Mon Cherry
Wenn einer Cherry heißt und aus einer berühmten Musikerfamilie stammt, öffnen sich einige Türen etwas eher. Doch Eagle-Eye Cherry schaffte es auch ohne Vater Don und Schwester Neneh.
I’m an old man“, meint Eagle-Eye Cherry und grinst. Na gut, ganz frisch ist man mit 30 nicht mehr, ein alter Knacker aber nun auch wieder nicht. Daß Eagle-Eye sein erstes Album vergleichsweise spät herausbringt, hat naheliegende Gründe: „Meine Familie ist nun mal sehr bekannt im Musikgeschäft. Und weil ich miterlebe, wie schwer es ist, sich durchzusetzen, hatte ich lange das Gefühl, noch nicht soweit zu sein. Außerdem ist im Musikgeschäft der erste Eindruck sehr entscheidend. Also sollte man dafür sorgen,daß man sich so präsentiert, wie man selbst es will.“
Vater Don Cherry, der legendäre Jazz-Trompeter, und Schwester Neneh, seit Jahren Sängerin mit Starstatus: da liegt die Latte für Eagle-Eye zwangsläufig sehr hoch. Das weiß der Mann natürlich. Allerdings standen auch bei ihm die Zeichen von Anfang an in Richtung einer musikalischen Laufbahn:“Mein Vater setzte mich so früh wie möglich ans Schlagzeug-schon mit drei. Ich erinnere mich, wie ich als kleines Kind versuchte, ans Becken zu reichen. Ich hab’s nicht geschafft und fiel vom Stuhl. Vor kurzem sah ich eine Dokumentation über meinen Vater. Und da waren auch ein paar Szenen dabei, in denen ich Schlagzeug spiele. Da war ich neun. Als ich das sah, dachte ich, ‚gar nicht so schlecht für einen Neunjährigen‘.“
Trotzdem trat die Musik für den Teenager Eagle-Eye erst mal in den Hintergrund, denn als seine Familie Ende der 70er Jahre nach New York zog, blieb das Schlagzeug in Südschweden, dem vorhergehenden Wohnort der Cherrys, zurück. Eagle-Eye störte das nicht weiter, denn an der amerikanischen High School entdeckte er seine zweite Leidenschaft: die Schauspielerei. Außerdem blieb die Musik im Hause Cherry natürlich ständig präsent. Und wenn Vater Don mal nicht auf Tournee war, besuchte er mit seinem Sohn die wichtigsten Konzerte: „Eines davon werde ich nie vergessen. Wir saßen im Madison Square Garden, und plötzlich sagte mein Vater,’wir gehen jetzt‘. Ich war völlig perplex und meinte noch, die Musik sei doch großartig. Aber jeglicher Widerspruch war aussichtslos. Am nächsten Tag dann besuchte uns der Jazzpianist Dollar Ibrahim und erzählte erschüttert, daß bei besagtem Konzert am Abend zuvor ein Typ ausgerastet sei und einem anderen ein Messer in den Hals gerammt habe. Mein Vater sagte bloß/ich hab’s geahnt‘. Er hatte wirklich einen siebten Sinn.“
Eagle-Eyes Daddy Don (starb im Oktober 1995 im Alter von 58 Jahren an Leberversagen) war aber nicht nur für den Schutz seines Sprößlings, sondern auch für dessen eher ungewöhnlichen Vornamen verantwortlich:“Als ich geboren wurde, war mein Vater wieder mal auf Tournee. Als er drei, vier Tage später nach Hause kam, machte ich gerade ein Nickerchen. Als er ins Zimmer kam, wachte ich auf und habe ihn – so gut es ging – angeguckt. Darauf mein Vater:’Oh, ein Adlerauge‘.“
Jahre später, nachdem „Adlerauge“ das Studium an der renommierten New Yorker School For Performing Arts beendet hatte, bekam er bald seine ersten Jobs: „Schauspielern ist großartig und macht Spaß, weil man seine Kindheit ein bißchen verlängern kann. In New York spielte ich Theater und bekam ein paar Jobs als Model. Außerdem machte ich in ein paar Fernsehserien mit. Die sind aber in Europa nicht so bekannt. Die einzige Serie, die die Leute auch hier kennen, ist die Bill Cosby-Show. Aber darin war ich ein paar Folgen lang nur in einer Nebenrolle zu sehen.“
In New York lernte Eagle-Eye seine Freundin kennen, die schwedische Schauspielerin Helena af Sandeberg. Vor drei Jahren beschloß das Paar nach langen Diskussionen, nach Schweden zurückzukehren:“lch hatte mich innerlich bereits für die Musik entschieden“, berichtet Eagle-Eye rückblickend,“ich fühlte, daß ich in New York zu vielen Ablenkungen ausgesetzt war. Zum Songschreiben brauche ich aber absolute Ruhe. Und die fand ich in Schweden. Außerdem machte mich Amerika nach fünfzehn Jahren irgendwie krank. Es gab keinen Tag ohne den O.J. Simpson-Prozeß. Dann passierte der Bombenanschlag von Oklahoma. Kurzum, ich hatte die Nase gestrichen voll.“
Die Rückkehr nach Schweden war für Eagle-Eye und seine Freundin nicht ohne Risiko. Keiner der beiden hatte irgendeinen Job in Aussicht. Inzwischen jedoch hat sich das Blatt gewendet. Helena hat sich einen Namen als Schauspielerin gemacht, und Eagle-Eye macht von Stockholm aus als Songschreiber und Sänger Karriere. Sein Debütalbum „Desireless“, das Ende 1997 von einer kleinen schwedischen Plattenfirma veröffentlicht wurde, setzte sich im Handumdrehen in den örtlichen Charts fest, und die bittersüße Single“SaveTonight“ entwickelte sich zum Hit in ganz Skandinavien. Und nun,ja nun ist auch der Rest Europas von „SaveTonight“ infiziert, von einem Ohrwurm, der sich hartnäckig im Gehörgang festsetzt und dort wohl auch noch einige Zeit verweilen wird. Doch was, so fragt man sich, ist an diesem Song eigentlich so speziell, so anders, daß es ihn zum Hit macht. Sein Schöpfer, so scheint’s, kennt die Antwort: „In ‚Save Tonight‘ geht’s um das Thema Trennung. Ich habe eine Freundin, die ich oft allein lassen muß. Ich hatte einen Vater, der mich oft allein lassen mußte. Ich weiß also, was Trennung ist und wie schwer sie einem fallen kann.“
In „Worried Eyes“, einem anderen Song aus „Desireless“, geht es um das gleiche Thema. Zudem ist „Worried Eyes“das einzige Duett auf Eagle-Eyes Debütalbum. Gesungen allerdings nicht mit Neneh, sondern mit seiner anderen Schwester Titiyo: „Hätte Neneh gesungen, wäre mir das zu kalkuliert gewesen. Ich liebe Neneh, aber ich möchte nicht auf ihre Kosten Erfolg haben.“
Mit „Desireless“ grenzt sich Eagle-Eye, der neben seinem Vater stark von Bob Marley und Neil Young beeinflußt wurde, deutlich von seiner berühmten Schwester ab. Es ist dieser ganz spezielle Schwebezustand, der den besonderen Reiz einiger Songs von Cherry jr. ausmacht. Eagle-Eye beschreibt oft Menschen in Situationen, in denen sie eine Entscheidung treffen müssen und die damit verbundenen Zweifel und und Hoffnungen:“Das hat viel mit mir selbst zu tun. Ich mußte schon oft überlegen, wie es in meinem Leben weitergehen sollte. Veränderungen sind immer mit Chancen, meist aber auch mit Risiken verbunden. Wenn du Cherry heißt und Musik machst, mußt du gleich gewissen Vergleichen standhalten.“ Die muß Eagle-Eye aber nicht fürchten. Denn der junge Cherry steht sehr gut für sich selbst.