Linus Volkmann: Die Zerstörung des Musikexpress
Es ist nicht so sehr das Wort des Jahres, eher das Wort dieses Jahrzehnts: Zerstörung. Linus Volkmann besichtigt die Trümmer.

Popjournalismus liegt am Boden, reagiert nicht mehr auf Ansprache. Die Frage ist nur noch: Ab in die Familiengruft oder doch lieber zum Altpapiercontainer? Die Ursache für den Verfall scheint naheliegend: Wer geht heute noch ernsthaft in einen Zeitschriftenladen, um sich eins dieser hochpreisigen Musikmagazine zu kaufen? Und, mal aus der Sicht eines Gen-Z-lers gefragt, was ist überhaupt ein Zeitschriftenladen?
In dieser Kolumne zerlege ich das siechende Genre aus dem Reich der Dinosaurier in seine drei vornehmlichen Einzelteile, die da wären: Unverständliche Gymnasiasten-Prosa, korrupter Produktjournalismus und hilflose Überführungen von Sound zu Text.
Okay
Okay, einen Scheiß werde ich machen. Ich liebe Pop und genauso das Schreiben wie Lesen darüber. Den ganzen aufgekratzten Untergangstalk zum Thema kann man sich woanders abholen.
No front gegen die Kolleg:innen vom Zündfunk an dieser Stelle.
Diese Kolumne hier will viel eher ein Schlaglicht darauf werfen, warum in der laufenden Dekade wirklich alles immer gleich zerstört werden soll … off- wie online. Aus den Vorschlagslisten von YouTube sind mittlerweile längst Abrissbirnen geworden. Dass bad vibes „mehr klicken“ als good news, dürfte sich rumgesprochen haben, doch ein genauer Blick zeigt, wie weit sich dieses Phänomen auf Social Media bereits verselbstständigt hat.
Willkommen zu viralen Clips wie „Die Zerstörung des Friedrich Merz“, „Die Zerstörung des deutschen Films“, „Die Zerstörung von Peter Jackson“, „Die Zerstörung von Oliver Pocher“, „Die Zerstörung von Windows“, „Die Zerstörung von Easy Jet“, „Die Zerstörung der Tagesschau“ … bis hin zu „Die Zerstörung der Zerstörer“. Ich will diesem Doomscrolling-Flashmob jetzt nicht mit Links noch weitere Klicks zollen. Schaut selbst oder glaubt mir einfach, dass es sich hierbei nicht um randständigen Spinner-Content handelt (naja), sondern dass es sich hier um Material handelt, das fast durchgehend sechsstellige Zugriffszahlen aufweisen kann – mitunter sogar noch deutlich mehr.
Selbst der hemdsärmelige Grill-Penis wird beim YouTube- und TikTok-Foodblogging schon in den Sog des allumfassenden Demolition Derbys hineingezogen. Oder wie erklärt man sich sonst Videos wie dieses hier?
„Wir machen beim Steak Braten alles falsch – Die Zerstörung der Steak-Mythen“.

Abbruch, Abbruch
Versteht mich richtig… Ich besitze einen Punkhintergrund und habe als Teenie früher selbst versonnen auf die Wand unserer Dorf-Sporthalle gestarrt – nämlich in dem Sommer, als dort frisch drauf gesprüht stand: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Aufregend! Zuhause dann noch die Slime-Platte aufgelegt, auf der „Brüllen, zertrümmern und weg“ drauf ist. Noch heute halte ich viele Dinge für beyond repair, manchen Zerstörungswunsch für sehr wohl gerechtfertigt.
Das hier also ist kein Rant gegen Zerstörung an sich – aber sehr wohl einer gegen die fahrlässige Omnipräsenz, die sie in dieser Epoche erlangt hat. Wer heute Bestehendes bewahren, aber verändern und reformieren will, verliert in der Aufmerksamkeit gegen all jene, die rigoros den Abbruch fordern. 2025: Wer zerstören will, hat recht. Na, schönen Dank.
Die Pandemie
Das beliebte Corona-Virus stellt nicht so sehr den Auslöser als viel eher den Katalysator einer Spaltung der Gesellschaft dar. Angesichts von Ausgangsbeschränkungen verlagerte sich das Leben Anfang der Dekade noch weiter und noch schneller ins Digitale. Millionen Stimmen rangen online gleichzeitig darum, Gehör zu finden. Die Algorithmen von Instagram, TikTok und Twitter wiesen uns den Weg: Empörung wird zur letztgültigen Maßgabe für Reichweite, Streit fungiert als Hingucker. Auf der einen Seite versuchten die großen Plattformen ihr selbst kreiertes Monster durch Richtlinien, Strafen und Faktenchecker in Schach zu halten, auf der anderen Seite befeuern sie die Verwahrlosung im Umgang mit Anderen bis heute spürbar.
Der Ursprung
Dabei liegt die große Stunde der Zerstörung noch kurz vor der Pandemie. Am 18.05.2019 veröffentlicht der YouTube-Influencer Rezo anlässlich der Europawahl einen Clip, der alles veränderte. „Die Zerstörung der CDU“ konnte bis heute unzählige Trittbrettzerstörer und 20 Millionen Klicks hinter sich herziehen. Aber das Video initiierte genauso auch wichtige Diskussionen. In der Politik musste sich zum Beispiel die Frage gestellt werden, wie man politische Inhalte an neue Generationen vermittelt. An Generationen, die sich ihre Informationen zum Beispiel von eben YouTube statt aus der Tageszeitung holen.
Treppenwitz der Geschichte und vielleicht die noch größere (Selbst)Zerstörung der CDU: Dass sie damals ihre skurrile Wunderwaffe nach vorn schickten: Philipp Amthor, der konservative Greis im Körper eines dämonischen Kindes mit auffälligem Mister-Burns-Swag, vertrieb auch noch den letzten Zweifel daran, dass Rezos Kritik notwendig gewesen war.
Die Zerstörung
Sein Alltime-High erhält der Zerstörungs-Fetisch gerade mit der zweiten Amtszeit Trump. In der ein verhaltensauffälliger Nerd sich bejubeln lässt, wenn er mit einer Kettensäge auf der Bühne die Zerstörung von zehntausenden Jobs proklamiert. Dass Zerstörung aber natürlich nur dann etwas Gutes sein kann, wenn es auf den Trümmern etwas Besseres aufbauen will, spielt offenbar keine Rolle mehr. Kein Problem für die Zerstörer, denn sobald das Thema Aufbau ansteht, wandert die Aufmerksamkeit der Menschen ohnehin schon wieder lieber rastlos zur nächsten Zerstörung.
Make Wiederaufbau great again
Auch ich kann nicht sagen, dass ich mich diesem Phänomen vollständig entziehen kann. Ich ertappe mich, wie ich immer mal wieder kurz innehalte und überlege, nicht doch mal zu schauen, was sich hinter Videos verbirgt, die behaupten, Uri Geller, Jan Böhmermann, Taylor Swift oder natürlich auch Rezo zu zerstören …

Trotzdem klicke ich das alles bewusst nicht. Die dahinter stehende (Social-Media-)Kultur erscheint fatal und ist Teil des immensen Empathie-Problems, das diese Epoche prägt. Dass der Algorithmus aus dieser Ablehnung meinerseits lernen würde, diesen Eindruck habe ich in der Folge zwar nicht gewonnen, allerdings scheint mir die „Intelligenz“ dieser Programme ohnehin maßlos überschätzt. Ich sehe viel eher einen anderen Hoffnungsschimmer: Die Geisterbahnfigur Elon Musk hat zwar von seinem Kauf von Twitter profitiert, aber die Plattform letztlich auch isoliert und zu einer Shitshow aus Fake-News und Hate Speech verkommen lassen. Die einstige Relevanz ist dahin. So ähnlich zeichnet sich für mich der Weg von Meta in der nahen Zukunft ab. Instagram hat nun auch – wie bereits Facebook – seinen Zenit deutlich hinter sich. Das unmittelbare Einknicken von Marc Zuckerberg vor der Regierung Trump und deren „Wertesystem“ beschleunigt den Ablösungsprozess vieler User:innen gerade nur noch mehr. Und Social Media ohne die Verheißung von Sichtbarkeit und Reichweite wird schnell zu einem verlassenen Festsaal. Ohne Wachstum keine Zukunft – und negatives Wachstum triggert den Verfall. Das lässt sich dann auch nicht durch noch mehr Zerstörungsverheißungen umdrehen.
Prognose: Die Zeit der großen Social-Media-Plattformen ist bald vorbei. Auf sie folgt eine Fragmentierung, die – und das ist meine Hoffnung – uns alle spürbar von dem Run nach Reichweite erlösen wird und damit auch von seinen finsteren Auswüchsen (Zerstörung!). Und wenn sich das wiederum am Ende auch im analogen Miteinander widerspiegelt, wie schön wäre es, oder?
Tschüss milliardäriges Kettensägenmassaker, hallo Gemeinsamkeiten. Zerstörung war gestern, heute und läuft auch noch morgen. Aber Zerstörung ist eben nicht alles. Und das wollte ich unbedingt hier mal angemerkt haben. Baut auf!