Kurz & Klein
"Variatio delectat" (Abwechslung erfreut) -lat. Spruchweisheit.
Über all den Diskussionen und all dem Bohei um britische Neo New Wave, um Emo oder nicht Emo oder um Neuen Prog wollen wir nicht ganz vergessen, dass in der bunten weiten Welt des Pop Monat für Monat eine Vielzahl von Alben in unterschiedlichsten Genres erscheint, die alle für sich in Anspruch nehmen, unsere Zeit relevant widerzuspiegeln – mal mit mehr, mal mit weniger Berechtigung:
Der französische Altmeister Jean-Michel Jarre wird die Probleme vieler Elektronikmusiker seiner Generation auch auf t£o & tea (Warner) nicht los: Da begegnet der Hörer immer wieder altbackenen und stumpfen Grooves, ganz gTundsätzlich scheint Jarres Ästhetik in den 70er-Jahren stecken geblieben zu sein, der übermächtige Schatten von Tangerine Dream hängt wie eh und je über seiner Musik und gibt ihr inzwischen etwas Ewig-Gestriges. Da helfen auch Aufhübsch-Versuche durch den einen oder anderen neumodischen Sound oder gar Gimmicks wie das weibliche Lustgestöhne in „Beautiful Agony“ nix. Immerhin mischt Jarre nach wie vor schöne Klangfarben an und auch nicht-elektronische Farbtupfer (wie mal eine Twang-Gitarre hier und etwas Ethno-Getrommel da) mit hinein.(V.O. 26.3.) Auch nicht mehr richtig in die Spur kommen die seinerzeit 2001 mit so viel Vorschusslorbeeren gefeierten Kosheen Die eigentlich ganz reizvolle, unterkühltsinnliche Stimme von Sian Evens wird auf Dam age (Island/Universal) in Arrangements verheizt, die zum Teil wie billige Giorgio-Moroder-Kopien (man höre „Overkill“ und „Like A Book“) klingen. Mit zunehmender Spieldauer wirken auch die anfanglich ganz einnehmenden Melodien immer vordergründiger, vor diesem Hintergrund bekommt der Gesang dann fast schon etwas Jennifer-Rush-haftes.
Das eigenwillige Berliner Musikerkollektiv 17 Hippies erfrischt nach dem Kosheen-Schlock auf seinem zweiten Studioalbum HEIMLICH (Hipster Records/ Soulfood) mit quasi naturbelassener Musikalität und Vielseitigkeit. In drei Sprachen geht es mit zum Teil halsbrecherischem Tempo durch eine Reihe unterschiedlicher, jeweils leicht angeschrägt interpretierter Stilistiken, vom Chanson bis zum rumänischen Tanz, von TexMex bis Bollywood. New Bohemia der unterhaltsamsten Art!
Als weitgehend unbekannter Mundharmonika-Spieler ein Album von Star-Producer Daniel Lanois inszeniert zu bekommen, geht wohl nur bei außergewöhnlich guten Beziehungen – die hat Bob Lanois in diesem Fall zweifelsohne, denn er ist der Bruder des vielbeschäftigen kanadischen Soundmagiers. Auf snake road (Cordova Bay/Point Music Import) verfertigen die beiden Lanois aus Versatzstücken der Folkmusic ihrer Heimatprovinz Quebec neun instrumentale Stimmungsbilder, die stark von diesem typischen, flirrenden, vieles nur andeutenden Sound geprägt sind, den Daniel auch bei seinen Produktionsjobs für Berühmtheiten von Uz bis Emmylou Harris so effektvoll einsetzt. Leider reicht das Harmonikaspiel seines Bruders dann doch nicht aus, um diese an sich hübschen Skizzen über die volle Laufzeit eines Albums spannend zu halten.
Ob Popakademien zu irgendetwas gut sind , wird wohl so lange umstritten sein, wie es diese Einrichtungen gibt. Auf der international bekanntesten dieser Anstalten, dem von Paul Mc-Cartney gegründeten Liverpool Institute for Performing Arts (Ll PA) haben sich drei Deutsche und jene Engländerin kennengelernt, die zusammen das Quartett Sonnenberg bilden. Trotz des deutschen Bandnamens enthält ihr gemeinsames Debütalbum fishing in the POOL (wrww.sonnenbergtheband.com) ausschließlich englischsprachige Songs. Ihr Sound pendelt zwischen 6oer-Jahre-Folkrock mit teils schöner Akustikgitarrenarbeit und James-Bluntigem Verkehrswellen-Biederpop. Gelegentlich erinnert das Tremolo in Sänger Zinney’s Stimme an Chris de Burgh – und da beginnt der Rezensent sich dann zu gTausen …
Wie man mit Anstand Popsongs machen kann, die auch Verkehrsfunk-Stationen spielen, haben jahrelang die Bananafishbonesbewiesen. Das scheint den drei Tölzern jetzt nicht mehr genug zu sein, jedenfalls vermittelt when you pass by (Südpolrecords/Alive) den Eindruck, es sei ihnen diesmal vor allem darum gegangen, ein möglichst indie-kredibles Werk abzuliefern. Das kostet die 13 geschmackvoll produzierten Tracks aber einiges von der Farbe und melodischen Strahlkraft, kurz: dem Popappeal ihrer früheren Alben. Lediglich „Falling Stars“, der Pseudo-Hillbilly-Pop von „Into the Sea“ und „Heavenly Creature“ mitseinem schrägen Kinderchor bleiben da im Ohr hängen.
Wer sich das, was an den frühen Nena-Platten erfreulich war, in einem Gemisch mit Einflüssen von Bloc Party, den Killers oder auch den Dandy Warhols vorstellen kann, der liegt damit schon ziemlich nah an dem sympathisch zappeligen, kompakten deutschsprachigen Pop, den Team Blender auf erstmal für immer (Burning Heart/Indigo) anbieten. Vor dichten Gitarrenwänden und strammen Grooves fängt Sängerin Barbara Hanff den Hörer mit raffiniertem Kindfrauencharme ein.