Popkolumne, Folge 214

Mit RAYE, Lewis Capaldi und Roger Waters: Paulas Popwoche im Überblick


Frauen wollen chillen, tanzen, reden, Frieden und keine fliegenden Schweine: Paula Irmschler in ihrer neuen Popkolumnen-Ausgabe über „Anti-Girlboss“, Karol G, „Women Talking“, Dolly Parton und Antisemitismus auf großen Bühnen.

Heute mache ich mal gar nichts …

– Ja, aber Paula, du musst deine Kolumne schreiben …

Jetzt ist Selfcare angesagt!

– Gleich ist Abgabe …

Niemand wird sterben, wenn ich jetzt chille, raus aus dem Hamsterrad!

– Okay, dann eben nicht. Dann bekommste halt kein Geld und deine Themen kannste dir auch stecken.

Im Kapitalismus ist doch eh alles … Ja, okay, ES IST WAHR, ich habe „Anti-Girlboss“ von Nadia Shehadeh gelesen und möchte es euch empfehlen, also legen wir halt los.

Buch der Woche: „Anti-Girlboss“

Der Untertitel von Shehadehs Buch ist: „Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen“. Natürlich geht das nicht ganz auf, weil es Zwänge gibt, denen zu viele Menschen unterliegen und Aktivismus auch ein paar Anstrengungen bedarf – was die Autorin auch weiß und benennt. Aber man sollte sich dem Sofa annähern, findet Shehadeh und sie hat auch einen Plan, wie. Sie hat es nämlich selbst ganz gut geschafft, sich eine private Blase zu erschaffen, in der kapitalistische Zwänge sie möglichst wenig tangieren. Dazu entzaubert sie in „Anti-Girlboss“, der Name verrät es schon, diesen ganzen Girlboss-Quatsch des vergangenen Jahrzehnts und die Verwertbarkeit jedes Lebensbereiches und jeder Charaktereigenschaft.

Das Anliegen der Autorin ist, dazu aufzufordern, nicht den neoliberalen Aufstiegs-Lügen auf den Leim zu gehen, nicht den kapitalistischen Glücksversprechen hinterherzujagen, auf Karriere aka Selbstausbeutung zu verzichten und vor allem dem Repräsentationsfeminismus zu entsagen, in dem es darum geht, dass es DIE EINE nach oben schafft, während andere unten bleiben und unten gehalten werden, sondern sich in wirklicher Selbstfindung und Solidarität zu üben und Räume für Faulheit zu erkämpfen. Dazu erzählt Shehadeh ihre ganz persönliche Leidens- beziehungsweise Entleidungsgeschichte und hat unzählige Popkulturreferenzen parat.

Album der Woche: Karol G – „Mañana Será Bonito“

Apropos übertriebene Ambitionen … Wegen Bad Bunny wollte ich Spanisch lernen und ich weiß jetzt schon was „Der Junge“ und „Das Mädchen“ heißt, dann habe ich die App wieder tagelang ignoriert, bis sie mir sagte „Entweder du lernst spanisch oder nicht – mir doch egal“, wirklich wahr, diese Benachrichtigung bekam ich. Diese passiv-aggressive Ansprache bringt bei mir gar nichts! Gorrino!

Aber mein Elend geht weiter, jetzt verstehe ich das geile neue Album von Karol G halt auch nicht, ¡qué lástima! Aber ich fühle ganz viel … Leidenschaft, Liebe, Drama, Sex … Es ist ein sehr gutes Popalbum geworden, dieses „Mañana Será Bonito“, was auch immer das heißt. Meine Sprache heißt ja eh TANZ. Und das geht sehr gut mit Karol G. Oh Gott, hoffentlich nimmt mich die App zurück! Bonitoooo!

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Musikvideo der Woche: RAYE – „Ice Cream Man.“

Schon wieder geht es hier um RAYE, ich habe ja schon vor zwei Wochen von ihrem Album „My 21st Century Blues“ und auch von „Ice Cream Man.“ geschwärmt. Nun ist aber das Video zu dem sehr berührenden Song veröffentlicht worden. Im Text geht es um eine Vergewaltigung und ich hätte mir nicht vorstellen können, wie man dazu ein Video macht. Aber der Zugang, den RAYE gewählt hat, um ihre Geschichte zu erzählen, ist genauso beeindruckend wie der Song selbst. Man sieht sie bei einem Zusammenbruch in einer öffentlichen Toilette. RAYE ist dabei so authentisch, dass es sich mehr wie eine Dokumentation als ein Musikvideo anfühlt. Am Ende ermutigt sie Betroffene, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

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Film der Woche: „Women Talking“ (deutsch: „Die Aussprache“)

Frauen, die sprechen, vor allem miteinander – darum geht es in dem Film „Women Talking“. Nachdem die Frauen einer isolierten Mennonitenkolonie jahrelang betäubt und vergewaltigt wurden, treffen sie sich in einer Scheune, um eine Entscheidung zu treffen: Bleiben und nichts tun, bleiben und kämpfen oder fortgehen. Die Wahl wird nicht eindeutig entschieden, übrig bleiben die Optionen bleiben und kämpfen versus fortgehen. Nun sollen die Frauen zweier Familien endgültig entscheiden. Es folgt eine eindrucksvolle Diskussion zwischen Frauen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Geschichten und Argumenten. Es wird philosophiert, es wird über Religion diskutiert, es wird über Traumata gesprochen, über Träume, über Zukunftspläne, es wird gestritten, getröstet, Meinungen ändern sich, die Frauen streiten sich, versöhnen sich, helfen sich und verzweifeln aneinander. Es ist einer der berührendsten und klügsten Filme, die ich je gesehen habe und ich habe auch Tage später immer noch an ihm zu knabbern – negativ und positiv gleichermaßen. Nachdem ich ihn gesehen habe, habe ich sofort das Buch, auf dem er basiert, angefangen zu lesen, um mir all die genialen Gedanken, die aufgeworfen wurden, so wie die vielen beeindruckenden Figuren nochmal in Erinnerung zu rufen. Geht heute noch ins Kino, wenn ihr könnt, es lohnt sich.

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Männer-in-Frankfurt-News der Woche

● Bei seinem Konzert in Frankfurt sah man, dass Lewis Capaldi Tourette-Ticks hatte. Er ließ ein paar Zeilen eines Songs aus, es ist nicht völlig klar, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, wahrscheinlich letzteres, und die Fans sangen halt weiter, weil jeder die Lyrics kennt und es halt seine Fans waren. Im Internet wurden die Aufnahmen davon zum inspiration-porn gemacht, zum ganz großen Gefallen von Capaldis Fans an ihm umgedeutet, alles noch mal ordentlich mit Pathos und Mitleid garniert, unabhängig davon, was der Schotte selbst davon hält. Sein Konzert in Köln musste er übrigens nach einer Stunde abbrechen, Stimme weg wegen einer Erkältung, offensichtlich quält sich da ein Erschöpfter durch eine Tour, das ist nichts Gutes. Aber Corona ist offenbar wirklich vorbei, wir romantisieren wieder das Durchziehen um jeden Preis. Capaldi, wenn, nein, sobald du das liest: bitte chill!

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● Es geschehen noch sogenannte Zeichen und Wunder: Roger Waters’ Antisemitismus wurde endlich so ernstgenommen, dass er richtige Konsequenzen hat. Es geht wieder um ein Konzert in Frankfurt: Waters‘ Auftritt in der Festhalle wird wohl abgesagt, gefordert wurde das vom Land Hessen und der Stadt Frankfurt. Und während man über vieles diskutieren kann, wenn man will, wenn es denn unbedingt sein muss, wenn man wirklich mit Leuten wie Roger Waters über Politik reden will – über rumfliegende Schweine mit Davidstern drauf, die im Laufe eines Konzerts zerstört werden (lest diesen neuen Artikel von Belltower.News mit noch mehr weirden Details über Waters’ Ideologie) gibt es nichts zu diskutieren, das ist eine antisemitische Exzessparty und hat in riesigen Hallen nichts zu suchen.

Hier redet Waters über die„“israelische Lobby“, nicht über seine Ticketpreise.

Spart euch also die Moneten.

Lied der Woche: Dolly Parton und Dionne Warwick – „Peace Like A River“

Service zum Schluss: Ich möchte euch eine Alternative zur Wagenknecht-/Schwarzer-Friedensinterpretation bieten. Dolly Parton hat einen unglaublichen Song geschrieben, „Peace Like A River“, und sich Dionne Warwick dazugeholt. So kann man’s doch machen. Mittels Musik träumen, auf Demos keinen Bullshit labern, let’s go.

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Creature Horror, Team Scheisse und ein weinender Böhmermann: Volkmanns Popwoche im Überblick (mit Interview!)

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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