Lenny Kravitz: Operation Freedom
Nach 15 Jahren Celebrity-Zirkus träumt Lenny Kravitz vom Aussteigen. Im Interview spricht er über Einsamkeit, die Arbeit, das Kreuz mit der Liebe und den Krieg. Sein Fazit: "Die USA drehen durch."
Hausbesuche bei Lenny Kravitz waren bisher oft alles andere als vergnüglich. Mit einem Notizblock voller Fragen durch die metallene Röhre zu schreiten, die in das Innere von Kravitz‘ Studio- und Apartment-Komplex in Miami führt, war meist der Anfang einer Art journalistischer Gebärmutterspiegelung: Dem Reporter, der Sonde der ausgeschlossenen Öffentlichkeit, wurde ein verzerrter Einblick in eine Welt gewährt, die ein Mensch bewohnte, über den wir wenig wussten. Dem Patient selbst waren diese operativen Eingriffe in seine Privatsphäre in hohem Maße unangenehm.
Dass wir uns Ende März trotzdem wieder für ein Interview mit ihm entscheiden, hat mehrere Gründe: Zum einen ist sein neues Album BAPTISM nach dem Blackout von LENNY tatsächlich Beweis für seine wieder erwachte Kreativität. Zum anderen beteuerte der kalifornische Musiker Tony Valenzuela, der vor zehn Jahren Kravitz‘ Freundeskreis angehörte, in einem längeren Gespräch mit dem ME so glaubwürdig, den Star damals „immer als coolen, netten Typen erlebt“ zu haben, dass wir schließlich nach Miami aufbrechen, um in einem erneuten Gespräch mit Kravitz unsere Ansichten noch einmal zu überprüfen.
Als ich an einem windigen Dienstagnachmittag von einem Pförtner über eine Brücke gewunken werde, die als bewachte Verbindung zwischen der Außenwelt und der von Wasser umgebenen Nobelsiedlung dient, erhake ich eine gute Nachricht: Als Gesprächsort hat Kravitz nicht sein steriles Design-Studio vorgesehen, sondern den Garten seiner Villa. Durch ein schweres Holztor, vorbei an silbernen BMWs, einem zugedeckten Ferrari und einer Miles-Davis-Statue führt der Weg zu einem mit Bambus und Palmen zugepflanzten Gebäude. Ein paar unangemeldete Schnappschüsse meinerseits von dem aberwitzig großen Motorboot und dem mit Efeu bewachsenen Prachtbau sorgen für eine Staatsaffäre diese Dreistigkeit, wird, nachdem die Sicherheitsexperten drei Stunden später die von unsichtbaren Security-Kameras aufgezeichneten Bänder ausgewertet haben, mit der Beschlagnahmung des Films bestraft.
Kravitz tritt durch weiße Vorhänge, die in den Bögen eines griechisch anmutenden Säulengangs im Wind flattern. Er lächelt, umkreist den verzweigten Pool, blinzelt in die Sonne, streckt sich, und begrüßt uns freundlich und entspannt.
Ein wunderschönes Haus. Aber auch ziemlich isoliert. Wo leben deine besten Freunde?
LENNY KRAVITZ: Überall. Ganz verstreut. Das sind nur eine Handvoll Menschen. Die meisten kenne ich schon seit der Kindheit. Was wichtig für mich ist, weil mich Leute, die mich schon kannten, bevor ich berühmt wurde, anders behandeln.
Bist du einsam ? Du kannst ja nicht einfach in eine Bar gehen. Und deine Freunde leben nicht in Miami…
Aber die kommen hierher. Ich hab das Haus, in dem sonst nur ich und meine Tochter wohnen, damit ich meine Familie einladen kann. Ostern, Weihnachten, ein langes Wochenende – da fliege ich meine Leute ein und wir kochen, lachen…
Johnny Depp hat gesagt, dass er als Jugendlicher so viel Drogen genommen hat, weit er nicht damit zurecht kam, berühmt zu sein…
Ich kann jeden verstehen, der Drogen nimmt, aus welchen Gründen auch immer. Naja, nicht aus jedem Grund – aber einfach, um sich irgendwie rauszuziehen…
Ich meinte nicht so sehr die Drogen, sondern das Gefühl der Abnormität als Prominenter.
Das fühlt sich auch komisch an. Du lebst in einem Aquarium, egal wohin du gehst: Ob du mit jemand an der Ecke streitest oder ob du irgendwas Banales machst…
Hast du mit Depp mal darüber geredet? Du kennst ja seine Frau Vanessa Paradis ganz gut.
Das Lustige ist, dass ich Johnny noch kennengelernt habe, bevor sich die beiden gefunden haben. Was damals komisch war – er hat gesagt: „Ich kann verstehen, dass du immer eine Sonnenbrille aufhast. Weil dir so die Leute nicht in die Seele schauen können.“ Das fand ich interessant. Also … JETZT habe ich eine auf, weil die Sonne scheint. Aber ich trag ja auch sonst oft eine. Damit ich wenn ich in einem Raum mit Menschen bin, selbst entscheiden kann, ob ich sie sehen will oder nicht. Auf dem neuen Album ist der Song „I Don’t Want To Be A Star“ Darin will ich mich nicht selbst bemitleiden aber ab und zu willst du einfach aus dem Haus gehen, spazieren gehen, einen Kaffee trinken, normal sein, ohne dass jeder versucht, was von dir abzukriegen. So wie früher.
Welches Album fällt dir ein, wenn ich Sachen wie „kreative Blockade“, „künstlerisches Tief“ und „Selbstzweifel“ sage ?
(überlegt) LENNY war schwierig für mich. Ich war in einer Übergangsphase. Und nicht nur das. Die Musikindustrie ist den Bach runter gegangen und das Radio ist schlechter geworden. Die haben plötzlich nichts mehr gespielt, was nicht genau in der Mitte des Mainstream war.
Wieviel von BAPTISM war fertig, als du ins Studio gegangen bist?
Nichts. Ich hatte eigentlich an einer anderen Platte gearbeitet, als ich bei einem Freund auf einer Gitarre rumgespielt habe. Plötzlich kamen mir all diese Songs und ich dachte mir, „Naja, ich bin fast mit meiner Platte fertig, also sind das jetzt vielleicht B-Seiten“. Aber es kamen mehr und mehr Songs hinzu. Als ich wieder in Miami war, hatte ich eine zweite Platte. Ich hab die neuen Sachen sofort aufgenommen. Und die ursprünglich vorgesehene wurde gar nicht mehr veröffentlicht.
Du hast auf BAPTISM erstmals das 80er-Jahre-Saxophon-Solo für dich entdeckt.
(belustigt) Ja? Das ist David Sanborn … und ehrlich gesagt- dazu hat mich young ameri-CANS inspiriert. Er ist der Saxophonist auf dem Album von David Bowie – nun ja, späte 70er. Aber ich weiß schon, was du meinst…
Einer dieser Saxophon-Songs ist “ What Did I Do With My Life“, der, wie einige andere auf BAPTISM auch, sehr nachdenklich ist. Warum stellst du dir zur Zeit so oft solche Fragen?
Ich war lange in der Phase, in der man rumläuft und sich über nichts Gedanken macht. Danach wird man nachdenklicher und erwachsener und muss mehr Verantwortung übernehmen. Ich muss langsam wirklich bewusst leben. Bist du in deinen 30ern, hast du keine Zeit mehr, viele dumme Entscheidungen zu treffen. Auch wenn das Leben eine lange Reise ist – ich will jetzt herausfinden, was gut für mich ist und was mir schadet.
Hast du einen weisen Menschen an deiner Seite, der dich beraten kann?
Ja. Mein Großvater. Er ist 94 und immer noch hier (deutet zur Villa). Auch wenn er jetzt schon alt wird und meistens im Bett liegt. Aber er ist immer noch der Mensch, zu dem ich gehe, wenn ich reden will. Das war mein Leben lang so.
In „What Did I Do With My Life“ stellst du dir die Frage, ob du alles gelernt hast, was zu lernen in diesem Leben deine Aufgabe ist. Kann man diese Frage je mit „Ja“ beantworten?
Hmm … interessant, (murmelt: „Hab ich alles gelernt, was zu lernen … „) Ich denke, dass es einen Grund dafür gibt, warum wir alle hier sind. Dass wir ein Schicksal zu erfüllen haben. Ich bin definitiv hier, um Musik zu machen. Nicht unbedingt für irgendjemanden, aber meine Bestimmung ist die Musik.
In „Calling All Angels“ gibt es die Zeile. „All of my life l’ve been waiting for someone to love“. Deine Songs kreisen immer wieder um dieses Thema. Warum ist es für Menschen so schwierig, Liebe zu finden?
Weil wir immer alles verkomplizieren. Wir sind allein schon komplizierte Wesen – und dann treffen auch noch zwei aufeinander. Das ist für mich noch immer ein großes Mysterium. Ich versuche schon lange, dahinter zu kommen. Ein paar mal war ich nahe dran – aber ich habs noch nicht geschafft.
Erfordert es Mut, so persönlich zu werden wie in „Destiny“?
Hmm. Nein. Dafür habe ich ja die Musik. Ich war immer offen – inzwischen will ich nur noch tiefer gehen.
Macht dich das verletzlich?
Ja. Aber ich lerne gerade, dass in Verletzlichkeit unglaublich viel Stärke liegt. Nur ein starker Mensch kann sich erlauben, verletzlich zu sein: „Hey, das bin ich.“ Und das gibt mir was. Jeder versucht, so taff, verschlossen und „Macho“ zu sein – damit kommt man nicht weiter.
Wirst du selbst emotional, wenn du solche Songs aufnimmst? Hast du im Studio Kontakt zu deinen Gefühlen?
Eher danach. Wenn ich mitten in der Arbeit stecke, funktioniere ich wie eine kleine Maschine. Danach lehne ich mich zurück und denk mir vielleicht „Wow, das ist wirklich schön.“
Wahrend ich aufnehme, kann ich meistens nicht rationalisieren, was ich da mache.
In „Destiny“ heißt es, „No one can see, what I can see“ das klingt sehr fatalistisch.
Das bedeutet aber nur, dass wir alle Individuen sind. So wie du die Welt siehst, wie du Sachverhalte interpretierst, so sieht das niemand sonst. Wenn ich jetzt versuche, dich zu kopieren – ich rede so wie du, ich ziehe mir die selben Klamotten an – dann kann ich doch nie du sein. Meine Wahrnehmung, meine Gedanken, die gehören nur mir allein. Aber das trifft auf uns alle zu – das ist das Schöne daran.
Impliziert das, dass sich zwei Menschen nie voll und ganz verstehen können?
Naja, können sie vielleicht schon. Aber wenn du siehst, was gerade auf der Welt passiert… Oder wenn zwei Menschen Zeuge von etwas werden -wenn wir einen Autounfall sehen und die Polizei befragt uns beide, dann könnte deine Story komplett anders aussehen als meine. Weil es Interpretationssache ist. Ja, wir können uns verstehen, aber nur zu einem gewissen Grad. Und deshalb ist es schön, wenn wir Menschen im Leben treffen, die uns wirklich nahe sind. Wenn du einen Freund hast oder jemanden liebst, der deine Sätze beenden kann oder sagt, „Ich weiß genau, wie du das meinst“ -das ist unglaublich. Weil wir normalerweise aneinander vorbeireden.
„I Don’t Want To Be A Star“ ist eine klare Ansage. Besteht die Möglichkeit, dass du dich eines Tages aus der Öffentlichkeit zurückziehst und verschwindest?
Ich träume auf jeden Fall davon, mich auf die Insel zu verabschieden.
Ein Wunsch, den du aber nicht so bald verwirklichen wirst?
Naja, noch nicht soo bald vielleicht (lachtgeheimnisvoll). Ich werde versuchen, die beiden Lebensformen noch besser zu vereinbaren.
Das heißt, deine Bestimmung kann irgendwann auch erfüllt sein ? Du musst nicht Musik machen, bis du 80 bist?
Das weiß ich nicht. Steven Tyler ist ein sehr guter Freund von mir. Er ist noch immer ein Kind. Der ruft mich an und erzählt mir von irgendeinem Album. „Oh Mann, ich hah mir heute Sly Stone angehört…“, bla bla bla bla, eine Stunde!
Und du sitzt da (hält einen unsichtbaren Hörer vom Ohr weg) und er dreht komplett durch. Oben hab ich einen Raum, in dem man jammen kann – der setzt sich ans Schlagzeug und wir spielen den ganzen Nachmittag. Er ist immer noch hungrig. Das ist cool, sowas zu sehen.
Du hast inzwischen schon zwei Anti-Kriegs-Lieder aufgenommen.
Ja, und beide sind auf dem Index gelandet.(lacht)
Wie haben die Leute reagiert, als du für „We Want Peace“ mit dem irakischen Popstar Kazem Al Sahir zusammengearbeitet hast?
Die haben mich in der Zeitung neben Hussein abgebildet und die Überschrift war „Lennys Kumpel: Saddam“. Die USA drehen durch.
War das die New York Post?
Natürlich. Fucking Idioten. Ich war auch bei Howard Stern in der Sendung, da haben Leute angerufen, und mich beschimpft: „Wenn du Amerika nicht magst, dann verpiss dich!“ Ich hab sie dann gefragt, ob sie wissen, wie dieser Krieg heißt. „Operation Freedom“ – das muss man sich mal überlegen. Angeblich sind wir da drüben, um das irakische Volkzu befreien. Angeblich. Aber ich sing‘ mit einem Iraker und bin gleich ein Verräter. Auf dem flachen Land in Amerika gibt es unglaubliche Proleten.