Langhaarige Superstars, Schwer Progressiv


In den frühen 70ern ist der ROCKheavy, progressiv und eine ernste Angelegenheit. Und der Gitarrist ist eine Respektsperson.

„Im vergangenen Jahr hat sich die Popmusik ungeheuerlich geändert. Das Publikum fühlt sich immer mehr durch die musikalischen Qualitäten der Gruppe angezogen, als durch eine einzelne gutklingende Melodie.“ Diesen Satz – aus einem Text über die lang vergessene Band The Greatest Show On Earth – im ME 8/70 könnte man als programmatisches (und etwas gestelzt formuliertes) Intro über eine Ära schreiben, die Anfang der 70er so richtig loslegte und ein Label erhielt: Progressive Rock, Es gibt im ME der frühen 70er ein paar Zauberworte im Zusammenhang mit Rockmusik. Das grundlegendste ist sicher „langhaarig“. Wer ernsthaft was gelten will, hat lange Haare, auch und vor allem als Mann – Frauen sind in Bands ohnehin eine Seltenheit. Lange Haare sind Statussymbol der Jugendkultur, und man eckt damit an {„im hanseatisch-steifen Bremen wurde Joe Cocker seiner langen Haartracht wegen eines Lokals verwiesen“, meldet der ME Ende 1969). Dann ist da der „Wahnsinnsgitarrist“, ein Ehrentitel für besonders verdiente Vertreter jener Musikerzunft mit dem größten Heldenpotenzial: Bluesverwurzelte Guitar Heroes wie der vielfache Pop-Poll-Gewinner Rory Gallagher, Alvin Lee von Ten Years After, Johnny Winter, John Mayall, der posthum verehrte Jimi Hendrix und der vom Nimbus her alle überstrahlende, doch zunehmend kriselnde Eric Clapton („Hat der Gitarren-Gott sich selbst entthront?“, 2/75) werden vom ME hofiert, ebenso Platte-des-Monats-Rekordhalter Santana (die Ausnahme: kurzhaarig!).

Fingerfertigkeit und „feeling“ allein aber reicht dem anspruchsvollen Hörer nicht länger. Immer dringlicher stellt sich bei neuen Bands die Frage: Ja – aber sind sie progressiv? Bei Yes, Pink Floyd, Focus, Golden Earnng, Genesis und den neu formierten Supergruppen (noch ein Zauberwort) Traffic und Emerson, Lake & Palmer hegt der Fall klar. Aber „Progressivität“ ist kein Genre-Ding, sondern rockmusikalischer Zeitgeist, der auch die meisten Vertreter der neuen „Heavy-Bands“ angeweht hat. Vielleicht nicht unbedingt die zum Nasrümpfen der Kritiker lustvoll stumpfen Black Sabbath („die erste LP wurde zu einem großen Erfolg, obwohl die Presse nicht so günstig darauf reagierte“, 8/70), eher die blutjungen – und baldigen „Superstars“ (noch ein Zauberwort) – Led Zeppelin, die Newcomer Queen („Englands Queen ist knallhart!“ 8/74) und die (sich in einem fort umformierenden) ME-Lieblinge Deep Purple. Die „harte Welle“ rollte, auch in Deutschland. Und Redakteur Lutz Wauligmann, der 1973 in einer Uriah-Heep-Kritik angemerkt hatte, „Kinder, die Zeiten ändern sich; und ob heavy-music das Gefühlsleben optimal antörnt – ich bin mir da nicht so sicher“, hatte sich geschnitten: Bereits im Oktober 1976 titelte der ME: “ Hardrock ist wieder angesagt! Aerosmith machen den Heavy-Veteranen gehörig Konkurrenz.“

Und dann ist da noch die Newcomer-Band AC/DC, in Verbindung mit der man erstmals das Wort „Punkrock“ im ME liest. Aber das ist eine andere Geschichte. Und dann sind da noch die Rolling Stones, über die zu berichten der ME sich keine reelle Chance entgehen lässt. Aber das ist ein anderes Buch.