Mit den Scorpions beim Videodreh
Severin Mevissen traf Meine & Co. auf den Dächern New Yorks
Was mach ich hier eigentlich? Ich steige endlose Stufen eines New Yorker Hochhauses empor. Es geht mir schlecht. Verkatert. Verfroren. Verzweifelt. Oben auf dem Dach muß ich zwar nicht vor meinen Schöpfer, so aber doch vor „Die Hüter des schlaffen Dinosaurier Heavy Metal“ (NME) treten, die Scorpions! Ausgerechnet die kälteste Nacht seit Menschengedenken mußten sie sich aussuchen, um ein Video vor Manhattans Skyline zu drehen. Ausgerechnet ich wurde ausgesucht, dieses Ereignis zu beobachten. Bevor ich weiter über den Unsinn der Sache sinniere, bevor ich aufs Dach gelange, hält mich eine Figur auf und fragt mich die gleiche Frage, die ich mir bereits gestellt hatte: „Was machst Du hier?“ Und bevor ich ihm sagen kann, wohin er sich die Antwort schieben kann, rempelt mich von hinten Matthias Jabs an: „Dich kenn ich doch!“ Aber sicher. Ich war schon mal bei einem Videodreh von euch dabei. Damals in Kalifornien, mit blauangemalten, nackten Mädchen im Garten und kolumbianischem Schneegestöber im Wohnwagen. Das war eine „runde Sache“ gewesen, deren humoristischer Höhepunkt erreicht war, als sich Bassist Ralph Rickermann einem Groupie als „Fickermann“ vorstellte. Perlen meiner Karriere!
Heute geht es kaum so lustig zu. Der Drehort ungefähr so anheimelnd wie das Arbeitsamt nach Dienstschluß, blaue (noch nicht einmal blaugefrorene) nackte Mädels nirgends zu entdecken, und was immer an spirituellen Erfrischungen vorhanden war, wurde wenn überhaupt – hinter einer verschlossenen Tür dargeboten, durch die die Band dann und wann verschwand. Na gut, gehen wir das Thema eben ernsthaft an. Reden wir z.B. einmal über Musik. Nee, quatsch, das machen ja schon andere. Vom Spiegel, Focus, von Viva und von RTL – Profis eben, denen man nur zuhören muß, und schon hat man die Story im Sack.
Bei den belauschten Interviews kommen erstaunliche Fakten heraus: Das neue Album wird ‚Pure Instinct‘ heißen, weil die Songs aus reinem Instinkt heraus geschrieben wurden, und die Single zum Video heißt ‚You And I‘ und handelt von Dir und Mir und der ganzen Liebe zwischen uns, und überhaupt, das neue Album ist ganz gut, voll im Trend, die Scorps sind keine „Dinosaurier des Rocks“ und in Schubladen lassen sie sich erst recht nicht stecken, deshalb gehen sie jetzt wieder an die Grenzen, arbeiten mit völlig verrückten, kreativen Leuten zusammen, so wie Markus Nispel, dem „mindestens 500.000.-Mark-pro-Video-Regisseur“ deutscher Abstammung, der ja auch schon bei Janet Jackson und Elton John zaubern durfte… verblüffend! Machen wir mal Pause und gehen auf’s Dach, wo der 500.000-Mark-Mann aufgebaut hat. No way! Niemand zahlt mir genug, als daß ich’s hier länger als zehn Minuten aushalte. Auf einem Podest, das Empire State Building im Hintergrund, trommelt Herman Rarebell bei Minus 15 Grad in Lederjacke und Pudelmütze, eine Nebelmaschine attackiert ihn von links, ein Assistent bewirft ihn mit Zeitungsschnipseln von rechts – arme Sau! Nispel, ein Riese in grünem Armeemantel und Fellmütze, der von seiner Crew hinter wenig vorgehaltener Hand als „Besessener“ bezeichnet wird, schwenkt die Kamera, flucht, schwenkt, flucht… die Szene wird sich mit jedem Bandmitglied wiederholen, und sehen tut man nix, da das richtige Video eh erst später mit Projektionen und sonstigem Schnickschnack zusammengeschustert wird – keine Frage, ich bin hier überflüssig.
Also wieder runter, zum Abrunden der donnernden Geschichte noch ein paar Zitate einfangen. Rickermann immer noch der alte „Fickermann“? Klar! Deshalb will er weg aus Hamburg, wo’s „scheiße“ ist und hin nach L.A., wo „die Weiber geiler“ sind. So wie die Puppe, die gerade durchs Zimmer geht, den Minirock und Fickermanns Blick eng am Hintern klebend. „Ne Lesbe“, meint Hermann, der Drummer, der aus der Kälte kam. „Models sind alles Lesben. Das weiß ich aus 25 Jahren Erfahrung.“ Nach dieser Weisheit vertieft er sich wieder ins Studium des ‚Billboard‘. Hermann muß auf Zack sein. Bald hat er sein eigenes Label, ‚Monaco Records‘, das erste Label in seiner Wahlheimat Monaco („Schirmherr: Prinz Albert“), da druckt er dann CDs („20.000 pro Tag“), produziert von ihm entdeckte Künstler („Toller Sänger, Deutscher, singt englisch, nimmt gerade in Italien auf“) und freut sich vor allem darauf, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Penunze zu scheffeln. Klaus Meine sitzt etwas abseits und würde wohl viel lieber weiter über die Scorps und das neue Album reden, aber a) haben wir das schon abgehakt und b) ist er gejetlagt, müde und damit ungefähr so aufregend wie ein Überbein. Deshalb wenden wir uns zuguterletzt Rudolph Schenker zu, der, eingehüllt in eine unsägliche Schlangenlederkombo eigenen Designs, auf der goldenen ‚Flying V rumzupft. „Jubiläumsmodell. Nur hundert von gebaut. Mit Brillanten besetzt. Durfte mir bei Gibson die zwei besten aussuchen“, berichtet er dem staunenden Zuhörer. Schnell, bevor sich Rudolph in einen seiner esoterischen Monologe verliert, stelle ich ihm die Frage, die mich seit lahren beschäftigt: „Stimmt es, daß die Scorpions immer eine Miele-Waschmaschine mit auf Tour nehmen, um damit ihre Wäsche zu waschen?“ „Vollkommen korrekt“, bestätigt Rudolph im gleichen, euphorischen Ton, in dem er eben noch über die ‚Flying V parlierte. „Deutsche Waschmaschinen waschen weißer!“ Das war’s! Das fehlende Teil im Puzzle! Ich trotte die tausend Stufen hinunter.