Kurz und Klein


Das Cover zeigt Gevatter Krähe, mit dicker Brille, der den anderen Vögelein aus einem Buch über Anarchie vorliest. Die CD geht los, Punkmusik, leicht angeska’t, ein Mann singt mit gepresst-bebender Stimme, die aber weniger nach Punk als eher Dave Matthews und Crash Test Dummies klingt. Und dann fächert das stilistisch immer mehr auf, viel mehr, als der Punk (zumindest seine engstirnigere Auslegung) erlaubt – Reggae, Country-Harmoniegesang, Saloonpiano, Grooves. Wir lernen von All Music Guide: State Radio (year of the crow, Nettwerk/Soulfood) um den Sänger Chad Stokes wird neben Underground-Punk-Creds auch eine gewisse Nähe zur US-Jamband-Szene ä la Phish und – eben – Dave Matthews Band zugesprochen. So richtig ans Eingemachte geht’s also wohl erst live, ¿wenn sie ihre hier vierminütigen Songs voller Polit-Zündstoff (Songtitel: „Sudan“, „Guantanamo“, „C.I.A.“) auf zwölfminütige Jams ausdehen, oder wie? Oha.

Noch eine leichte Irreführung: Das DubTrio aus Brooklyn hat lustige satanische Katzen auf dem Cover seines vierten Albums another sound is dying (Ipecac/Soulfood) und auf dem einzigen nicht-Instrumental-Stück „No Flag“ die Gast-Vocals von Labelchef Mike Patton, die mitzunehmen man offenbar vertraglich verpflichtet ist, wenn man bei Ipecac veröffentlicht. Aber, äh, sie spielen keinen Dub, zumindest nicht viel, der blubbert nur sehr zwischendurch mal. Der Rest sind wuchtig monolothische Riff-Aufhäufungen mit ganz viel Dringlichkeit, komplexen Breaks, hier mal eine pathetische Keyboardfläche, da mal eine ausgewachsene Metal-Breitseite mit „Brrrrrrrdrrrrrrr“-Doppelbassdrum. Schon sehr speziell auf die Dauer. Sollte man sich vielleicht vor und nach dem Hören der folgenden Platte auf voller Lautstärke reintun:

Die EMI hat zwar Paul McCartney vergrault, aber dafür Ringo Starr zurückgewonnen, der auch gar nicht lang gefackelt und gleich ein Album eingespielt hat. Was für ein Glück, dass man dem alten Ringo einfach nichts wirklich übel nehmen kann, Liverpool 8 (Capitol/EMI) würde nämlich ein paar triftige Gründe liefern. Die Platte ist einmal mehr eine Tour de force in Sachen arglos-kindlicher Naivität, die Ringo ja gepachtet hat und in die zunehmend nostalgische Schwelgerei suppt, auf die Spitze getrieben bereits im Opener/Titeltrack, mit seiner steinerweichenden Rückschau auf glorreiche Tage: „In the USA, when we played Shea“, singt Ringo mit gruselig nachbehandelter Stimme, „we were number one, man it was fun“. Wow. Bewegende Worte. So war das also damals: Fun, Mann. Den Rest besorgt die Musik, von Produzent Dave Stewart zugekleistert mit einem „bunten“, „facettenreichen“, aufgeblasenen Sound, der einem pausenlos aufdringliche Beatelismen in die Ohren schmiert und mit Shalala-Harmoniegesang-Overkill betäubt. Ja, da sind ein paar halbwegs charmante Momente („Harry’s Song“, in Gottes Namen), aber wer Ringo auch weiterhin nichts verübeln möchte, hält sich wohl besser fern.

Kurze Zwischenmeldung: Sollten Sie in diesen Tagen eine gewisse Unruhe verspüren – könnte ja sein, – weil sie das Debütalbum der deutschen Band Blind, blind (EMI), noch nicht gehört haben, dann kann ich Sie beruhigen: Das ist nur härter gespielte Bon-Jovi-Musik: Etwas gefühlig, etwas raubeinig, mit den ganzen standardmäßigen Powerchords und dem Power-Bass und den Powerdrums und der Powerproduktion, aufgehübscht hie und da mit phantom-der-opernhaften Keyboards irgendwo zwischen Tokio Hotel und HIM und Nightwish. Relax. Ach, waren Ihnen eh wurscht? Umso besser.

Und Torpedo. Torpedo aus Stockholm. Die können sich nicht damit zufrieden geben, dass sie eh schon in einer langweiligen Band spielen, Tiger Lou. Nein, die müssen auch noch eine Zweitband haben. Torpedo eben. Und diese wiederum können nicht einfach nur eine mittelspannende Platte machen mit zickigem Indiepop, wavigen Keyboardsprengseln, Saxofon-Getröt, etwas Kraut-Geblubber und einem Sänger mit anstrengend angestrengtem Pathos-Timbre. Nein. Die müssen dann auch noch was von der „Republic Of Torpedo“ schwadronieren, die angeblich beim Hören des Albums in the assembly line (Riptide/Cargo) bereist wird. Meine Güte, dann ist das eben die Republic Of Torpedo. Aber man möchte keine Bürgerrechte haben, weil die Songs gurke sind.

Ein bisschen unangeregt lassen einen auch die „tunes“ auf watershed (Warner) zurück, der neuen von k.d. lang. Nicht, dass man erwarten würde gerockt zu werden von der stets eleganten Spezialistin für gepflegten, durchdachten und perfekt exerzierten Edelpop mit gepflegtem Country-Flava. Aber da wird’s doch über Strecken so gepflegt und kaminfeuerballadig und gleichförmig und mitunter schier synthetisch glatt produziert, dass man fast ein bisschen, nun, einschläft.

Halbwegs zum Aufwachen, wenn auch nicht zum Ausflippen taugt bring on the comets (Labels/EMI), das zweite Album der sich smart gelierenden Indiepopper VHS Or Beta aus Louisville, Kentucky. Im Angebot: Gefällige Wavepop-Melodien mit mitunter „drückenden“ Refrains, glamig-aufpolierte Riffs, bissl Disco-Stampf, durchaus Anspruch und gut sitzende Anzüge. Aber halt nichts Weltbewegendes.

Und dann ist da Holger Fath-Tati, der sich Graf Tati nennt, Krawattentücher trägt und auf seinem Album lind (Apricot/ Rough Trade) natürlich – diese Floskel darf in keinem Apricot-Platteninfo fehlen – nach dem „perfekten Pop“ strebt. Das tönt dann auch recht exquisit, Bossa-Akustikgitarren zu geschmackvollen Synthflächen, dazu eine durchaus sympathische Gesangsstimme zwischen Erdmöbel-Berges und Kante-Thiessen, aber die alte Apricot-Krankheit rafft alles dahin: Es ist immer einen Tick (bzw. 300 Ticks) zu geschmackvoll, federleichtfüßig und 200%-prefabsproutig, und immer sternklare Nächte und Sommerregen und „der Mond von Bilbao“ und alles so hübsch und duftig und weltgewandt schöngeistig, dass man irgendwann nur noch dreinschlagen möchte.

Dann kann man entweder die Münchner Combo Grantig hören, aber an denen ist leider nur der Name witzig, alles andere ist Stumpfestmöglicher tätowierte-Arme-und-Hoodies-Neumetal mit Songtiteln wie „So muss es sein“ und „Totentanz“. Nein, da muss die Wuide Wachl her, die lustige Combo um Carl-Ludwig Reichert, Münchner Schriftsteller, Radiomann („Zündfunk“), Musikgelehiter, Underground-Urgestein (seine 7oer-Band Sparifankal ist Legende) und Querschädel, die auf babbalababb! (Mundart Ageh/Rough Trade) die Tradition saufrecher bayerischer Volkssänger wie dem Kraudn Sepp und dem Roider Jackl mit g’schert schräg und warmherzig hergedengeltem, 100 Prozent altherrenrockklischeefernem Blues und Country unterfüttert. Und uns den so wertvollen Rat mit ins neue Jahr gibt: „Leid, seid’sgscheit und zündt’s nix o, wos nacher neamd’s mehr lösch ’n ko.“