König der Battler
Erst im Interview fällt Samy Deluxe auf, dass seine neue LP reichlich heiße Luft enthält.
Trotzdem, beteuert er, verrät er mehr über sich denn je. Dass Samy Deluxe bereit ist, den ersten Schritt zu tun, um das Gespräch zu retten, muss ihm hoch angerechnet werden. „Okay. jetzt muss ich das nachprüfen, was du da sagst“, murmelt der 26-jährige Echo-Gewinner, als in dem fast möbellosen Hamburger Hotelzimmer zum zweiten Mal Fragen zu seinen Texten und dem Verhältnis von Sinn und Unsinn aufkommen, das auf dem neuen Album in den Augen des Berichterstatters wesentlich dramatischer zu Gunsten des Unsinns ausgefallen ist, als das der Künstler wahrhaben will. Bevor die Stimmung allzu eisig wird, beschließt Samy, sich mit der Kritik auseinanderzusetzen und klappt seinen Laptop auf, der auf einem Stuhl neben ihm geparkt ist. Um vor dem inneren Auge die Texte Revue passieren zu lassen, dickt er sich durch die ersten Sekunden der Songs auf veroammtnochma: „Das Intro, dann das. hmm, dann das mit den Headliners „, kommentiert er leise, „dann .Einfach ich‘, das ist kein Bottlerap“. Bei Track acht klappt er seinen Rechner wieder zu, lehnt sich zurück und zieht die Augenbrauen hoch. „Naja, ist vielleicht schon sehr viel (Battle-Rap). wenn du das so siehst“, gesteht er. senkt den Kopf und lächelt ein bisschen.
Zum Zeitpunkt unseres Interviews die Aufnahmen sind eben erst beendet worden und das Mixing ist noch nicht abgeschlossen – steckt Samy noch so tief in der Arbeit, dass er sein Werk selbst kaum objektiv betrachten kann. So präsent und so wichtig sind ihm die wenigen grandiosen Songs, in denen er offen und wortgewandt über seine eigene Biografie, seinen Alltag als „optischer Ausländer“ und seine neue Ehrfurcht vor einer höheren Macht spricht, dass ihm das Übergewicht der sinnfreien Prahlereien noch nicht aufgefallen ist. „FRÜHER wusste ich nicht so, über was ich reden sollte“, beteuert er. „Beim ersten Album hob ich einfach viel nur meinen Battle- und Weedscheiß erzählt, weil ich meine anderen Gedanken nicht so gut in Worte fassen konnte.“ Im Vergleich zur samy deluxe-LP aber, die so ausgewogen und clever war, das sie 2001 im musikexpress „Platte des Monats“ wurde, wirkt veroammtnochma inhaltlich nicht unbedingt reifer. Mehr als die Hälfte der 21 Songs sind monothematische und leider in weiten Teilen auch humorlose Lobeshymnen auf seine Qualitäten als Rapper. Selbst die Texte, die Botschaften vermitteln oder zumindest reifes Gedankengut transportieren, enthalten bisweilen völlig deplatziertes Eigenlob. So heißt es in „Generation „, einem düsteren und ansonsten fein gezeichneten Portrait seiner perspektivenlosen Altersgenossen: „Deshalb müssen wir zu Drogen greifen, weil wir uns vor Angst vorm Alltag in die Hosen scheißen, und deshalb muss ich’s in die Strophen schreiben und ich weiß, ihr werdets lieben, weil die Flows so tight sind.“
Warum der Hamburger, der kurz vor den letzten Wahlen noch im Fernsehen mit Guido Westerwelle diskutiert hat, in seiner Musik inhaltlich so oft einfältig wird, ist nicht leicht zu verstehen. „Dass ich mehr zu erzählen habe als Battle-Raps, das wussten irgendwie alle“, sagte er dem ME 2001. „Weil ich nicht rüberkam wie so ’n Typ, der sich den ganzen Tag nur über schlechte MCs Gedanken macht.“ Beweise dafür gibt es auch auf der neuen Platte. „Ich finde die Inhaltssongs, die ich gebracht habe, bringen auf jeden Fall viel mehr von mir rüber, als ganze Alben vorher“, sagt er und meint damit das autobiografische „Bück zurück“, das zu den besten Songs zählt, die er je aufgenommen hat. Auch „Gott sei Dank“, eine für den HipHop ungewöhnlich reflektierte Auseinandersetzung mit Religion, ist fantastisch. „Nicht, dass ich extrem religiös geworden bin“, überlegt er, als er auf den Song angesprochen wird. „Aöeres ist schon so, dass ich einfach Respekt vor dem Ablauf der Dinge hab. Ich rücke mich nicht mehr so in den Mittelpunkt und denke, dass alles nur von mir abhängt. Irgendwas muss mir geholfen haben, weil meine Ausgangssituation relativ scheiße war. Dafür hab ich’s weit gebracht. Und ich hab nicht immer gemerkt, dass ich selber den Antrieb geliefert hab, weshalb mir ne höhere Kraft irgendwas geliefert haben muss. Ich hab keine Ahnung, wie ich die nennen soll, aber da hab ich trotzdem gesagt: .Gott sei Dank‘, weiis einfach ’ne Phrase ist.“
Würde er es auf der Platte selbst nicht so oft sagen, dann müsste man unbedingt noch erwähnen, dass er tatsächlich der weitaus talentierteste und musikalischste Rapper ist, den es in Deutschland gibt. Seine Beats sind durchweg bombastisch, sein Reimfluss weich und elegant. Und pickt man sich die Perlen auf verdammtnochma raus, dann wird man auch Beschreibungen finden, die nur ein hervorragender Beobachter so präzise in Worte fassen kann. „Du siehst die Leute aus einem ganz anderen Blickwinkel“, erklärt Samy. der als Farbiger in Deutschland sein Leben lang Distanz zu seiner Umwelt empfunden hat. „Ich hab ne Berechtigung, in diesem Land zu leben, und mein Gefühl auf der Straße zeigt mir die meiste Zeit das Gegenteil. Egal in welcher Situation. Wenn du abgefuckt rumläufst, denken die, du raubst sie aus, und wenn du mit nem Benz vorgefahren kommst, dann denken die, du bist ein Drogendealer.“