Melt! Festival Ferropolis


Wer befürchtet hat, das Melt! könnte dem Mainstream verfallen, kamt sich entspannen. Das Festival ist einfach erwachsen geworden.

Jochen wer? Vom Popdiskurs-Verwalter Distclmeycr haben die Mädels, die beim Warten auf den Shuttlebus ihren Jägermeister teilen, noch nie gehört. Auch Blumfeld ist kein Begriff. Das scheint repräsentativ fürs Publikum des Melt! 2009 zu sein. Zu Distelmeyers Set am frühen Samstagabend finden sich lediglich ein paar Dutzend Menschen ein. Zwar kommen im Laufe des Auftritts ein paar dazu. Doch irgendwie wirkt es, als passe Distelmeyer (mehr über sein Solo-Debüt auf Seite 107; Anm.) mit seiner gleich im ersten Song formulierten Frage „Wohin mit dem Hass?“ nicht so recht hierher. So ein Festival ist eben eine weltflüchtige Angelegenheit. Die Diskurse, die hier interessieren, wenn überhaupt, scheinen mit Genderund sonstiger Körperpolitik zu tun zu haben. Das zumindest legen die tollen, umjubelten Auftritte der Queer-Ikonen Patrick Wolf und Beth Ditto von Gossip nahe. Hassenswert ist an diesem Wochenende tatsächlich nur das Wetter. Gegen drei Uhr in der Nacht zum Samstag macht so genannter „Starkregen“ die Räumung des Geländes notwendig. Manch einer wird so durchnässt, dass er gleich nach Hause fährt. Der Auf tritt von Moderat fällt aus, ebenso wie der von Techno-Melancholiker Trentemaller, der hier vor zwei Jahren ein großartiges Set präsentierte. Nach dem vergangenen Jahr haben langjährige Fans den Niedergang des Melt! befürchtet. Die logistischen Pannen, die den Organisatoren den Vorwurf einbrachten, der Geist der großen Party zwischen Braunkohlebaggern sei dem Profit geopfert worden, wiederholen sich erfreulicherweise nicht. Musikalisch gibt es beim Melt! 2009 die über Jahre etablierte Mischung aus Indierock und Elektronik. Allerdings haben die Leute spürbar mehr Spaß an den tanzbaren Acts: etwa bei The Whitest Boy Alive, der Konsensband des Festivals. Deren euphorisierender Auftritt zeigte, dass sich die Grenzen zwischen Analogmusik und Elektronik endgültig aufgelöst haben. Ihr smoother Pop ist handgemacht u nd trotzdem House, live entwickelt das einen richtigen Sog. Toll auch Aphex Twin, dessen smarter Breakbeat-Krach das Publikum auf eine visuell unterhaltsame Zeitreise in die 90-Jahre mitnimmt. Die Brooklyner Animal Collective sorgen mit ihrer hypnotisch groovenden Krautrock-Dada-Mixtur für reihenweise offenstehende Münder vor der Bühne und ekstatische Ausdruckstänze eher an den Rändern. Die klassischen Rockbands funktionieren dagegen eher schlecht. Travis bringen zwar mit Hits von früher den Platz zum Schunkeln. Doch wird man den Eindruck nicht los, die Leute seien vor allem da, um sich kurz von der Reizüberflutung ringsum zu erholen. Bloc-Party-Sänger Kele Okereke macht schließlich seinem Frust Luft und fordert das Publikum auf, doch woanders hinzugehen, wenn es ihnen hier nicht passt. Richtig traurig wird es bei Oasis. Zwar ist der Umstand, dass sie für die Headliner-Position eingekauft wurden, sicher mitverantwortlich dafür, dass das Festival erstmals im Vorfeld ausverkauft war – u nd schu Id daran, dass am letzten Abend viele rüpelige Briten unterwegs waren. Doch selbst bei denen warder Euphoriepegel deutlich höher, bevor Oasis auf die Bühne gingen – nach dem wirklich rockenden Auftritt ihrer Kumpels von Kasabian. Am Ende wurde nicht einmal nach einer Zugabe verlangt. Wenigstens profitierte eine richtig sympathische Band, die charmanthysterischen US-Elektro-Popper Passion Pit, im Zelt nebenan von der Langweile vor der Hauptbühne. Oasis waren, das kann man nach dem künstlerisch sonst innovativen Melt! beruhigt konstatieren, kein Symptom der Vermainstreamisierung des Festivals. Sondern einfach nur eine schlechte Wahl.