Kurz & klein
Einen Gemischtwarenladen wie diesen eröffnet man am besten mit einem Gemischtwarenalbum. Es heißt ABOUT SONGS VOL. 1 (Devilduck/Soulfood), ist der Auftakt einer sehr subjektiv compilierten CD-Serie und hat 16 Lieder von mehr oder weniger bekannten „Acts“ (R.E.M., Nada Surf, BRMC, John Vanderslice, Midnight Choir, Songs:Ohia), denen man allen eine gewisse Nähe zum Americana-Genre nicht absprechen kann. Im Mittelpunkt steht – erraten – der Song.
Wenn Cocteau Twin Simon Raymonde ein Loblied auf eine Band singt, dann sollte man darauf mit gesundem Mißtrauen reagieren. Aber Raymonde hat ja Recht, wenn er Tristeza und ihr drittes Album A Colores (Better Looking/Indigo) in den höchsten Tönen lobt. Was der Album-Leaf-Mann Jimmy Lavalle hiermit seinem Nebenprojekt macht, ist schwer einzuordnende Instrumentalmusik voller Magie und Imaginationskraft – jenseits von fast allem, was sich sonst auf diesen Seiten abspielt.
Die Dänen sind, was ihre Internationalität betrifft rein musikmacherisch gesprochen – quantitativ nicht so weit vorne wie ihre Nachbarn, die Schweden. Aber wenn dann mal was die Landesgrenzen überschreitet, dann geht das meistens schon okay. So wie Hush, die mit A LIFETIME (Universal) ein Es-ist-Sommer-und-wir-hüpfen-über-die-Wiese-und-liegen-dann-dumm-am-Seerum-Album gemacht haben. So postmoderner Hippie-Scheißhalt, auf dem Sängerin Dorthe Gerlach mitunter wie Marc Bolan in seiner LSD-Fantasy-Folk-Phase klingt.
Wo wir gerade bei Dänemark und Schweden sind: Lampshade durfte der wahrgewordene Traum für alle skandinavophilen Musikliebhaber sein – ein Quartett, das zu gleichen Teilen aus Dänen und Schweden besteht. Gut, ne? LET’S AWAY ist das zweite Album der Band und so leicht-ätherischer, traumfoikiger Indie-Pop mit einer Sängerin namens Rebekkamaria, die wie eine Mischung aus Björk und Stina Nordenstam klingt, auch wenn das Presseinfo behauptet, daß sich die Sängerin „hier souverän von dem ewigen Björk-Vergleich „löst.
Allein wenn man die Biografie von The Eighteenth Day Of May liest, bekommt man Hirnflimmern. Wer da mit wem rummacht, in welchen Bands er vorher rumgemacht hat, wer dann wann ein- und ausgestiegen ist und aus welchen Ländern (Schweden sind auch dabei) die Bandmitglieder stammen – DAS ALLES WIRD MIR LANGSAM ZU VIEL! Einigen wir uns darauf, daß Menschen, die ein Lied von Bert Jansch covern, nicht böse sein können und daß wir es bei THE EIGHTEENTH DAY OF MAY (Hannibal/Rough Trade) mit einem stellenweise wunderbaren Neo-Folk-Album zu tun haben, zu dem Freunde der lncredible String Band genausowenig nein sagen sollten wie die von Spacemen.
Noch ein bißchen mehr von diesen wahnsinnig interessanten Der-hat-bei-dem-mitgespielt-und-der-andere-hat-die-und-die-Band-coproduziert-Informationen? Bitteschön. Da greifen wir doch zu The Boy Group. Die Bestehtaus Xtian (Christian) Härder, Viktor Marek und Moritz Love. Diese Menschen sind in der Vergangenheit aufgefallen durch Herumtuer- und -produziererei mit/von Egoexpress, MediengruppeTelekommander, Knarf Rellöm, Die Türen und einer Million anderer. Gemeinsam haben sie das Album LOVE IS A FREAQUENCY (Enduro/Broken Silence) aufgenommen. Es ist nicht gut. Unzwingender HipHop-Electro-Funk-R’n’B mit „lustigen“ Texten.
Jetzt könnte ich ein bißchen was Elektronisches vertragen, was mit einer ordentlichen Bassline, die mir den Humor-Schmalz aus den Ohren bläst. Motor ist auch so ein multinationales Duo (Frankreich. USA) mit allerlei Referenzkram in der Biographie (Remixe für Marylin Manson, Depeche Mode – Motor-Mann Bryan Black war früher Tonmensch in Princens „Paisley Park Studios“). KLUNK (Novamute/EMI) ist ein Sequencer-getriebenes, Indus trial-geflavourtes Techno-Brett mit Acid-House-Referenzen, das wahrscheinlich nur dann keine Aggressionen auslöst, wenn man kleine bunte Ich-hab-euch-alle-so-lieb-Tabletten geschluckt hat.
Dagegen ist nicht bekannt, was man schlucken muß, um sich diesen amerikanischen „Punk“- oder Emo- oder Wasauchimmer-Rock schönzuhören. So was wie Taking Back Sunday mit Loudernow (Warner). Fürchterlich.
Ganz unfürchterlich dagegen das dritte Soloalbum von Wilco- und Loose-Fur-Percussionist Glenn Kotche. Auf MOBILE (Nonsuch/Warner) experimentiert Kotche mit dem, was er am besten beherrscht, den Percussioninstrumenten – und arbeitet sich damit jenseits der äußersten Ränder der Populärmusik entlang. Dort, wo Menschen wie Steve Reich zu Hause sind.
Eine der ödesten Bands, die Großbritannien in den vergangenen zehn Jahren hervorgebracht hat, sind die Stereophonics. Dieses weitgehend songfreie Post-Grunge-Genöle ist schon auf den Studioalben schwer zu ertragen. aber 20 Songs auf zwei CDs LIVE FROM DAKOTA (V2/ Rough Trade) will doch niemand hören, oder?
Wo wir uns gerade in der Abteilung „unnötige Live-Doppel- Alben, die an komischen Orten aufgenommen wurden“ befinden, wollen wir gerne noch verweilen und uns dem John Butler Trio und live at st. gallen (Inkubator/Soulfood) widmen. In seiner Heimat Australien ist Butler ein Superstar, der eine Fantastillon Alben verkauft. Und wieder müssen wir feststellen, daß ein Künstler ein netter Kerl sein mag, daß Nettigkeit aber überhaupt nichts über die Qualität der Musik aussagt. Weil: unspannender und unzwingender Folk-Pop, der sich vorrangig an Leute richtet, die sich nicht für Musik interessieren.
Dicke-Eier-Rock: Hundred Reasons mit ihrem zweiten Album KILL YOUR OWN (V2/RoughTrade), dessen größte Kunst darin besteht, daß ein paar Engländer es schaffen, schlecht-amerikanischer zu klingen als so Schlecht-Amerikaner wie zum Beispiel Taking Back Sunday.
Dagegen möge die amerikanische Death Ray Music leben! Viva L’American Death Ray Music heißt die Band von Nicholas Ray. in der auch Ex-Mitglieder von Tav Falco & Panther Bums, der Begleitband von Andre Williams und jüngst auch The-Polyphonic-Spree-Schlagzeuger Jeffrey Bouck mitrummachen, IN THE MEANTIME (Trans Solar Records/PIAS/Rough Trade) ist eine psychedelic-poppige, post-punkige Angelegenheit, die den Schreiber dieser Zeilen bereits zum zweiten Mal in dieser Rubrik den Vergleich mit den weitgehend vergessenen, aber höchst wiederentdeckenswerten Spaceman 3 bemühen läßt. Ein Live-Doppel-Album von Motley Crüe hätten wir auch noch im Angebot. Aber da hört’s dann wirklich auf.