Marius Müller-Westenhagen
"Ich habe nichts mehr zu verbergen" - Marius Müller- Westernhagen ist stolz auf seine neue Offenheit und Ehrlichkeit. Und deshalb lud er Teddy Hoersch ins Inner Space Studio ein, um mit Schampus auf die Vollendung seines neuen Albums anzustoßen. Offen und ehrlich.
Westernhagen ist glücklich. Er strahlt den Titel seines neuen Albums förmlich aus: HALLELUJA! HALLELUJA ist Kraft, die aus den Hüften kommt, und darum erzählt Westernhagens zwölftes Album von Frauen, die Männern den Kopf verdrehen („Sexy“), von scharfen Typen und runden Hintern („Lieben werd‘ ich dich nie“), vom Bumsen „für ’ne bessere Welt“. HALLELUJA ist eine Hymne an alles, was Rock’n’Roll war und ist und immer sein wird: lauter Sex!
Feststimmung in Weilerswist. Toningenieur Dieter Krauthausen, nebenberuflich Gitarrist der Kölner Undergroundkapelle Crazy Sex Idiots, verschwindet mal eben, um im Supermarkt des kleinen Eifelortes Schampus einzuholen und die handsignierten Autogrammkarten fürs dortige Personal abzuliefern. Im legendären Inner Space Studio, einem umfunktionierten Kino, in dem fast alle Can-Alben entstanden, wurde soeben mit professioneller Gelassenheit die letzte Abmischung von „Sexy“ vorgenommen. Der Schweizer Produzent Rene Tinner, ein Mann mit exquisiten Ohren und messerscharfem Humor, ist als Toningenieur und Co-Produzent in die MMW-Sache voll involviert.
Inzwischen ist auch der Fotograf eingetroffen. Während er seine Blitzanlage aufbaut, kommt Romney mit Giulio, ihrem inzwischen siebenjährigen Sohn aus erster Ehe. Marius strahlt. Die beiden sind so eng zusammen wie Ring- und Mittelfinger. Das spürt man sofort. Sie verstrahlen Glück wie ein leckes Atomkraftwerk Radioaktivität. Ihre Lovestory ging durch alle Gazetten: „Rocker Marius unter der Haube“ schlagzeilte die Boulevardpresse, als MMW seiner Romney am Sylvestermorgen 1988 das Ja-Wort gab. „Diese Frau“, sagt Marius, hat mir unheimlich viel Kraft gegeben.“
Jetzt sind auch die letzten Handgriffe an der neuen Platte getan. Wieder mal ist eine Produktion fertig. Rene legt für den Tonspion das Band auf. Wir stoßen an: Moet aus Wassergläsern. „Seeeeeexy“, röhrt Marius‘ rotzfreches Organ aus den dicken JBL-Boxen, „ich würde alleeees für dich tun“. Westernhagen setzt sich seinen am Broadway gekauften Stetson auf.
„Romney hat mich auf Hüte gebracht“ – und schaut nach jedem Stück erwartungsvoll in die kleine Runde.
Die Schufterei hat sich ganz offensichtlich gelohnt. Seit Oktober 1988 arbeitete Marius an HALLELUJA. Zuerst in seinem Hamburger Wohnzimmer mit einer kleinen Achtspur-Maschine, dann – mit größeren Pausen – im Inner Space Studio und in Dave Stewarts legendärer Londoner Studiokirche.
Rene räumt zufrieden seinen Arbeitsplatz auf. Er hängt die sogenannten „Spaghettis“, die Verbindungsstrippen für das Steckfeld, säuberlich nach Größen geordnet, an Kleiderhaken auf. Marius, in Geber-Laune, läßt sich vor dem Mikrofon ablichten und singt lauthals zum Tonband mit. Auch für die „Cowboy“-Shots mit Gitarre und Stetson im angrenzenden, wild verwucherten Studiogärtchen setzt er sich bereitwillig in Pose. Romney pudert ihn ein bißchen, „sonst glänzt du so!“
Er glänzt tatsächlich – jedenfalls auf HALLELUJA, das vom knochentrockenen, schwergängigen Blues („Lieben werd‘ ich dich nie“) bis zum achtminütigen „Drogen-Stück“ („Chor der Blöden“) Westernhagen at his best präsentiert.
Giulio wird quengelig. Es geht auf zehn zu. Der Knabe muß ins Bett. Deshalb Schauplatzwechsel: Wir treffen uns zu einem Vier-Augen-Gespräch im Hotel, wo die Westernhagen-Family während des Studioaufenthalts residiert. Marius führt mir sein Rennrad vor, mit dem er überschüssige Energie wegstrampelt.
„30 Kilometer pro Tag ist das Minimum“, sagt er. Marius erzählt von seinen privaten Kämpfen, die er durchgefochten hat und die ihm Jugend zurückgegeben haben“; von der Arbeit, die er in HALLELUJA gesteckt hat; vom neuen Mut und Selbstwertgefühl („Ich hatte jahrelang kein echtes Selbstvertrauen. „) Die Freundschaft und Arbeitsbeziehung zu Tinner beruht auf einem gemeinsamen Sinn „für Qualität. Wir wollen beide, daß die Musik atmet und lebt. Bloß keine falsch verstandene Perfektion. „
Stilistisch markiert HALLELUJA ein Zurück in die Zukunft: Blues, R&B, Rock’n’Roll, Reggae. „Mit 14 spielte ich das erste Mal in einer Band, und es war schwarze Musik, die mich faszinierte.“ Als Westernhagen seiner Romney seine Bluesliebe demonstrierte, redete sie ihm zu, ein solches Stück auf die LP zu bringen. „Allen in der Band war klar: Wenn wir Blues spielen, müssen wir auch den Blues empfinden und nicht nur so tun, als ob.“
Westernhagen ist nicht grundsätzlich gegen Synthesizer oder Sample-Technik, aber auf HALLELUJA mußte alles echt sein – die Streicher, die Bläser und selbst das tackernde Honky-Tonk-Piano, das der Proclaimers-Produzent Pete Wingfield für kleines Geld „mit dem Knie unterm Kinn“ klimperte.
Trotz später Stunde ist Marius aufgekratzt: Er arbeitet die Vergangenheit auf – im Gespräch und auf HALLELUJA. Dort gibt es schnellen Sex und zärtliche Balladen („Engel“). Tja, zum Teil spielt da noch die Zeit vor Romney eine Rolle. Kurz streifen wir die Filmkarriere, die Westernhagen „aufgrund des Mangels an guten Drehbüchern“ auf die lange Bank geschoben hat. Zuerst steht die Tournee ganz oben auf dem Terminplan, und dem Bühnenerlebnis fiebert er entgegen. MMW ist ein Zweihundertprozentiger – in seiner Arbeit und im Leben. Er hat die Neue Deutsche Fröhlichkeit überlebt, den Karriereknick verdaut und macht heutigen Größen vor, wie’s weitergeht.