Konzertbericht

Morrissey in Berlin: Moz für Fortgeschrittene


Am 16. August 2016 spielte Morrissey eine „exklusive Sommershow“ im Berliner Tempodrom. Sonderlich sommerlich ging es jedoch nicht zu.

Morrissey ist einer vom alten Künstler-Schlag. Ein Musiker, der einen Plattenvertrag für notwendig ansieht, um Musik veröffentlichen zu können. Nun gut, mit dieser Ansicht mag er mehr oder weniger gebrochen haben, dennoch wünscht sich der auch schon 57-Jährige mehr Anerkennung für seine Kunst. Die bekommt er am heutigen Abend mit offenen Armen entgegengeschleudert. Das bis auf den letzten Platz gefüllte Tempodrom wiegt sich vor Aufregung von links nach rechts, als nach einem halbstündigen Videoschnipselzusammenschnitt der Vorhang fällt und „Suedehead“ mit all seiner Schönheit durch die Halle strömt.

Morrissey wirkt sehr gut bei Stimme. Er intoniert jeden einzelnen Songs mit der von ihm bekannten und erwünschten Grandezza und kann so auf die ganz großen Gesten verzichten. Man möchte nicht zu viel in seine Krankheit hineininterpretieren, aber es gibt die Anzeichen für seinen Kampf gegen den Krebs: Ein flächendeckendes Pflaster auf der Brust, immer wieder hustet er in seine Armbeuge, mit schwungvollen Bewegungen geht der Grandseigneur des Weltschmerzes sparsam um. Sein bekanntes Kabelgepeitsche scheint er wahllos und pflichtbewusst einzustreuen. Vorranig umklammert er den Mikroständer und steht da wie eine griechische Statue. Zu Füßen, seine treue Gefolgschaft, der er vor „You Have Killed Me“ schwört, ihr bis zu seinem allerletzten Augenblick zu gehören.

Dabei macht es „Moz“ seinem Publikum an diesem Abend gar nicht so einfach. Es ist eine unbequeme Setlist, die er sich zurechtgelegt hat. Eine Vielzahl düsterer, aber dennoch aggressiver Songs prägen die Atmosphäre. Selbst ein im Sound so aufmunternd wirkender Song wie „I’m Throwing My Arms Around Paris“ ist ja schließlich von tieftrauriger Natur. „Everyday Is Like Sunday“ ist eines der wenigen Lieder, das die komplette Menge mitzureißen weiß. Ab und an wünscht man sich zum Anfang und zu „Suedehead“ zurück. Lieder wie „Jack The Ripper“ und „I Will See You In Far-Off Places“ sorgen dafür, dass es ein Morrissey-Erlebnis für Fortgeschrittene wird. Schaut man sich um, erblickt man das ein oder andere fragende Gesicht, wo denn „How Soon Is Now“ sei. Schließlich spielte er den Smiths-Hit 2014 in der Columbiahalle noch mit sichtlichem Genuss.

Es wirkt, als wolle Morrissey das Kapitel The Smiths so kurz wie möglich halten. Natürlich ist es, im Vergleich zu seiner knapp 30 Jahre andauernden Solokarriere, nur ein dünnes, dafür aber extrem einflussreiches Kapitel. Neben dem obligatorischen „Meat Is Murder“ können sich Liebhaber von Morrisseys ehemaliger Band nur über das selten gespielte „What She Said“ freuen.

Es ist ein komischer Besuch bei Morrissey. Nicht nur wegen der Musikauswahl, sondern auch, weil er weiterhin ein Meister der visuellen Einschüchterung ist. Zu „Ganglords“ laufen im Hintergrund Videos, die brutale Polizeiwillkür zeigen, bei „Meat Is Murder“ die seit jeher bekannten Schlachthausszenen. Einzelne Personen müssen tatsächlich mit Heulkrämpfen und Würgereflexen dem Inneren der Manege entweichen. Doch „Moz“ gibt den unnachgiebigen Zampano, drückt seine Schadenfreude über einen getöteten Torero mit höhnischem Gelächter aus und vergleicht Tony Blair, Margaret Thatcher und George W. Bush mit einem gewissen Adolf H.. Dieses Schauspiel ist zugleich radikal, ehrlich und bekannt, aber auch traurig. Morrissey kennt nur die Brechstange.

Das Ende eines dennoch sehr guten Konzertes, schließlich sprechen wir hier immer noch über einen der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts, kommt dann: abrupt, ansatzlos, im ersten Moment besorgniserregend. Gerade noch schüttelte er zu den letzten Klängen von „Irish Blood, English Heart“ die Hände der ersten Reihe, als er von Bodyguards eskortiert ins Backstage flüchtet. Die Band lässt noch im Dunkeln alles Stehen und liegen, bevor das Saallicht anspringt, Musik vom Band die Besucher aus dem 100-minütigen Rausch reißt und sie in das nassgraue Schmuddelwetter entlässt, das Berlin „Sommer“ nennt.