Krawall und Remmidemmi
Seit einem Vierteljahrhundert sind Sonic Youth im Auftrag der Klangerforschung unterwegs. Abseits der Hauptströme der populären Musik. Eine Zwischenbilanz zum Jubiläum.
Man muß ja nicht gleich übertreiben. Und von einem magischen Moment reden. Nein, es war kein magischer Moment, aber es war ein bemerkenswertes Szenario, das an diesem Samstag im Juni vergangenen ] ahres ab 21.40 Uhr eine knappe Stunde lang zu beobachten war bei Deutschlands größtem Open-air-Festival „Rock am Ring“. Da standen Sonic Youth auf der Bühne, auf der „Alternastage“, damals noch mit Jim O’Rourke, dem multiinstrumentalistischen Hexenmeister der wahren Indie-Musik, als festem Mitglied. Fünf Menschen zwischen Mitte 30 und Mitte 50, die „ihr Ding durchzogen“, die wie die Musikarbeiter auf der Bühne herumwuselten und durch geschickte Anordnung ihrer komisch gestimmten Gitarren an den Verstärkern ihre Songs mit Feedbacks auf ein AbstTaktionslevel hievten, was man eher seltener hatauf Deutschlands größtem Rockfestival. Und was das Erstaunlichste war: Das Rock-Publikum, das zwei Bands vorher Feeder zugejohlt hatte und in einer knappen Stunde Garbage zujubeln wird, ist sprachlos. Wie eine Armee, die in Erwartung des Feindes mit adrenalinkochendem Blut über einen Berghang marschiert, und der Feind ist nicht da, aber das Adrenalin noch im Blut. Wir sind verwirrt. Was geht da ab? Was sollen wir tun? Einfach mal stillsein und zuhören.
Sommer 1981, New York. Eine Kunstgalerie in Soho. Thurston Moore ist der Kurator des mehrtägigen „Big Noise Festivals“ mit experimenteller Rockmusik. Auf der Bühne stehen Moore und Kim Gordon und ein paar Musiker aus der dritten Generation New Yorker Punks und spielen eine kleine improvisierte Lärmmusik. Lee Ranaldo, der mit seiner Band vorher aufgetreten war, sieht sich das an, nimmt seine Gitarre, geht spontan auf die Bühne, stöpselt die Gitarre in einen Verstärker und lärmt mit. „Das ist meinefrüheste Erinnerung an SonicYouth „, sagt Ranaldo. „Das Festival hat acht oder neun Tage gedauert. Ich habe mich in diesen Tagen öfters mit Kim unterhalten. Dabeikam die Idee, daß wir drei doch zusammen spielen könnten. Gleich nachdem das Festival zu Ende war, haben wir unsere Verstärker in der Galerie aufgebaut und zusammen gespielt. Das war der Anfang von Sonic Youth. Wir haben als Trio begonnen – ohne Schlagzeuger -und ein paar Shows gespielt. Von da an ging ’s los.“ Mit wechselnden Schlagzeugern, bis Steve Shelley im Jahr 1984 den Posten dauerhaft besetzt. Die Bilanz seither: Zwei legendäre Alben in den 8oern: SISTERundDAYDREAM NATION. Zwei legendäre Alben
in den goern: goo und dirty, die soundästhetisch in die Grunge-Schublade gepackt wurden, weil sie genau das richtige Mischungsverhältnis aus Noise und Pop enthielten, das damals nötig war. Seit Ende der 90er Jahre diverse Platten auf dem Band-eigenen Label „SonicYouth Recordings“ mit freier Improvisation, Klangcollagen, Feedbackorgien und Interpretationen von Werken zeitgenössischer Komponisten wie lohn Cage, Cornelius Cardewund Christian Wolff. Dazu eine Million Nebenprojekte von Moore, Ranaldo und Gordon mit Improvisatoren und Free-Jazzern wie Evan Parker, Elliott Sharp und William Hooker. Ist das noch indie?
Sonic Youth sind in gewisser H insich t sehr altmo dische Menschen. Weil sie sich nicht über das definieren, was sie darstellen, oder gerne darstellen wollen, sondern über das, was sie sind und das, was sie können. Das ist altmodisch. Sonic Youth sind anders, weil sie nicht anders können als anders zu sein. Draußensein ist bei ihnen eine wirkliche Haltung, kein gefühltes Draußensein in einer Community von tausenden Indie-Spießern, die Stunden vordem Spiegel damit verbringen, sich selbst und ihre Frisuren auf indie zu
fönen, zu bürsten und zu sprayen. Die Fragen, die den musikalisch aufgeschlossenen Jugendlichen heutzutage bewegen, kann man in den einschlägigen Internetforen nachlesen: Wenn meine Lieblings-Band in einer 3000er Halle spielt, wie indie ist sie dann noch? Gibt es überhaupt noch einen Mainstream? Was ist In die? Ist Indie thenew mainstream, wenn Franz Ferdinand in derselben Halle spielen wie Silbermond? Abgesehen davon, daß indie (independent = unabhängig) in erster Linie eine Geisteshaltung ist, die sich nicht an Zuschauerzahlen messen läßt, wird es immer einen Untergrund geben, an dem es immer noch ein bißchen untergrundiger zugeht, als an den auf abgefucktschick designten Orten, an denen sich die Leute aufhalten, die sich für indie halten. Leute, die durch so bedeutende Fragen, wie „welche Klamotten, welche Schuhe muß ich tragen, um nicht yesterday zu sein?“, in der gleichen Konsumfalle stecken, wie die Mainstream-Spießer, die sie angeblich ablehnen. Und in diesem untergrundigen Untergrund sind Sonic Youth zuhause, die sich in 25 Jahren von keiner „Szene“ haben vereinnahmen lassen, auch wenn sie mit manchen Szenen, die im letzten Vierteljahrhundert gekommen und gegangen sind, sympathisiert haben.
1992 hatten Sonic Youth auf ihrer Tournee eine Band im Vorprogramm, die hieß Nirvana. Kurz nach dieser Tournee wurden Nirvana zu Superstars, zum Mainstream, und bald darauf wurden Sonic Youth als Urväter des Grunge bezeichnet. „In den goern wurden wir mit dem ganzen Seattle-Grunge-Ding in Verbindunggebracht. Aber mehr als eine Inspirationfiir manche dieserBands, nicht unbedingt als musikalischeVorbilder“, sagt Ranaldo. „Aber wir haben uns eher dem frühen Downtown-New-York-Movement zugehörig gefühlt. Angefangen beiden Ramones über eine Menge NewYorker künstlerischer undexperimenteller Musik. Als wir angefangen haben, fühlten wir uns beeinflußt von der Punk-Szene, Ramones, Voidoids, Television, Talking Heads. Patti Smith, bis hin zu No-Wave- Bands wie Teenage Jesus, DNA undThe Contortions. Wir waren Teil der nächsten Welle nach diesen Bands.“
Sonic Youth haben sich nie als Waffe gegen den Mainstream gefühlt, obwohl sie über die Jahre als genau das empfunden wurden. „Wir haben uns soviele Aspekte der Mainstreamkultur zu eigen gemacht. Das wäre falsch, uns so zu betrachten. Wir haben auch nie gegen den Mainstream revoltiert. Natürlich haben wir außerhalb des Mainstream gearbeitet. Aus verschiedenen Gründen: Weil der Mainstream nicht an dem interessiert war, was wir gemacht haben. Und größtenteils auch umgekehrt.“
Ob 25 Jahre Sonic Youth ein Grund zum Fei
ern ist, darüber ist sich die Band noch nicht im Klaren. „Wir haben schon darüber geredet, ob wir das Jubiläum feiern sollen „, sagt Ranaldo, „aber wir werden wahrscheinlich keine große Sache daraus machen. Ich weiß nicht… ich bin schon sehr stolz darauf, und ich bin davon überrascht. „Und wo er gerade nachdenkt über Jubiläen, den Mainstream und die Hochkultur, da fällt ihm noch was ein. Im April wurde das Album DAYDREAM NATION in die „Library Of CongTess“ aufgenommen. „Das ist ein Kulturarchiv mitTonaufnahmen von der letzten Jahrhundertwende bis heute. Das Archiv will diese Aufnahmen der Nachwelt erhalten.“
Jedes Jahr werden 50 Aufnahmen neu aufgenommen. Diesmal waren dabei: „Singin‘ The Blues“ von Frankie Trumbauer And His Orchestra With Bix Beiderbecke aus dem Jahr 1927, Beethovens „Egmont Overtüre“ in der Aufnahme einer High School Band aus Kalifornien von 1930, die Radioübertragung des Boxkampfes Joe Louis gegen Max Schmeling von 1938, ARE YOU EX-PERIENCED? von Jimi Hendrix und eben DAYDREAM NATION. „Es ist interessant, daß das ausgerechnet in unserem zsJahrgeschehen ist“, sagt Lee Ranaldo. Die Musik des Aushängeschilds der Gegenkultur der 80er Jahre wird vom amerikanischen Kongreß für würdig befunden, für die Nachwelt erhalten zu bleiben. Das ist nicht nur „interessant“, das ist ein geradezu magischer Moment.»>
www.sonicyouth.com —