Hirnflimmern

Kreuzbescheuerter Kommerzfasching: Wer Super Bowl glotzt, hat kein Leben


Die Zukunft, die einmal gewesen sein wird, hätte man sich 1995 noch nicht träumen lassen. Die Hirnflimmern-Kolumne von Josef Winkler aus der ME-Ausgabe 05/2023.

So viel Ärger überall. All this aggravation ain’t satisfactioning me! Drum hab ich heute zum Einstieg sowie zum Runterkommen erst einmal Lyrik für Sie. Ein Gedicht. Selbst verfasst. Ich nenne es „Der Superbowl“. Also, bitte. Bereit? Hier we go.

DER SUPERBOWL

Der Superbowl / der kann mich mowl.

Ja, das war’s auch schon, wir haben ja hier keinen Platz zu verschenken. Außerdem wird mir grad klar, dass auch diese unschuldige Dichtung schon wieder Konfliktpotenzial in sich birgt. Da ist ja so ein gewisser grummeliger Unterton nicht zu verkennen, wenn der Verfasser gleichsam unausgesprochen Fragen in den Raum stellt wie: Seid ihr eigentlich deppert, euch jedes Jahr aufs Neue von diesem kreuzbescheuerten Kommerzfasching einfangen zu lassen, und alle wedeln sich einen ab, was denn wohl in der HALBZEITSHOW los sein und was für sensationelle „Ads“ die werbetreibende Ausbeutungsindustrie wieder produziert haben wird (Futur II, thank you very much).

Get a life, Leute! Habt ihr nix zu tun?

Die machen die nämlich EXTRA nur für dieses Event, das sind so richtige kleine Filme! Wow. Echt. Hallo? WERBESPOTS? Die Cannes-Rolle oder wie? Irgendwie voll enthusiastisch über WERBESPOTS abzugehen find ich derart 90er-Jahre-Souterrain, da zieh ich mir lieber freiwillig noch ein Schlager-Revival mit Dieter Tomas Kuhn rein, bevor ich mir den Sozialwashing-Klumpatsch von irgendeinem Gummischuhverkäufer anschau. Und dann sitzen da erwachsene Menschen um 4 Uhr früh mit leuchtenden Augen … Was ist da los? Get a life, Leute! Habt ihr nix zu tun? Dann kommt vorbei, ihr könnt mein Boot streichen! Bildlich gesprochen. Ich habe kein Boot, und das von Gunter Gabriel ist ja von dem abominable Mr. Kliemann und seinem willigen Vollstrecker Olli Schulz verhunzt wordennnaaarrrgghh!!

Ist Fynn Kliemann nun komplett abgedreht?

Sie merken es schon, das war nix mit dem Runterkommen. Wie auch? Ja, ich möchte sagen: Wer in diesen Tagen noch runterkommen kann, hat nur den Ernst der Lage nicht erkannt. Ich hab schon überlegt, ich trage jetzt nur noch Schwarz, solange die FDP in der Regierung und Alice Schwarzer in Talkshows sitzen darf. Aber ach … Und diese Jugend! „Der Slash ist jetzt wieder drin!“, schreibt die Layouterin, sie hat einen gelöschten Schrägstrich wieder in ein Intro gesetzt. „Haha! Wie bei Guns N’ Roses!“, antworte ich. 1995 rausgeflogen, der Slash – wenn man damals schon gewusst hätte, dass er 28 Jahre später wieder eingestiegen sein wird, dann hätten sie einem vielleicht zum abermaligen korrekten Gebrauch des Futur II gratuliert, aber nicht geglaubt, dass es in 28 Jahren Guns N’ Roses, Slash und möglicherweise die Welt überhaupt noch gibt …

„Guns N’ Roses? Slash? Da klingelt’s nicht, was?“ „Nein, nicht so richtig“, schreibt sie. Diese jungen Leute! Kennen nix mehr! Ich möcht gar nicht wissen, welchen potenziell halbzeitpausentauglichen Superbull das arme Mädchen in seiner Freizeit hö… Sie steht mehr auf Paul Simon und Cat Stevens, schreibt sie. Und ich sage: „Oh.“

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2023.