Lenjas große Nummer
In Bio’s TV-Bahnhof war sie gerade, und in die Plattenküche kommt sie noch: Dieses scheinbar zierliche Persönchen mit dem mädchenhaften Charme und der ansteckenden Vitalität – Lene Lovich (sprich: Lenja La witsch). Die Sprech-Schreibweise deutet auf ihre Heimat hin, doch wo sie genau liegt, verrät Lene nicht. Biographen munkeln von Ungarn oder Polen. „Nee“, lächelt Lene, „alles falsch. Aber väterlicherseits besteht eine jugoslawische Linie.“ Im übrigen fügt sie hinzu, sei das aber wohl kaum interessant, und sie hält sich lieber an ihren Chivas Regal.
Lene ist just in die englische Top 3 aufgestiegen, sinnigerweise mit dem Titel „Lucky Number“, und dieser Erfolg ist ein weiteres Beispiel für die Fingerspitzenpolitik, mit der das Stiff-Label so erfolgreich arbeitet. Lene’s Debütalbum ist stilistisch eine Tour de force durch fast alles, was derzeit in der neueren Rockmusik drin ist, und vor anderthalb Jahren hätte man der Platte noch ohne Widerstand das Etikett Junk‘ aufdrücken können. Auf dem Cover flüchtet Lene eine Mauer entlang und überhaupt: Was soll der LP-Titel „Stateless“?
„Das ist doppelsinnig gemeint, aber nur in zweiter Linie auf die Sache mit meiner Heimat bezogen. Also dieses politische Wort ’staatenlos‘ hängt da weniger drin. Damit ist mehr meine innere Persönlichkeit gemeint; wie ich denke, wonach ich noch suche. Ich bin ja noch keine fertige Sängerin, ich suche noch nach einem eigenen Stil.
Da schwirren ne Menge Ideen in meinem Kopf herum, doch die müssen für eine Platte irgendwie geordnet werden. Genau in dem Prozeß befinde ich mich gerade – noch ohne festen musikalischen Staat, du weißt, was ich meine?“ Klar, aber da droht das Wort ,verwirrt‘ oder ,richtungslos‘, und so klingt die LP – zumindest teilweise denn doch nicht. „Glaub‘ ich auch“, meint Lene lächelnd, „aber das Album ist wie eine Momentaufnahme, wie das Festhalten eines augenblicklichen musikalischen persönlichen Zustandes. Aber eben ohne festen Stil.“ Aber da ist doch Stil, Ms. Lovich, dieses . . . (jetzt fehlt mir das englische Wort für kieksen) . . . dieses, ääh, dauernde Wechseln zwischen Alt und Sopran oder so. „Zugegeben, das ist drin, das bin wirklich ich“, nickt Lene und kiekst.
Daß Nachwuchssängerinnen bei uns Karriere machen können – siehe Kate Bush -, hat man der Lene vorher gar nicht gesagt. Wohl, um sie nicht zu belasten. Denn Lene ist noch erfrischend unroutiniert; sie kann noch nervös werden.Saxophon spielt sie und mit langen Zöpfen tritt sie auf. Und ’ne Menge Ideen schwirren merkbar in ihr herum. Hoffentlich macht Lene nie ein Album mit dem Titel „Statement“!