Kurz & Klein


Locker 85 Prozent aller Texte in der Popmusik sind Quatsch. Das wissen wir. Daran haben wir uns gewöhnt. Warum finden wir nun aber die Texte von Katja Werkers Dakota (EMI) so derart platt, während wir uns darauf freuen können, zur heit’ren Abendsrund‘ Ramones-Songs mitzugröhlen? Vielleicht weil es einen Unterschied darstellt, wenn mir jemand zur rhythmischen Untermalung seiner simplen Drei-Akkord-Kracher „Hey Ho Let’s Go“ entgegenröhrt und sich aller Vermutung nach keine ernsthaften Gedanken über die von ihm gekläfften Silben macht und wenn mir jemand zu sanften Pianoklängen mit fraglos schöner, satter Stimme eindringlich nahe bringt, dass your love like a rollercoaster sei, die einen up und down taket? Schlechter Vergleich? Ja. Schlechte Platte? Auch ja. Zumindest für Leute, die so etwas nicht mögen.

Nicht mögen tut auch Everlast so manches. Hurrikan Katrina zum Beispiel. Und Tsunamis. Und die New York Times. Und CNN. Und „politicans that pretend to be the working man’s friend“. Die gehören der wohlüberlegten Ansicht des 38-Jährigen nach nämlich alle mal gefickt. Dazu ruft er lauthals in alter Straßenköter-Manier im ersten Song seines neuen Albums love, war, and the ghost of whitey ford (PIAS/RTD) auf. „Kill The Emperor“ heißt das Stück mit dem dumpfbackigen Refrain „I think I would, if I could, kill the emperor“. Genau. Wozu auch mit Leuten reden oder sie von guten Ideen überzeugen wollen, wenn man sie auch einfach töten kann? Und warum löst man eigentlich House Of Pain auf, um an seiner Solokarriere weiterzubasteln, und sampelt dann auf seinem fünften Eigenwurf den größten House-Of-Pain-Hit „Jump Around“? Ist das ironisch? Muss man das verstehen? Und wenn ja, kann man’s auch bleiben lassen?

Ähnliche Fragen auch an Rainer von Vielen und seinen kauz (Motor/Edel). Wie eh und je auf größtmögliche Heterogenität angelegter Mix aus HipHop, Punkpop, Elektrofunk und letztlich allem anderen. Wie eh und je zu gleichen Teilen aber auch interessant und anstrengend. Hört sich an wie ein Workshop, in dem dir ein hoch motivierter Superchecker beibringt, was in der Welt der Musik denn alles so möglich ist. Im Vorprogramm der Fanta 4 gut vorstellbar.

Auch ein Super-Support und schon seit Langem im Lager der kniehohe Rautensocken, brennende Totenschädeltattoos und Ponyhaarschnitt Tragenden angesagt: Die Mannequin aus Toronto. Auf unicorn steak (Warner) schalten sie Songs ihrer EPs „Slaughter Daughter“ und „How To Kill“ hintereinander und klatschen noch zwei Songs obendrauf. Und auch wenn man diese Art des Teenage-Angst-Hardcore-Punks prinzipiell als albern empfinden mag und sich von Sängerinnen, die auf der Bühne der Selbstverstümmelung frönen, eigentlich nur wenig beeindrucken lässt: Das ist schon ziemlich sehr gute Musik. Die punktgenaue Produktion von MSTRKRFTs Jesse F. Keeler, Billy Talents Ian D’Sa und Junior Sanchez tut ihr Übriges. Die könnten groß werden. Mal für den Moment so behauptet.

Eine zumindest klangliche Größe haben die Römer Klimt 1918 schon vor Jahren erreicht. Auf ihrem dritten Album just IN CASE WE’LL NEVER MEET AGAIN (SOUNDTRACK FOR THE CASsette Generation) (Prophecy/Soulfood) setzen sie den Trend des 2005er Vorgängers dopoguehra fort, ihre Goth-Metal-Einflüsse zugunsten euphorischen Shoegazer-Postrocks zu vernachlässigen. Interpol und Bernard Butler besaufen sich mit Absinth und Mogwai. Wer nicht versteht, dass Kitsch für manche als Pfui-Wort gilt, der wird diese Musik verstehen. Hoffentlich gibt es viele dieser Wers da draußen.

Auf großflächige Beachtung können auch die Kölner The Rain mit ihrem Erstling involver (Groove Attack) hoffen. Online-Kollegen Wopperer haben sie bereits auf ihrer Seite. Auf seiner liebevoll geführten Website www.musikexpress.de feierte er „Big Lie“, den eindeutigsten aller Hits dieser Platte, schon im Oktober letzten Jahres als „perfekt abgezirkelten, tighten Parade-Indie-Krache für dessen Riff in den 90ern jede zweite Band getötet hätte“. Starke Worte, starker Wopperer, starke Band, die trotz der Übernahme des ursprünglichen Bandnamens von Oasis so gar nichts mit dem Lad-Sound der Mancunians gemein hat. Vielmehr dürften sich hier Freunde und Unterstützer von Placebo und den ganz alten Radiohead angesprochen fühlen.

And now for something completely different: Police in dub (Echo Beach/Indigo) nämlich. Police-Songs in Dubversionen. Hoo-Ha! Und erst der Künstlername: DubXanne. Wocka Wocka Wocka! Dann noch der Hinweis auf der Vorab-Promo: „For promotional use only -do not eat or sell.“ Was für ein herrlich abstruser Gedanke! Was läge schließlich näher, als eine Promo-CD aufzuessen? So immens unlustig das alles ist, so schlecht ist der Inhalt dann doch nicht. Etwas überflüssig halt und genau so, wie man ihn sich vorstellt. Aber schön instrumentiert und selbst, oder besser: eben gerade für dezidierte The-Police-Nichtmöger gut durchhörbar.

Von den 8oern soll es nun noch einen Schritt zurückgehen. Das wievielte 7OS-Rock-Revival bescheren uns hier eigentlich Birds Of Avalon mit ihrem Debüt bazaar bazaar (Rykodisc/RTD)? Egal, die kommen eh alle wieder. Diesmal allerdings nicht als die handelsübliche, alles flachlegen wollende Neuauflage Thin Lizzys oder manische Kopie Led Zeppelins, sondern als Wiedergeburt der späten, ohnehin gar nicht mal so danebenen The Doors, der erwachsen gewordenen The Sweet und sogar der frühen Deep Purple und Queen. Das hört sich dann so an (wie könnte es auch anders?): quirlige Gitarren-Odysseen, warmes, angepsychedelischtes Hammond-Georgel, dumpf stampfender Beat und genretypisch unaufdringlicher Gesang, der gegenüber den Gitarrenspuren immer das Nachsehen hat. Eine durchwegs schöne Hommage mit viel Sachverstand, ausgefuchst und angenehm unsexy.

Ebenfalls unsexy, allerdings weniger herrlich: als Newcomerband bei einer MTV-Show teilzunehmen, bei der sich ein Konzertsupport für Anastacia gewinnen lässt, und dann auch noch zu verlieren. That’s the Story of The Alpine, einer Band aus dem neuen Schweden, Dänemark, there’s only so much you can DO (Exzess Berlin/RTD) heißt ihre dritte Platte, der die Sonne ganz schön aus dem Popo scheint. Mancher mag sich davon blenden lassen, manch anderer geblendet fühlen. Gefälliger Grinsepop, der, wenn er junge Musikkonsumenten dazu inspiriert, sich in die ersten beiden Alben der Cardigans zu verlieben, absolut existenzberechtigt ist.

Existenz und wie man die Oberhand über sie gewinnt: Die Münchner/Nürnberger/Hamburger Missouri sind auf Coming DOWN THE HILL WITH A PICTURESQUE VIEW (Micropal/ Broken Silence) schon wieder eine neue Band. Nach Inkarnationen als Americana-, Experimentalisten- und schließlich Voodoopop-Gruppe präsentieren sie sich nun als lässige Soulkombo – immer noch mit gehörigem Groove, leider aber auch mit weniger Kanten als bisher. Saisonal bedingt sieht man ihnen das aber gerne nach.