Nach der Rechts-Wahl: Was jetzt zu tun ist
We have 99 Problems, but AfD ain’t one? Doch. Denn der Rechtsruck ist aber kein ostdeutsches Problem.
Die Ossis haben gewählt. Zuallererst: Nicht der Osten hat gewählt, sondern Sachsen und Thüringen haben ihre Landtage gewählt. Der Befund vieler: War ja klar, der Osten ist eben rechts. Doch was bringt es uns, ganze Landstriche wie das Erzgebirge, Nordsachsen, die Lausitz oder andere einfach pauschal abzustempeln? Ja, sicher, ihr würdet da nicht hinziehen. Vielleicht habt ihr auch mal gesagt, dass man die coolen Leute dort einfach rausholen könnte. Aber wem außer eurem eigenen Distinktionsbedürfnis ist damit geholfen? Ja, wir haben es verstanden: Ihr seid nicht rechts, ihr habt in den links-liberalen Stadtteilen „Nazis essen heimlich Döner“-Schilder hochgehalten und „Katzis gegen Nazis“ gerufen, als Nazis im Brandenburgischen die Neuordnung Deutschlands forderten. Das war ein Anfang, aber im Kampf gegen regressive Tendenzen, Fortschrittsfeindlichkeit und antidemokratische Strömungen braucht es mehr als ein paar selbstvergewissernde, bequeme Demos.
Und klar, das ist alles schrecklich, vor allem schrecklich ermüdend, zeitraubend, auslaugend. Man kennt es: Wir haben alle schon mal eine Demo-Gruppe bei Telegram gemutet, waren richtig abgefuckt von einer Aktionsform, haben gesagt „bis nächste Woche“ und uns dann nie wieder dort blicken lassen. Wir hatten keinen Bock auf „die Diskussion wieder“ und konnten das alles nicht mit Job, Familie und Alltag unter einen Hut bringen. We have 99 Problems, but AfD ain’t one? Doch. Denn der Rechtsruck ist kein ostdeutsches Problem. Das hat Sylt gezeigt, das zeigt das Vorgehen rechtsextremer Gruppen nach dem islamistischen Anschlag von Solingen.
Unter dem Motto und mit dem Gefühl „Wir sind mehr!“ ist es leicht, sich selbst zu versichern, dass der Kampf gegen Rechte einfach ist. Aber es gibt eben Orte, die längst wieder von rechter Hegemonie dominiert werden. Dort kommt die AfD auf fast 50 Prozent, Freie Sachsen erreichen bei den Kommunalwahlen 15 Prozent. Dort reichen die Baseballschlägerjahre bis weit in die 2000er-Jahre hinein und sind genau genommen nie richtig zu Ende gegangen. Infantil-witzige Schilder basteln in den urbanen Zentren wird hier im Kampf gegen rechts eben nicht reichen. Es braucht nachhaltige Aktionsformen vor Ort, die in der Lage sind, Demokratieprojekte dauerhaft zu stützen. Es braucht Anlaufstellen für Jugendliche, die den Rechtsruck in den Schulen, den Sportvereinen, in den eigenen Familien nicht einfach hinnehmen wollen, echte Solidarität, dauerhaftes Engagement vor Ort.
Die kann man nicht einfach da rausholen, da gibt es welche, die wollen da nicht weg. Die wollen nicht, dass der Ort, an dem sie geboren wurden oder aufgewachsen sind, den Rechten überlassen wird. Sie fürchten um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Freund:innen. Denen bringt es auch wenig, wenn man ihnen aus Berlin zuruft: „Jo, komm rum, wenn was ist“ und nett winkt. Wenn ich auf mein 19-jähriges Ich zurückblicke, dann würde es zurückrufen: „Ich brauch keinen Urlaub, ich brauch Solidarität und Leute, die gegen Rechts wirklich anpacken.“
Ebenso wenig bringt es jungen Menschen in Sachsen etwas, wenn Medien im Zuge selektiver Aufmerksamkeit nur dann auf den Osten blicken, wenn der Rechtsruck anhand von Wahlergebnissen besonders plastisch wird. Sechs Wochen vor den Landtagswahlen interessierte sich plötzlich jedes große deutsche Medium für den Osten. Fraglich bleibt: Sind diese Medien auch dann noch aufmerksam, wenn die neue Exotisierung des Ostens kein einträgliches Sommerlochthema mehr ist, wenn rechte Landnahme und Gewalt in Zukunft noch stärker werden?
Die Mediatheken sind voll mit Dokus aus der ostdeutschen Peripherie, wo rechte Jugendliche, oft Jungs oder junge Männer, neben ihren Simson-Mopeds über Perspektivlosigkeit sprechen. Bei Instagram hält Aspekte-Moderator Jo Schück sein Gesicht in die Kamera und erklärt bedeutungsschwer, dass junge Männer in Eberswalde, die er gesprochen habe – ebenfalls auf der Simson unterwegs –, einfach nur das Wahlprogramm der AfD nicht gelesen hätten, gar nicht sagen könnten, warum sie rechts seien, ihnen einfach nur niemand zuhöre. Ist das nicht zu wenig? Warum betreiben Medien hier keine Analyse der Hegemonieansprüche und Marginalisierungswahrnehmungen in männlich dominierten, rechtsextrem orientierten Jugendszenen, anstatt einfach nur zu behaupten, viele seien eher versehentlich AfD-Wähler:innen? Warum stellen Medien lieber den rechten Proto-Ossi zur Schau, fragen, ob nicht nur politisch, sondern auch habituell wieder die 90er zurück sind, bemühen
unnötig alte Ossi-Klischees, anstatt einen Blick auf jene zu werfen, die vor Ort seit Jahren gegen rechte Hegemonieansprüche kämpfen, die Orte wie das Jugendhaus Roßwein, das Döbelner Treibhaus oder das Netzwerk Polylux am Leben erhalten? Warum kommen im medialen Narrativ des Ostens oft nur diejenigen vor, die sinnbildlich für den abgehängten rechten Osten stehen, und nicht so oft diejenigen, die sich dort seit vielen Jahren widerständig zeigen?
Zeit zu resignieren? Nach der Wahl hängen lassen? Fenster zu? Decke über den Kopf, schön biedermeiern und Rückzug ins Private, denn jetzt ist eh alles verloren? ZEIT-Abo kündigen? Nein. Denn jetzt geht es eigentlich erst richtig los. Jetzt beginnen die Koalitionsverhandlungen, jetzt kann eine CDU noch einmal an ihre vielbeschworene Brandmauer erinnern. And that’s low effort, kids: Geht auf die Straße, schreibt Abgeordneten und designierten Abgeordneten, macht sichtbar, dass Zusammenarbeit mit einer Partei, die offen rechtsextrem auftritt, keine Option ist. Gebt die Euros, die ihr auf Tasche habt, den Demokratie- und Kulturprojekten, die mehr bedroht sind denn je. Denn diese sind eben nicht einfach nur Orte, wo alle paar Wochen mal in Punk-Konzert stattfindet. Es sind Orte, wo Menschen Zuflucht und Halt finden, die sich nicht mit Rechtsruck abfinden wollen, die physisch und psychisch von ihm betroffen sind. Geht nicht nur heute, morgen und übermorgen demonstrieren, sondern auch noch nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr.