Mein schöner, toter Traum vom Popstar


„Ich bin Popstar“ war ein magischer Satz. Es war der Satz aus einer weit entfernten Galaxie. Die Bewohner dieser Galaxie hießen Elvis Presley und Michael Jackson – doch ihre Zeit ist, genau wie die der Popstars, vorbei. Aber unser Autor Marc Fischer gibt noch nicht auf …

„Ich bin Popstar“ – das war lange einer der besten Sätze der Welt. Es war ein magischer, fast ein bisschen unheimlicher Satz. Wer ihn aussprach, konnte sicher sein, dass jeder ihm zuhörte, jeder ihn ansah, jeder ihn anfassen wollte. Es war der Satz eines Fürsten aus einem weit entfernten Universum, der Glitzerstaub über all denen ausschüttete, die ihn berühren durften. Die Fürsten trugen Namen wie Elvis Presley, Michael Jackson, Eminem oder Oasis.

Das war einmal.

„Ich bin Popstar“ – wer das heute sagt, wird immer noch erkannt, angefasst, fotografiert. Aber der Satz klingt nicht mehr königlich. Er klingt abgeschmackt und unangenehm – wie „Ich bin krank“ oder „Ich krieg Hartz IV“. Er klingt, als würde man beim Arzt länger warten müssen. Der Satz hat seinen Glitzerstaub verloren – so sehr, dass Hipster wie der Blur-Sänger Damon Albarn und Jarvis Cocker von Pulp sich sogar dafür zu schämen scheinen: Albarn versteckt sich hinter den Gorillaz, Cocker ging nach Paris, ließ sich einen Bart wachsen und tut alles, um in der Anonymität zu verschwinden. Und Robbie Williams, Madonna, Beyoncé, die Superpopstars, die wir noch haben, wirken nicht so, als hätten sie besonders viel Spaß daran: Robbie hat ca. 720 Identitätskrisen durchlaufen und macht Alben, die so kalkuliert sind, dass ihm die Plattenfirma garantiert auch die nächsten zehn bezahlt; Madonna foltert sich im Fitness-Studio, damit sie den Anschluss an Lady Gaga nicht verliert; Beyoncés Karriere verläuft wie auf einer Powerpoint-Präsentation durchgerechnet. Nicht magisch. Nicht sexy. Was, zur Hölle, ist geschehen?

Die ersten Popstars, die mir was bedeuteten, waren Musiker, die praktisch aus dem Nichts hervorgetreten waren. Elvis, Papa Pop sozusagen, war dem Produzenten Sam Phillips im Studio aufgefallen, als er ein Geburtstagslied für seine Mutter einsang; Johnny Rotten wurde von Malcolm McLaren für die Sex Pistols entdeckt, weil er „I hate“ auf ein Pink-Floyd-T-Shirt geschrieben hatte und wie ein Obdachloser in McLarens Laden herumhing. Dass Elvis singen konnte und Rotten nicht, war nicht entscheidend, da beide trotzdem eigene Stimmen hatten – Elvis die der Liebe, Rotten die des Hasses.

Darum vor allem war es im Pop ja immer gegangen: mit etwas eigenem, Unverwechselbaren in die Welt zu treten und die Welt süchtig zu machen nach diesem eigenen, Unverwechselbaren. So hatten es die Beatles gemacht („Yeah, Yeah, Yeah!“), so hatten es die Stones gemacht (Jaggers Mund, Richards Gitarre), so hatten es Queen gemacht (Mercurys Zähne und diese unglaubliche Opernstimme). Kamen sie auf die Bühne, herrschte eine Aura des Unfassbaren: die Mischung aus Andacht, Euphorie, Erregung, die nur Musik produzieren kann, weil sie die direkteste, emotionalste aller Kunstformen ist. Wer dafür auch nur ein bisschen empfänglich war, musste alle Gedanken an ein geregeltes Arbeitsleben über den Haufen werfen und eine Band gründen.

Es war ein Konzert der Beastie Boys, das meinen Freund Ken und mich Mitte der Achtziger so infizierte, dass wir uns schworen, eines Tages auch mal Musik zu machen. Adorno würde protestieren (doch er ist ja tot), aber wie Mike D, Ad Rock und MCA rappten und herumsprangen, schnell, smart, lässig, das schien wie das richtige Leben im richtigen: in der Kunst und bei den Menschen zugleich. Melodie, Energie und Rhythmus überall – wo sonst wolltest du sein?

Diese Freiheit und Leichtigkeit aber ist in den letzten Jahren verloren gegangen.

Der Traum von der Popstarexistenz ist schal geworden, weil die sterbende Musikindustrie ihn sich kaum noch leisten kann. Wenn doch, dann nur noch, indem sie das finanzielle Risiko so gering wie möglich hält. Angst und Unsicherheit herrschen, das reduziert die künstlerischen Freiheiten. Man merkt’s auch daran, dass kaum noch einer ausflippt oder Hotelzimmer zertrümmert. Zahlt nämlich keiner mehr. Dazu ist dem Pop auch dadurch viel Mysterium abhanden gekommen, dass inzwischen jeder ein Kinderzimmer-Rap-Video von sich ins Netz stellen kann, das Hunderttausende sehen.

Vor allem aber riecht das Popstartum muffig, weil es vom Zauberwerk zum Jobmodell geworden ist. Wo der Weg früher verschlungen war, ist er heute direkt wie ein Ausbildungsberuf zum Lohnarbeiter. Jeder kann’s werden, sobald er nur lang genug dafür zu schwitzen bereit ist oder sich von Detelf D Soost in die richtigen Schrittfolgen zwingen lässt. Der Weg zum Star, wenn auch nur für fünf Minuten, führt über Casting-Shows, über DSDS oder „Unser Star für Oslo“; über Popakademien und Volksabstimmungen. Kam der Star früher oft von außerhalb der Gesellschaft, war er Künstler, Rebell oder Freak, wird er heute aus ihr heraus rekrutiert, damit das Identifikationspotenzial besonders hoch ist; egal, ob es sich um Lena, Menowin, Alexander oder Küblböck handelt. Fast hat es etwas Sozialistisches, also Totes an sich. Das ist das Hauptproblem bei der ganzen Sache.

Denn darum, dass ein Star ist „wie wir“, war es nie gegangen. Wer braucht so einen? War Michael Jackson „wie wir“? Iggy Pop? David Bowie? Der wahre Star war immer der Fremde, ein Alien, eine Kunstfigur – der, den wir nicht verstanden. Der, über den wir nachdenken mussten, lange, manchmal für immer (Jackson, Lennon, Sid Vicious).

So einen gibt es nicht mehr. Die, die noch übrig sind, sind alle gläsern. Wir leben in einer Zeit fast ohne echte Popstars. Allein Lady Gaga bewahrt sich noch einen Rest an Geheimnis. Aber auch sie ächzt unter den Abhängigkeiten der Industrie und dem Druck, die letzte ihrer Art zu sein.

Ist es das Ende von der Musik, vom Spaß, vom großen, schönen Popstartraum?

Wir brauchten etwas Zeit, mein Freund Ken und ich, aber etwas über 20 Jahre später gründeten wir tatsächlich unsere Band. Sie heißt Torpedo Boyz, ziemlich genau jetzt erscheint unsere neue Platte Return Of The Ausländers. Ken ist der musikalische Kopf, ich bin, nun ja, „der Sänger“ und schreibe ein paar der Texte, ein japanischer Rapper ist auch dabei, er heißt Herr Daisuke Isomichi, kommt aus Hiroshima und arbeitet in Berlin als Sushi-Koch. Wir singen/rappen/kreischen auf deutsch, englisch, japanisch, spanisch und klingen ein bisschen so, als würde Fat Boy Slim mit Run DMC und New Order Nudelsuppe essen gehen; wir sehen aus wie auf der Erde gestrandete Mondmänner, weil wir Bands wie Kraftwerk und Devo lieben und Pop immer auch als große Inszenierung verstanden haben. In Deutschland kennen uns 300 Leute, aber seit wir mal durch Russland und China tourten, fragen sie uns dort nach Autogrammen (wenn wir unsere Uniformen tragen).

Wir sind, so kann man’s sagen, ein ziemlich großes Durcheinander. Aber obwohl ich mich manchmal fühle wie Mickey Rourke in „The Wrestler“, wenn ich meine Torpedo-Boyz-Uniform anziehe – es ist eine ziemlich lustige Sache, mit knapp 40 nochmal so eine Art Popstar-Existenz auszuleben (auch, wenn sie nur ganz klein ist).

Vielleicht muss ein Mensch von der Musik gar nicht leben können, denke ich manchmal, wenn ich, im anderen Leben ja Autor, mit dieser komischen Truppe auf der Bühne stehe, zwischen Energie, Melodie und Rhythmus. Vielleicht ist die Popstarexistenz in Zeiten, wo jeder einer sein kann, der perfekte Zweitberuf, der bestmögliche Nebenjob. Vielleicht bringt das die größeren Freiheiten und nimmt dem Popstartum und seinen geknechteten Protagonisten den Erfolgsdruck, unter dem sie zuletzt so stöhnten, weil sie Geld, Publikum und soviele Downloads oder Telefonanrufe wie möglich brauchen, um zu überleben. Vielleicht war der schöne Traum von Anfang an kein Vollzeitbeschäftigungsmodell. In diese Richtung bewegt sich ja auch der Rest der Weltwirtschaft.

Es sei denn natürlich, den Torpedo Boyz gelingt mit Return Of The Ausländers doch noch der Welthit. Dann werdet ihr in die Konzertarenen kommen, um mich zu sehen, liebe Fans, und ich werde euch meine Geschichte erzählen – eine Geschichte voller Mythen und Abenteuer, voller Wege und Irrwege durch den Zauberwald des Pop. Und der Satz „Ich bin Popstar“ wird wieder nach was klingen.

Albumkritik S. 104

www.torpedo-boyz.com