Machen wir’s zu zweit
Billig, praktisch & erfolgreich: dem Pop-Duo gehört die Zukunft
Es kann kein Zufall mehr sein: In den Hitparaden haben die Duos Hochkonjunktur. Gute Gründe für das musikalische Doppel gibt es viele: Es ist billiger als eine große Gruppe, die Entscheidungen fallen schneller, die individuellen Charaktere werden plastischer. Und außerdem „gibt es bei den Vierer-Bands immer mindestens einen, der auf Pressefotos absolut dämlich aussieht.“ Kein Wunder, daß der Siegeszug der Duos nicht mehr aufzuhalten ist.
Vierer-Gruppen sind out“, verkündete schon 1962 Dick Rowe, A & R Manager bei Decca Records. Die Band, die er damals ablehnte, hörte auf den Namen The Beatles. Trotzdem: Falsch lag der gute Mann mit diesem Statement nicht. Er war seiner Zeit nur 25 Jahre voraus.
Wer einen flüchtigen Blick in die internationalen Charts wirft, kann sich davon überzeugen, daß Vierer-Gruppen tatsächlich, definitiv und vemutlich unwiederbringlich out sind. In der ersten Dezember-Woche 1987 beispielsweise waren 21 verschiedene Duos in den englischen Top 50. Duos wie die Pet Shop Boys, Communards, Mel & Kim, Eurythmics, Public Enemy, Was (Not Was), The Proclaimers.
Und kann es wirklich Zufall sein, daß einige der etablierten Gruppen, unter ihnen beispielsweise Level 42, ABC, Amazulu, Cabaret Voltaire, Sisters Of Mercy, Flying Pickets und Then Jericho, sich jetzt der Welt als Paare präsentieren?
Wenn das kein Zufall ist, was dann?
Seit der Blütezeit der Everly Brothers sind ein viertel Jahrhundert, eine sexuelle und eine technische Revolution ins Land gegangen.
„Die Duos der heutigen Zeit sind nicht mehr so unschuldig, haben mehr Ahnung von Verkaufsstrategien und wissen, wie die Industrie sie ausnehmen kann“, sagt Dave Bates, der Mann, der Tears For Fears entdeckte. „Man kann das mit der Machart von Autos früher und heute vergleichen: Ein 57er Chevy ist vielleicht ein schöner Wagen, aber die heutige wirtschaftliche Situation stellt ganz andere Ansprüche, und das fängt schon bei der Grundausstattung an.“
Nick Gatfield, der ehemalige Saxophonist der Dexys Midnight Runners und jetziger A &. R Chef bei der englischen EMI. nennt das Kind beim Namen: „Wenn man sich die erfolgreichsten Gruppen der letzten 20 Jahre anschaut, dann war der kreative Kern meistens ein Duo. John und Paul bei den Beatles, Mick und
Keim bei den Stones. Wenn sie jetzt anfangen würden, dann wahrscheinlich als Duos.“
Natürlich gab es schon immer Duos. Aber das rationalisierte Zweimann-Gespann, das sich entwickelt hat, um aus den werbetechnischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der 80er Jahre das Äußerste herauszuholen, ist aus ganz anderem Kaliber als etwa Godley & Creme oder Hall & Oates.
Die Wurzeln dieser Erscheinung sind nicht einfach zu lokalisieren, aber jeder, der 1978 die Tour von The Clash verfolgte, hat möglicherweise einen Wink bekommen. Er kann sich nämlich vielleicht daran erinnern, mit Flaschen nach zwei verrückten New Yorkern geschmissen zu haben, die unter dem Namen Suicide im Vorprogramm auftraten: Martin Rev vergewaltigte einen Synthesizer samt Rhythmusmaschine, während der Sänger Alan Vega theatralische Sätze ins Mikrophon kreischte.
Auch wenn die Gruppe selbst nicht sonderlich erfolgreich wurde, war das Gerüst der neuen Duos in Suicide erkennbar: zwei unglaublich unterschiedliche (Rev bleichgesichtig und unbeweglich, Vega lebhaft und leidenschaftlich) Individuen, die eine Band durch neue Technologie ersetzen. Alan Vega brachte eine nie dagewesene Theatralik in seine Auftritte, indem er sich permanent mit dem Mikrophon ins Gesicht schlug, dann blutend ins Publikum stakte, um die verblüfften Zuschauer vollends zu schockieren. Aber es war zu früh, zu radikal und Suicide floppte fürchterlich.
So war es Orchestral Manoeuvres In The Dark beschieden, als erstes der neuen Duos die Charts zu stürmen. Sie entschieden sich nicht zum Zweimann-Format, um die überlieferte Besetzung einer Popgruppe abzulösen, sondern weil sie einfach nicht genügend passende Musiker gefunden hatten, mit denen sie zusammenarbeiten wollten.
Nachdem es in seinen früheren Liverpooler Bands kreativ gekracht hatte, kam OMD-Sänger Andy McCluskey auf eine Idee, die damals sehr revolutionär war: Er und Paul Humphreys traten live auf, indem sie Bandmitglieder durch Tonbänder ersetzten. Wie bei Suicide war Andy der extrovertierte Tänzer mit den elastischen Beinen, während Paul sich lieber still hinter den Keyboards verschanzte.
Ungefähr zur selben Zeit gründeten Marc Almond und Dave Ball in Leeds das Duo Soft Cell. „Suicide waren hervorragend, unser beider Lieblingsband“, bestätigt Almond den Einfluß des New Yorker Duos.
„Sie haben uns erst auf den Trichter gebracht, daß wir auch zu zweit arbeiten können.“
Der Erfolg ließ bei Soft Cell zwar lange auf sich warten, aber dann hatten sie gleich fünf Top 5-Singles hintereinander (von „Tainted Love“ bis „What“). Dave Balls unerschütterliche Bierruhe war genau der richtige Background für Almonds theatralische und schlüpfrige Show.
Aber sie gingen noch einen Schritt weiter als Suicide: Sie entwickelten ihre eigene, transportable Bühne und legten auf ihre optische Präsentation mindestens ebensoviel Wert wie auf ihre Musik.
1981, gerade als sich „Tainted Love“ zum weltweiten Hit mauserte, wurde das Popvideo zum unverzichtbaren Helfer für eine Hitsingle. Soft Cell, so schien es, hatten gerade dafür das ideale Bandformat. Ihre simple und effektive Erscheinung brachte ihnen Rekordverkäufe in Ländern, in denen sie nie gespielt hatten. Soft Cell gingen immer noch auf die Bühne, aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis pfiffige Duos merkten, daß ein Konzert als Verkaufsförderer überflüssig und letztlich längst überholt war.
Soft Cell bereiteten den Weg für Blancmange, Communards, Pet Shop Boys und unzählige andere, wobei die sexuellen Verhaltensmuster (Almond: schwul, Ball: hetero) zu einem lebenswichtigen Element ihres Erfolges wurden. Ungewollt oder absichtlich: Diese Duos sind in der glücklichen Situation, mit ihrem jugendlich-schönen Aussehen sowohl Teenie-Mädchen als auch Schwule anziehen zu können.
Im amerikanischen Fernseh-Slang nennt man das ST —- „Sexual Tension“, Sexuelle Spannung. In gewisser Hinsicht stehen die neuen Duos ganz in der Tradition amerikanischer Fernseh-Helden. In den 60ern waren auf dem Bildschirm zwar eher Familien angesagt (Fred Feuerstein, Bonanza), aber im Laufe der 70er verdrängten die „Kumpels“ alles andere: „Starsky And Hutch“ etwa, und in jüngster Vergangenheit nicht zu vergessen „Miami Vice.
In der Popwelt haben die Eurythmics den höchsten ST-Wert. Tun sie’s — oder tun sie’s nicht? Ist sie — oder ist sie nicht? Sind sie schwul -— oder nicht? „Diese geheimnisvolle sexuelle Spannung zwischen den Partnern gehört wohl dazu“, stellt Patricia Morrison, die weibliche Hälfte der Sisters Of Mercy. fest. „Zufälligerweise tun wir’s nicht, aber die Regenbogenpresse vermutet natürlich das Gegenteil —- vielleicht wegen unserem vielsagenden Lächeln. Mit gewissen Journalisten treiben wir sogar gern unsere Spaße.
Wenn sie das glauben wollen, bitte! Allerdings können solche Gerüchte manchmal unsere Freunde verletzen.“
Am besten beherrschen die Eurvthmics diese Art der Medienmanipulation. Sie schüren die Tratsch-Sucht der Skandalpresse, indem sie in einem Jahr Interviews mit der rätselhaften, undurchsichtigen Annie Lennox bieten, um dann im nächsten Jahr den redseligen Dave Stewart zur Verfügung zu stellen, der über sein musikalisches Talent und seine Produktionspläne mit berühmten Leuten schwadroniert.
Mit dieser Technik, die für einen Solo-Künstler unmöglich und für eine Band schwierig ist, vermeiden sie eine Übersättigung des Publikums mit demselben Gesicht und denselben Statements. Und die geheimnisvolle Aura umgibt sie nach wie vor: Einer ist immer sichtbar, der andere immer auf Sparflamme.
Wham!, das wahrscheinlich erfolgreichste neue Duo, hatten das ultimative Kumpel-Image: chronische Schulterklopfer und Sprüchemacher. Als Simon Napier-Bell, ihr späterer Manager, sie zum ersten Mal mit „Young Guns (Go For It)“ im Fernsehen sah, schrieb er aus dem Stand heraus das Expose für einen fiktiven Film: „Die dicksten Freunde… einer heiratet, der andere geht in ein Bordell, aber am Schluß lassen sie alle Mädels fallen und reiten zusammen der untergehenden Sonne entgegen.“
Diese Fernsehsendung war auch aus anderen Gründen ein wichtiger Moment für die Entwicklung der neuen Duos. Jonathan Morrish, Pressechef von CBS London, erinnert sich, daß Wham! vielleicht jung, aber alles andere als unschuldig waren: „Man konnte ihnen ansehen, daß sie instinktiv wußten, wie sie sich im Fernsehen präsentieren mußten. Die Kleider, die Choreographie, das ganze Image, alles stammte von Wham! selbst. Wenn sie Shorts anziehen wollten, dann zogen sie halt eben Shorts an.
Künstlern, die ihr Publikum und ihre Musik so instinktiv verstehen, darf man nicht ins Handwerk pfuschen.“
Simon Napier-Bell stimmt zu: „In den 60ern hätte ich gesagt: Zieh das an. mach diesen Song, ich produziere die Platte! Heutzutage muß ein Manager Musiker finden, die von vornherein künstlerisch selbständig sind.“
Auch was die Vermarktung angeht, sind zwei Köpfe besser als vier. Der oberflächliche Grund ist einleuchtend, sagt Patricia Morrison von den Sisters Of Mercy: „Bei einer Vierer-Band ist immer mindestens einer dabei, der auf Presse-Fotos absolut dämlich aussieht. „
Es gibt aber noch einen subtileren Grund, glaubt man Nick Gatfield:
„Zwei Leute haben eine gewisse Symmetrie, die auf Plattencovern, Postern und Pressebildern gut ankommt.“
Fotografen und Grafiker arbeiten deshalb grundsätzlich lieber mit Duos, weil es erheblich einfacher ist, den emotionalen Kontrast zwischen den Eurythmics zu betonen, in das ACTUALLY— Cover der Pet Shop Boys einen Hauch Ironie zu bringen, oder einfach nur Mel und Kims altmodischen Sex-Appeal zu plakatieren.
Tatsächlich haben Mel und Kim eine erstaunlich einfache, aber doch raffinierte Strategie, die sie bei — allen Fotosessions anwenden: Mel steht immer links. Kim immer rechts: so können die Fans sie leicht und problemlos auseinanderhalten.
„Noch ein Punkt“, erzählt Gatfield. „ist die Tatsache, daß Duos hauptsächlich im Studio arbeiten. Die Pet Shop Boys sind bis jetzt noch nicht live aufgetreten, und wenn sie es tun, dann wird das eine sehr teure Angelegenheit. Die laufenden Kosten, die eine Plattenfirma bei Duos hat, sind aber normalerweise gering. Hotels, Flüge, Essen —- alles ist halb so teuer.“
John Williams, jetzt A & R-Chef bei Polydor, hat früher Blancmange gemanagt und die Proclaimers bei Chrysalis unter Vertrag gebracht.
„Im ersten Jahr kriegt jedes Bandmitglied zwischen 300 bis 450 Mark monatlich, der Manager nochmal so viel. Das Equipment kostet mindestens 15.000 Mark, die notariellen Kosten liegen so bei 7000. Obendrein kommen die meisten Gruppen mit Schulden zu einer Plattenfirma, in der Regel zwischen 7.500 und 15.000 Mark. Der Verlust bei den ersten Konzerten, wenn die Band noch nicht so bekannt ist, liegt durchschnittlich bei 1.500 Mark pro Nacht.
Zählt man das alles zusammen, dann kann man für das erste Jahr zwischen 100.000 und 120.000 Mark veranschlagen -— und da ist noch keine Werbung dabei, die kostet mindestens nochmal um die 30.000.
Mit einem Duo wie Blancmange hingegen sind wir in einem Mietwagen auf Tour gegangen, mit ein paar Synthesizern und einem Tonband.
Was mich bei den Proclaimers unter anderem angezogen hat, ist die Tatsache, daß sie mit nur einer Gitarre und ein paar Bongos rumgezogen sind. Sie können mit dem Zug zu ihren Auftritten fahren. Als Vorgruppe von den Housemartins haben sie nur magere 150 Mark pro Nacht bekommen —- und trotzdem kein Minus gemacht.“
Auch wenn der Erfolg sich eingestellt hat, geht’s viel billiger und schneller, zwei Leute für Promotion um die halbe Welt zu fliegen, als eine gesamte Band samt riesigem Equipment. Manager und Roadies zu mobilisieren, um im ausländischen Fernsehen hier und da live auftreten zu können.
„Nur wenn ein Duo letztlich beschließt, live zu spielen“, ergänzt Gatfield. „wird es entsetzlich teuer. Ein Profi-Schlagzeuger kann locker 3.000 Mark am Tag kosten. Aber zu diesem Zeitpunkt ist ein Duo hoffentlich schon so erfolgreich, daß sich die Ausgabe rechnet. „
Obendrein hat das neue Zweier-Gefühl auch noch andere Vorteile. Dave Bates erklärt: „Bei vier Leuten gibt’s früher oder später immer einen Krach, der an die Substanz geht. Ich bin sicher, daß Echo & The Bunnymen eine der erfolgreichsten englischen Gruppen wären, wenn Ian McCulloch und Will Sergeant alleine wären. Aber alles wird demokratisch abgestimmt, also braucht nur einer gegen eine gute Idee zu sein, und sie wird fallengelassen.
Duos wie Tears For Fears haben herausgefunden, daß ein wenig Diktatur die Arbeit unglaublich voranbringt. Jeder von den beiden hat eine bestimmte Aufgabe: Curt macht das Geschäftliche, gibt die meisten Interviews und geht mit den Leuten von der Plattenfirma essen. Dadurch hat Roland genügend — Freizeit, um die Musik zu machen.“
Keine der großen Platienfirmen wird natürlich zugeben, bewußt lieber Duos als Bands zu nehmen. Im Gegenteil! Der Zug der Zeit scheint fast schon wieder in die andere Richtung zu fahren. David Bates: „Von den Duos gibt es zur Zeit so unnatürlich viele, daß ich fast schon dazu neige, sie vorerst nicht mehr unter Vertrag zu nehmen.“