Kurz & Klein
Auf der Popkomm stellte die 2004 gegründete portugiesische Band Plastica ihr drittes Album kaleidoscope (Alive) vor, das inzwischen auch in Deutschland veröffentlicht wurde. Darauf bietet die Band so einen Neo-Wave-Pop, wie man ihn noch 2004/2005 wieder als halbwegs hip empfunden hätte. Trotz gelegentlich hübscher Melodie- und Arrangement-Einfälle hat der Sound der Portugiesen aber zu wenig Bandbreite, um auf Albumlänge noch so richtig spannend zu bleiben. Von ganz woanders, geografisch wie musikalisch, kommen Skeletons her: Die Truppe um den aus Chicago stammenden Filmemacher Matt Mehlan, die sich in Ohio formiert hat und jetzt in New York ihre Homebase hat, mischt auf money (Tomlab/…) allerhand eigenartige, interessante Geräusche und Rhythmen zu einer kunstvollen Kakophonie, die ein bisschen anmutet, als würde ein noch nervöserer Bruder von Thom Yorke über rückwärts gespielte Talking-Heads-Tracks singen.
Ziemlich ungewöhnlich für ein Debütalbum ist escapologist (Lola Lounge/Alive), der Erstling der etwas mysteriösen Dame mit dem Künstlernamen Tovah – das Album, das die Sängerin und Komponistin mit einer Crew von Leuten um den King-Crimson-Schlagzeuger Pat Mastelotto produziert hat, hört sich mit seiner aufwändigen Technik und den vielfältigen Bezügen zu Artrock, Ambient, Jazz, Dub eher sehr erwachsen denn wie ein Anfängerwerk an. Forscht man ein bisschen in der Biografie der Künstlerin, erklärt sich, warum: Die Frau ist mit vielen unterschiedlichen Projekten schon geraume Zeit musikalisch unterwegs, nur hat sie eben noch nie ein Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Der späte Erstling könnte Leuten gefallen, denen die frühe Kate Bush genauso zusagt wie manches von Björk, Peter Gabriel oder eben King Crimson.
The Audience aus dem fränkischen Herbruck haben sich bereits über die deutschen Landesgrenzen hinaus einen Ruf als exzellente Liveband erspielt. Hört man ihr zweites Album dancers and architects (Hazelwood Vinyl Plastics/Indigo), kann man sich bestens vorstellen, wie diese kompakte Kombi aus Postrock, Britpop und Wave aus der Bühne abgeht. Zwei junge Musikerinnen aus Schweden, die sich zusammen Montys Loco nennen, kredenzen auf ihrem vierten Album farewell mr. happy (Nons/Soulfood) einen heftigst von Björk, TripHop und auch ein bisschen Gothic und Industrial inspirierten Alternativ-Pop, der durch ganz interessante Grooves und Klangflächen und schnell zugängliche Melodien zunächst flugs das Ohr des Hörers gewinnt. Was nach einer Weile aber ganz schön nervt: Wie ungeniert hier der Gesangsstil des Vorbilds aus Island kopiert (und in seiner Inbrunst und Ausdrucksbreite natürlich nie erreicht) wird. Wer sich in diesen Wochen einen lustigen Abend mit bodenständiger Musik machen will, könnte es bei einem der Konzerte von DM Bob&Jem Finer versuchen. Pogues-Mitgründer Finer und sein Freund Deutschmark Bob hantieren zusammen mit allerlei Versatzstücken von Country Blues, Hillbilly, Bluegrass und Folk herum. Auf ihrem Longplayer piha-na (Hazelwood Vinyl Plastics / Indigo) klingen ihre Banjo-getriebenen Singalongs immer ein bisschen nach Parodie, aber spätabends im Liveclub dürften sie zünden. Zwei Veteranen der songschreibenden Zunft melden sich in diesem Herbst mit ganz unterschiedlichen Lebenszeichen: Jackson Browne hat sein dreizehntes Studioalbum time the conqueroh (Inside Recordongs/ADA/Rough Trade) betitelt – und wie um die verändernde Macht der Zeit auch optisch zu demonstrieren, präsentiert sich der einstige Beau unter den Songwriter-Stars von der Westküste auf dem Cover mit weißem Altmännerbart. Ein typisches Alterswerk ist das dennoch nicht geworden, die zehn Songs zeigen den Mann aus Southern California in ziemlich vitaler Verfassung. Einmal mehr (und engagierter als zeitweise in den 90er-Jahren) beschäftigt sich Browne mit politischen („The Drums Of War“), spirituellen („The Arms Of Night“) und gesellschaftlichen („Live Nude Cabaret“) Fragen. Verpackt hat er sie in einen schlanken, mätzchenfreien und damit relativ „zeitlosen“ Sound. Schade nur, dass ihm nur noch relativ selten (z.B. im Titeltrack und in „Going Down To Cuba“) zwingende Hooklines einzufallen scheinen.
Vor 35 Jahren veröffentlichte Lou Reed, ermutigt vom Erfolg seines Albums transformier mit dem Welthit „Walk On The Wild Side“, mit Berlin ein Album, so voll mit pechschwarzen Betrachtungen über Liebe, Paranoia und Selbstmord, dass das amerikanische Publikum seinerzeit verstört abwinkte. Heute gilt das Werk durchaus als eines von Reeds bedeutenderen. Im Winter 2006 führte Reed den Songzyklus in Brooklyn erstmals live auf, der Maler und Regisseur Julian Schnabel machte daraus einen, tja, „stimmungsvollen“ Konzertfilm. Nun ist das Ganze unter dem Titel Berlin: live at ST. ann’s warehouse (Matador/Beggars/Indigo) auch als Live-CD zu haben. Natürlich hat Reed sich dafür eine Schar illustrer Musiker auf die Bühne geholt, die die Songs erwartbar kompetent umsetzen. Trotzdem wirkt das alles ein bisschen wie die sorgsam kuratorische Präsentation künstlerisch wertvoller, aber halt doch schon leicht angestaubter Exponate. Ein Fall für’s Feuilleton.
Ausklingen lassen wollen wir diese kleine Schallplanenschau ganz der Jahreszeit gemäß auf einer adventlichen Note: Die rührigen und immer wieder für ihren Idealismus und ihren Einfallsreichtum zu bewundernden Leute vom Münchner Label Trikont lassen ihrem 2007er Weihnachtssampler wish you best Christmas ever eine zweite Ausgabe folgen: wish you too best christmas ever (Trikont/Indigo). Darauf versammeln sie überwiegend amerikanische Weihnachtsaufnahmen aus unterschiedlichen Jahrzehnten und Genres. Neben Stars des Southern Soul wie Clarence Carter, Carla Thomas, den Staple Singers oder Booker T & The MGs sind hier auch Chanson-Diseusen (Marianne Dissard & Amaparo Sanchez), die Ramones, die Wave-Band The Waitresses (mit einem freilich etwas soulig angehauchten Arrangement), die Ramones und die Rootsrock-Überväter The Band vertreten; der Klassiker „Sleigh Ride“ („Schlittenfahrt“) wird vom Münchner Japanerduo Coconami ausgerechnet auf der Ukulele intoniert, Bluesmann Sonnyboy Williamson II ist genauso berücksichtigt wie Bill Monroe And His Blue Grass Boys. Auf dem Papier liest sich diese irgendwie am Thema „American Roots“ orientierte Zusammenstellung ziemlich beliebig, aber beim Hören findet das alles ganz wundersam und wunderbar launig zusammen – der erste Schnee kann von mir aus kommen.