschiedeten sich, um kurz darauf für einen einzigen Zugabensong zurück zu kommen, ein Cover eines Lennon-Songs, an dessen Schluss die alte Gibson von ihrem Herrn so dermaßen bearbeitet wurde, bis er ihr sämtliche Saiten von Hals und Körper gerissen hatte und nach einhundertvierzig sehr beeindruckenden Minuten das Konzert in einer wahren Feedbackorgie seinen Abschluss fand.Ein großartiges Ende eines großartigen Auftritts eines großartigen Musikers!In diesem Sinne: Keep on rockin´ in the free World!

Pändy – 25.08.2008