Legal, illegal-leider nicht scheißegal!


2004 weitete die Musikindustrie ihren juristischen Feldzug gegen Filesharer auf Europa aus.

Angefangen hatte es schon im Sommer 2003: Da ging die RIAA (Recording Industry Associarion of America), der Verband der US-Plattenfirmen, erstmals mit Plänen an die Öffentlichkeit, die Nutzer illegaler Musiktauschbörsen mit massiven Schadenswersatzklagen zu verunsichern. Doch der Kriegsschauplatz für die Gefechte zwischen Industrielobby und Filesharern blieb nicht lange auf die USA beschränkt: Im März 2004 begann die Ifpi (International Federation of the Phonographic Industries), auch in Europa Gerichtsverfahren wegen des illegalen Tauschs von Musik im Internet anzustrengen – in der Regel mit einer Kombination aus straf- und zivilrechtlichen Klagen. Im Oktober überzog die Ifpi Europa dann mit einer zweiten Klagewelle gegen P2P-Tauschbörsen: Insgesamt 459 Klagen gegen Tauschbörsennutzer reichten die Juristen des Verbandes ein, darunter 100 in Deutschland – die bisher größte Anti-Filesharer-Prozesswelle außerhalb der USA. Die Klagen richten sich hauptsächlich gegen sogenannte „Uploader“: Leute, die Hunderte von Songs in Tauschbörsen wie Kaazaa, eDonkey oder Gnutella anbieten. Bis zur Drucklegung dieses Hefts waren in den USA rund 7000 solcher Klagen, in Europa etwa 650 angestrengt worden.

Gerd Gebhardt, Chef der deutschen Ifpi-Landesgruppe, stellte im Branchenblatt musik.woche fest: „Die Anzeigen haben abschreckende Wirkung. Wir bedrohen keine Existenzen, aber es soll schon unangenehm sein, für illegale Musikangebote verantwortlich zu sein.“ Einzelne Tauschbörsen- User in Europa sind bisher zu Zahlungen bis zu 13 000 Euro verurteilt worden, in den USA drohen Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen bis zu 250 000 US-Dollar für Ersttäter. Die meisten User ziehen jedoch wegen der hohen Gerichtskosten in den Staaten außergerichtliche Einigungen mit den klagenden Plattenfirmen vor. Der scheidende Ifpi-Weltchef Jay Berman erklärte im Herbst, man habe es lange genug mit Warnungen versucht und sehe die Klagewelle nun als letztes Mittel. Der britische Ableger der Ifpi etwa hatte seit Frühjahr rund 350 000 Internet-Mitteilungen verschickt, in denen die Musikfans vor der Überwachung der Seiten gewarnt und auf legale Seiten wie Napster oder iTunes hingewiesen wurden. Umstritten bleibt, ob der juristische Feldzug der Industrieverbände langfristig Wirkung erzielt. Die Neue Zürcher Zeitung meldete dazu, auf Kaazaa, der populärsten Tauschbörse, sei die Zahl der verfügbaren Stücke um rund 40 Prozent eingebrochen. So seien im Juni 2004 700 Millionen Musikstücke auf illegalen Netzwerken verfügbar gewesen, während es im Juni 2003 noch über eine Milliarde waren.

Wegen der Kinderkrankheiten der vor allem von den Majors eingesetzten Kopierschutzsysteme ist die Musikindusuie nun selbst auf der Anklagebank gelandet: Eine Justizkommission in Frankreich eröffnete gegen die dortigen Ableger von BMG und EMI ein Verfahren wegen „Betruges hinsichtlich der Warenqualität“, weil die von ihnen vertriebenen CDs wegen des Kopierschutzes in manchen Autostereoanlagen nicht abgespielt werden konnten. Ein ähnliches Verfahren in Belgien betrifft neben BMG und EMI auch Universal und Sony Music. Sony Japan und Universal Music Deutschland wollen bei nationalen Veröffentlichungen vorerst auf Kopierschutztechniken verzichten.