My Definition of Punk


Mit weniger Wut im Bauch entdecken Social Distortion das Keyboard und den Blues zur friedlichen Neuerfindung.

Der Hund lebt, Frau und Kinder sind wohlauf und auch im Job könnte es nicht besser laufen. Dennoch hat Mike Ness den Blues entdeckt. Und daran sind diesmal nicht die Frauen schuld. Obwohl sie nun in Form von Frauenchören erstmals beteiligt sind. Was durchaus bemerkenswert ist, denn Frauen waren bislang nur Zaungäste bei der Punkrock-Institution Social Distortion. Seit 33 Jahren zelebrieren Mike Ness & Co. Hymnen für Loser. Songs, die wahren Heerscharen von Nicht-Privilegierten das Lebensgefühl vermitteln, dass es auch abseits bürgerlicher Konvention zu Erfüllung, Glück und Selbstbestimmung kommen kann. Verpackt in einen Sound, der die Sorgen des Alltags durch seine schiere Energie pulverisiert und vergessen lässt. Doch plötzlich fängt diese Energie an zu pfeifen.

Denn weiblicher Gesang ist nicht das einzige Novum, das Mike Ness auf dem siebten Album Hard Times And Nursery Rhymes präsentiert. Harte Zeiten vor allem für die Fans? „Ich bin überzeugt, dass mich unsere Fans verstehen. Denn ein Punkrock-Album kann ich zu jeder Zeit aufnehmen. Aber sich neuen Herausforderungen zu stellen, ist ebenso wichtig, wie authentisch zu bleiben“, sagt der Kopf der Band. „Sich weiter zu entwickeln, ist immer meine Maxime gewesen.“ Bereits beim zweiten Song sei ihm klar gewesen, dass dieses Album kein weiteres „typisches“ Social-Distortion-Album werden würde. „Natürlich machen wir keine Musik bar unserer Einflussliste – Ramones, Rolling Stones und Country -, aber wir wollten anders an die Songs heran gehen, unseren Sound verändern. Deshalb auch das Keyboard.“ Keyboard und Punkrock, das ist wie Windeln im Alter. Man will sie nicht, gesteht sich aber irgendwann selbst ein, dass man sie nutzen sollte, weil man es nicht einfach so laufen lassen kann. „Es wurde Zeit, Songs aufzunehmen, die unsere Shows abwechslungsreicher gestalten. Von diesen „Eins-zwei-drei-vier“-Nummern haben wir mehr als genug. Das neue Album hat extrem viel 70er-Groove, Tom Petty und Johnny Thunders. Der ist mehr Punkrock als irgendjemand sonst, obwohl seine Musik aus bluesbasiertem Rock’n’Roll bestand.“

Social Distortion scheinen den Punkrock im Wifebeater-Outfit der 80er- und 90er-Jahre hinter sich gelassen zu haben. Dafür sprechen nicht nur Keyboards und Frauenchor, sondern auch die wochenlange Präsenz von Mike Ness auf „Meat’s Not Green“-Plakaten der PETA. „Man verliert seine Glaubwürdigkeit, wenn man über Dinge schreibt, von denen man nichts versteht. Und Social Distortion standen immer für Authentizität. Ich war nie gut darin, politische Texte zu verfassen. Joe Strummer hatte eine starke globale Botschaft. Ich habe private Botschaften. Seit ich eine Familie habe, weiß ich, dass die Liebe die stärkste Kraft des Universums ist. Ich bin älter und klüger, meine Wut ist kleiner geworden. Das alles sind Zutaten, die man nicht oft dem Punkrock zuordnet. Doch es ist meine Definition von Punkrock.“