Leb! Gefälligst!!!


Containerweise Realität: Big Brother.

Wäre „Big Brother“ eine Single, so stünde sie das ganze Jahr über in den Top 10. Seit RTL2 im März die erste Staffel ins Programm nahm, unterhält sie die Republik. Zlatko und Jürgen wurden zu Medienstars, Alex schwängerte und verließ das Starlet Jenny Elvers, Kerstin weint und John gewinnt – was für die einen als Reality-Soap bald zum festen Termin im Abendprogramm wurde, geißelten andere als voyeuristisches Theater. Und John de Mol, kettenrauchender Chef der holländischen Produktionsfirma Endemol, heizte die Diskussion an: Er träume, erzählte der dem „Spiegel“, von einer Show, bei der zehn Leute in einem abstürzenden Flugzeug sitzen – mit nur neun Fallschirmen.

Ganz so schlimm war’s bei „Big Brother“ ja nicht. Eingekerkert in ihren überwachten Container bei Köln-Hürth, kämpften die Kandidaten gegeneinander und die Widrigkeiten des Alltags, lösten debile „Wochenaufgaben“ und feilten an ihrer Karriere. Kaum war Zlatko ausgeschieden, schon wurde er mit einem Liedchen im Gepäck durch die Talkshows geschickt.

Besonderes Aufmerksamkeit erregten die verwischten Bilder der Nachtsichtkamera, die Alex und Kerstin bei rhythmischer Beschäftigung im Schlafzimmer vermuten ließen. Sex sells! Drum wurde mit der prallbrüstigen Sabrina auch eine ehemalige Nackttänzerin ins Haus verfrachtet, gegen die draußen ein Haftbefehl vorlag. Nichts war den Machern zu schlüpfrig, um die Show konstant im Gespräch und Medienkritiker bei Laune zu halten. Hatte etwa der Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident Beck im Vorfeld noch auf eine Absetzung von „Big Brother“ gedrängt, hatte sich schon zur zweiten Staffel das Blatt gewendet: F.D.P.-Generalsekretär Guido Westerwelle (unten) entblödete sich keineswegs, höchstselbst im Container zur Prime Time über seine Partei zu palavern.

Überhaupt hatten sich die Vorzeichen bei „Big Brother 2“ geändert: Die quotenstarke wöchentliche Ausscheidungsshow wanderte zum großen Bruder RTL, der die erste Staffel noch freimütig seinem Schmuddel-Ableger überlassen hatte. Und die Kandidaten – zuvor noch erfrischend naiv – hatten die Karrieren ihrer Vorgänger verfolgt und benahmen sich schon beim Einzug wie ausgebuffte Medienstars und Mobbing-Experten. Wer ist echt? Wer tut nur so? Wer langweilt? Und langweilt ein Langweiler wie Frank wirklich, oder ist’s nur Strategie? Wer mit wem? Fragen, die im alltäglichen Leben mancher Menschen eine Rolle spielen und sich im gespielten Alltag im Container auf seifigste Weise spiegelten. Kein Wunder, dass Variationen der Sendung bald wie Pilze aus dem Boden schossen und noch schießen: Fürs nächste Jahr sind verschärfte Versionen angekündigt, etwa „In Ketten“ oder „Big Diet“, wo fette Kandidaten in aller Öffentlichkeit gegeneinander und ihre Pfunde kämpfen. Wäre „Big Brother“ eine Single, könnten wir uns also vor Remixen in nächster Zeit nicht retten.