Melt! – Gräfenhainichen, Ferropolis
Man muli sich zusammenremen, sonst schmelzen einem in diesem Kessel Buntem (und Gutem) die Sinne.
Nicht auf die Lichtpunkte gucken! Die rasen über den Boden, verschaukeln deinen Gleichgewichtssinn, und schon beginnst du, nüchtern, zu wanken. Discokugeln, riesengroß, werfen sie. Überall hin. Von den riesigen Tagebau-Baggern hinab in eine aufregende Welt. Überall: Blitzen und Blinken, Funkeln und Strahlen. Und: Supporter-Türme, Sponsorenzelte und Berieselungs-Screens. Eine Nachmittags-Band wie die Bolzplatz Heroes (immerhin mit Sportfreunde-Flo und Notwist-Mecki im Team) muß es sich sogar gefallen lassen, sich Werbespots in die Kulissen klatschen zu lassen. Selbst Helden-Judith droht später den Faden zu verlieren. Weil sie denkt, sie sei Moby. Sagt sie. Denn gegenüber der Bühne hängen Leinwände, und auf denen wird nicht etwa Judiths Lächeln vergrößert, sondern dieser New Yorker Schmalspur-Esoteriker, im goldenen Zaumzeugeines Unterhaltungselektronikers. Irgendwann zwischen Maximo Parks sturmbedingtem Akustik-Kurzset am späten FreitagnachmittagundFisherspooners derangiertem Glam-E-Pop-Clash morgens gegen 5 kann man auch mal zu viel kriegen. Denn Melt! bedeutet auch: Deine Sinne schmelzen. Sie tun das zwischen drei Dl-Areas, zwei Bühnen und all dem Spektakel drumherum auf dieser ohnehin spektakulär mit Industrie-Dinosauriern zugestellten Baggersee-Halbinsel. Du mußt Prioritäten setzen. Sonst treibst du davon. Und am nächsten Tag tun dir nicht nur die Ohren weh, es droht vielmehr eine fürchterliche Sinnes Übersensibilisierung wie im Hause Usher. Wer sich im Griff hat, erlebt jedoch eines der musikalisch bestaufgestellten Festivals in Rockland. Zuvorderst: Die wunderliche/-bare Roisin Murphy, deren Live-Umsetzung ihres Soloalbums mit hochprofessioneller Band im festen Griff des Partner-Visionärs Matthew Herbert als herausragende Begegnung von Pop und Kunst im Groove gelingt. Auf der Siegerseite auch The Faint, die zum auf den Punkt gespielten Discopunkrock die unablässige Konzert-Bebilderung auf der Bühnenleinwand am besten nutzen können: Sie haben ohnehin für jedes Stück ein Bilderflut-Video im Angebot. Zu Bright Eyes in der Digital-Ash-Variante gibt’s dann eben Landschaftsbilder- und einen gutgelaunten Oberst, der mit großer Kapelle seinen ernsten Oden die angemessene Größe verleiht. Auch das Konglomerat aus Notwist und Themselves alias 13 &. God kann auf großer Bühne überzeugen, selbst wenn sie den Glamour einer Musiklehrer-WG auf Betriebsausflug verbreiten. Laid Back hingegen, als Minimal-Pop-Pioniere der 80er von den Justus Köhnkes dieser Welt wieder ausgegraben, bleiben ein eher theoretisches Vergnügen. Aber auch sie leuchten bunt.
www.meltfestival.de