Mousse T. im Interview: „Diese Magie bekommst du alleine gar nicht hin“


Mousse T.über Remixkultur, seine Karriere als Produzent und warum er einst „Nein“ zu Daft Punk sagte.

Er ist einer der bekanntesten Produzenten Deutschlands, feierte mit den Songs „Horny ’98“ (1998) und mit dem von ihm geschriebenen und produzierten Tom-Jones-Song „Sexbomb“ (1999) Welterfolge. Aber Mousse T. (mit bürgerlichem Namen: Mustafa Gündoğdu) war schon Jahre davor ein bekannter Name in der Musikszene– wenn auch eher hinter den Kulissen. Er machte sich einen Namen als Remixer, arbeitete für Michael Jackson, Quincy Jones, Missy Elliott und eine große Reihe von weiteren internationalen Superstars. Sein neuester Streich: Zwei Remixes für die junge Künstlerin Becks. Im Rahmen von NEX STAGE by glo holte das Produzenten-Ass seine junge Kollegin ins Studio, um an zwei neuen Version ihres Songs KLIPPE AUS GEFÜHLEN zu arbeiten. Neben dem „Mousse T’s Main Mix“ entstand so auch ein weiterer Remix, der „OG Mood Mix“. Wir baten Mousse T. zum ausführlichen Gespräch über seine Karriere, Remix-Kultur, seine Zusammenarbeit mit Becks – und erfuhren einige spannende Anekdoten. Etwa, warum Mousse T. einmal einen Auftrag von Daft Punk ablehnte.

Bevor du Ende der 1990er-Jahre zum international erfolgreichen Produzenten wurdest, warst du bereits ein gefragter Remixer. Du hast für viele Superstars Remixe kreiert – ich denke da etwa an deinen 1997er-Remix von Michael Jacksons GHOSTS, aber auch an deine Arbeiten für Künstler:innen wie Missy Elliott, Quincy Jones und viele andere. Kannst du mal den Weg dorthin beschreiben?

Natürlich brauchst du als Voraussetzung erstmal den Spaß an der Sache – den habe ich immer gehabt. Mein Weg wäre ja eigentlich anders vorgezeichnet gewesen: Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, hätte ich Mediziner werden sollen. Ich habe während meiner Studienzeit mit dem DJing angefangen, hatte ein Keyboard zu Hause und habe im Heimstudio erste Sachen produziert. Schon damals hatte ich Kontakte zu Plattenfirmen. Denn du kannst noch so gut sein – wenn die Leute nichts von dir wissen, bringt das ja keinem etwas. Ich hatte immer Bekannte, die gesagt haben: „Ey, hier hast du mal ein Stück Musik, mach doch mal was Eigenes daraus.“

Anfang der 90er ging das mit der Remix-Kultur los. Das war wirklich ein ganz neues Ding. Die Aufgabe war im Prinzip, die Hörerschaft zu erweitern. Ich sage mal ganz überspitzt: Wenn du einen Scorpions-Song hast, der eine Pop-Rock-Ballade ist, willst du mit einem Remix versuchen, die Hörerschaft zu erweitern – zum Beispiel durch eine Dance-Version, eine Reggae-Version oder eine Radioversion.

Ich habe mir relativ schnell einen Namen aufgebaut, weil ich es irgendwie immer groovy hinbekommen habe. Es war mir auch relativ egal, ob es Reggae, Pop, Rock oder was anderes war. Ich habe damals den erfolgreichsten Radio-Hit von Fury in the Slaughterhouse mit „Radio Orchid“ gemacht – das war mein Remix. Das war für mich eine tolle Sache, aber auch für meine hannoveranischen Freunde. Im Prinzip war ich genremäßig relativ offen.

Dann macht man sich irgendwann einen Namen in der Industrie. Die Leute sagen: „Okay, der kann mit einem Song umgehen, der macht das respektvoll.“ Und irgendwann kriegst du dann auch immer größere Namen zugeschanzt. Bei mir hat das dann letztendlich 1998 in der Grammy-Nominierung gemündet. Die Kategorie „Remix“ wurde damals das erste Mal ausgelobt. Das war dann quasi der erste Riesen-Peak.

Ein Remix ist eine ganz eigene Kunstform. Würdest du sagen, das Remixen hat auch sozusagen deinen Produzentenmuskel trainiert?

Eine sehr gute Frage. Die Remix-Kultur kommt ja im Prinzip aus den End-70ern, als in New York die Disco-Welle losging. Im Club hat man geschaut: „Okay, jetzt habe ich hier zwar eine Platte, aber ich würde gerne gucken, dass man vielleicht nur mal die Vocals abspieltoder das über irgendwas anderes legt.“

Das hast du teilweise mit DJ-Kultur hingekriegt, teilweise aber auch nicht. Dann hast du dir die Bänder kommen lassen, damals die 24-Spur-Bänder, und die Jungs im Tonstudio haben dann wirklich geremixed – im Sinne von: „Wir gucken mal, welchen Teil wir benutzen, wo wir die Stimme lauter machen.“ Da ging es dann ums Neuarrangieren.

Das wurde irgendwann so kultiviert, dass du quasi neu komponiert hast, wenn du einen Remix gemacht hast. Du hast neu produziert. Meistens habe ich immer nur die Stimme des Künstlers oder der Künstlerin benutzt und komplett ein neues Gewand drumherum gebaut – ob das eine coole R&B-Version war oder eine Dance-Version.

Wieviel kreative Freiheit geben einem bekannte Künstler:innen beim Remixen?

Mittlerweile habe ich natürlich eine große kreative Freiheit. Heutzutage rufen die Leute an und sagen: „Wir wollen deinen Sound.“ Aber selbstverständlich hat der Künstler immer ein Vetorecht.  Manchmal müssen sich Künstler einfach an ihr eigenes Lied neu gewöhnen. Bei „Radio Orchid“ zum Beispiel – ich habe den Remix gemacht, den Jungs vorgespielt, und das klang ja so anders als das Original. Der Leadsänger, Kai Wingenfelder, ist mit hochrotem Kopf aus dem Studio gelaufen, hat sich erstmal eine halbe Stunde beruhigt, kam rein und meinte so: „Ja, klingt ja doch nicht so schlecht.“ Im Prinzip wollen die Künstler letztendlich schon, dass du deinen Stempel und deinen Sound reinbringst.

Mousse T. und Becks bei der Arbeit

Bei deinen beiden Remixen für Becks und ihren Song KLIPPE AUS GEFÜHLEN war die Künstlerin ja bei dir im Studio – ich nehme an, das ist nicht die übliche Arbeitsweise für Remixes.

Genau, beim Remixen ist die Ansage tatsächlich oft so: „Pass mal auf, hier hast du die Spuren, mach dein Ding.“ Mittlerweile hat man ja auch ein bisschen Vertrauensvorschuss, und die Leute wissen, dass das Konzept passt. Hier bei Becks war der Ansatz anders. Wir haben gesagt: „Wir wollen uns kreativ beschnuppern und mal gucken, was geht.“

David Morales ist ein gutes Beispiel. Wenn der jemanden wie Mariah Carey remixt hat, dann war er der Erste, der auch etabliert hat zu sagen: „Pass mal auf, liebe Mariah, komm nochmal ins Studio. Ich hab noch eine extra Idee.“ Dadurch wird ein Remix nochmal speziell. Du hast dann wirklich einen USP, den du dir erarbeitest, und die Leute sagen dann nicht: „Oh, das klingt ja wie das Original mit neuen Beats.“

Unser Ansatz mit Becks war ähnlich. Ich war extrem geflasht von dem Song, weil er schon so eine Dance-DNA mitbringt, durch diesen 125-bpm-Groove, aber im Prinzip auch so eine Balladen-Attitüde hatte. Das Original hat bei mir sofort eine kreative Idee ausgelöst. Wir haben neue Chöre aufgenommen, die ich dann in meinem Remix verwendet habe.

Ich wusste aber auch: Ich will einen Remix machen, der das Original enhanced, also mit meinen Kniffen anders darstellt, aber trotzdem nah am Original ist. Gleichzeitig wollte ich auch eine alternative Version, die ein bisschen freier ist.

Beim „Main Mix“ habt ihr am Anfang ja so eine aus Vokalen bestehende kurze Hook mitreingenommen, die eigentlich bereits die Hookline ist. Diese ist im Original-Song nicht vorhanden.

Genau. Wir wissen ja alle, dass die 90er massiv zurück sind. Da wollte ich gucken, dass man das Ding auch ein bisschen 90er-mäßig macht und vielleicht auch harmonisch nochmal anders darbietet. Das war für mich eine Spielwiese, weil ich ja alle Stimmen von Becks da hatte. Da kannst du mit dem Computer leicht zerhacken und die Sachen neu einspielen. Das war das Konzept: mit einem neuen Groove und neuen Harmonien.

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Der „OG Mood Mix“ ist also der, der näher am Original war?

Genau. Da sind auch ganz neue Elemente drin, die wir quasi neu erarbeitet haben. Dadurch, glaube ich, hat Becks mir vertraut, zu sagen: „Ey, komm, biete auch nochmal eine andere Version an.“

Die Essenz des Songs war für dich dann sozusagen das atmosphärische, getragene Element, das aber auch bereits diese Dance-BPM-DNA in sich hat? Kann man das so sagen?

Das kann man so sagen, ja. Und das ist auch, glaub ich, das, was mich so fasziniert hat. Du hast ja trotzdem dieses Dance-Ding drin gehabt, auch im Original. Trotzdem klingt die Stimme, die ja so eine ganz eigene Ästhetik hat, balladesk. Das war dann im „Main Mix“ – also in diesem 90er-Ding-Mix – auch gar nicht so einfach hinzubekommen. Mit dieser ätherischen Stimme, ohne dass es lächerlich wird, wenn du jetzt einen Dance-Speed runterballerst. Das ist dann so eine Kunst. Das ist uns, glaube ich, ganz elegant gelungen. Du hast dann trotzdem eine Version, die auf dem Dancefloor funktioniert – aber mit dieser elfenhaften Stimme.

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Wie kam es überhaupt zu dieser Zusammenarbeit?

Das ist eine schöne Sache. Für mich sind Kunst und Mäzenatentum ganz wichtig. NEX STAGE von Glo hat das toll kultiviert, indem man dort jungen Künstlern die Möglichkeit gibt, sich voll auf ihre Kunst zu konzentrieren, ohne dass sie sich Sorgen um ihre Miete machen müssen.

Mein Beispiel ist Michelangelo: Der wäre nicht der, den wir heute kennen, hätte er nicht durch die italienische Kirche die Zeit und Mittel gehabt, den Dom von Florenz zu bemalen. Kunst und Mäzenatentum – oder heute vielleicht Corporate Jobs – sind ganz nah beieinander und mittlerweile unerlässlich. Die Mechanismen haben sich geändert. Du kannst mit einem Namen durch Live-Musik Geld verdienen, aber die Musikindustrie selbst ist ein hartes Boot.

Du hattest deinen ersten großen Welthit Ende der 1990er-Jahre mit „Horny“, dann mit Tom Jones und „Sexbomb“. Du hast diesen kompletten Shift in der Industrie, der ja dazu geführt hat, dass das Mäzenatentum so wichtig wurde, ja aus nächster Nähe gesehen.

Wahrscheinlich ja. Obwohl, bei Mäzenatentum – das muss man nicht immer mit schnödem Mammon gleichsetzen. Das ist ja auch der Fall, wenn du mit Infrastruktur oder Netzwerk hilfst. Wir machen das zum Beispiel so: Ich kann jetzt nicht jedem Künstler eine Million auf den Tisch legen, aber ich sage: „Ey, komm. Prinzip der offenen Tür. Geht ins Studio, macht mal, spielt mal vor.“

Im Prinzip habe ich natürlich genau diesen Übergang mitbekommen. Bei „Horny“ gab es noch physische Platten, die tatsächlich entweder auf CD verkauft wurden oder auch auf Vinyl. „Horny“ haben wir, keine Ahnung, 120.000 Vinyls gemacht – selber, auf dem eigenen Label. Das war ein massiver Umsatz. So etwas hast du heute in dem Maße gar nicht mehr. Aber auch da: Es gibt immer den 360-Grad-Kuchen, und die einzelnen Tortenschnitte verschieben sich halt. Im Moment ist es so, dass der Live-Income oder vielleicht sogar Income mit Corporate Jobs einfach den größeren Teil ausmacht. Wer weiß, was in Zukunft passiert.

NEX STAGE by glo
NEX STAGE by glo