Kampf um die Kokosnuss


"Copy kills music", sagen die einen. "Stimmt doch gar nicht, Copy ist Musik", antworten die anderen. Die Sache mit dem Internet und der Musik spaltet die Gemüter. Und beschäftigt die Juristen.

st der Urwald nicht gerade selber bedroht, dann ist er eins ganz si-I eher: wahnsinnig bedrohlich. Wer sich verirrt, ist verloren. Zu undurchsichtig die Wirrniss aus grünen Ranken und Lianen, zu hoch und mächtig die Bäume, zu gemein und so giftig die vielen Viecher, die in ihm herumkreuchen. Das Internet ist auch so ein Urwald, doch weitaus größer als es ein gewöhnlicher Wald je sein könnte. Es gibt kein Nord, kein Süd, und wer sich nicht auskennt, dem kann es hier auch gewaltig an den Kragen gehen. Aber anders als der irdische Dschungel ist das Internet keineswegs ein rechtsfreier Raum, in dem jeder jeden fressen darf, nur weil er gerade Hunger hat. Das jedenfalls finden die Firmen, die gerade das Geschäft mit der Musik im Internet – wenn sie es schon nicht in den Griff bekommen doch wenigstens durchschauen möchten. Irgendwie. „Die kalte Technologie versucht, unsere emotionalen Produkte für ihre Zwecke auszubeuten“, sagt Wolf-Dieter Gramatke, Manager des Musikkonzerns Universal. Er spricht gleichsam von der geklauten Kokosnuss und dem Problem, dass eine einzige Kopie im Netz – rein theoretisch – die ganze Weltbevölkerung versorgen könnte. Noch.

Seitdem Komprimierungsprogramme wie MP3 und offene Tauschbörsen wie Napster im Internet zu finden sind, kann sich eine unkontrollierbare Masse von Benutzern die Ausrüstung besorgen, die bisher wenigen vorbehalten war. Damit kann man herunterladen, kopieren und wieder ins Netz stellen, was einem beliebt. Doch Musik im Internet zu veröffentlichen, ist die eine Sache; daran zu verdienen, eine andere. Der „Schutz des geistigen Eigentums“ liegt nicht nur den Majors am Herzen, die doppelbödig handeln müssen – für ihre Künstler, aber auch für die eigene Bilanz. Er hat in vielen Ländern Verfassungsstatus und steht in der universellen Menschenrechtsdeklaration. Das Problem ist nun, dass Justizia hinter der Online-Entwicklung herhinkt. Zudem existieren derzeit zu viele unterschiedliche Kompressionsverfahren und Zahlungssysteme. Es gibt noch keinen einheitlichen Kopierschutz, und die Endabspielgeräte unterliegen keiner Norm. Weiterhin hat noch niemand einen Weg gefunden, illegale Tauschbörsen wie etwa Napster.com zu bremsen. So wetterte Metallica gegen diese Website und machte damit nur eins: sich unbeliebt.

Quer durchs Künstlerlager verläuft ein tiefer Graben. Die einen wie Metallica oder Madonna wettern gegen die unkontrollierte Verbreitung ihrer Musik via Internet; die anderen wie zum Beispiel die US-Band Limp Bizkit lassen sich auf ihrer nächsten Tour gar von Napster sponsern. Und: Das Internet ist international, das Urheberrecht ganz und gar nicht. Die Ende’96 in Genf geschlossenen WIPO-Verträge (World Intellectual Property Organisation, www.wipo.org) sollen zwar „ein bahnbrechender Erfolg auf dem Weg zur Kompatibilität der Urheberrechtssysteme sein“, sagte Dr. Marlene Wartenberg, die Generalsekretärin des Deutschen Musikrates. Es braucht jedoch noch ein paar mehr Unterzeichnerstaaten, um sie auch weltweit ratifizieren zu können.

Für digitale Daten werden derzeit verschiedene Arten des Kopierschutzes entwickelt. Einkopierte „Wasserzeichen“, die mit Hilfe spezieller Software nachgewiesen aber auch nachträglich verschlüsselt werden könnten. Es gibt „Black Boxes“, die so ähnlich funktionieren wie die Bollerwagen der Kindersendung „Lemmy und die Schmöker“: Die Ware rollt erst an, wenn eine autorisierte Person „los schreit. Weiterhin stehen kryptographische Umschläge und individuell personalisierte Abspielgeräte zur Diskussion. Ihr Nachteil: Bei jeder Nutzung wird irgendwo irgendwas ausgelöst, eingefordert oder alarmiert.

Unser (europäisches) Urheberrechtsprinzip etablierte sich 1965, als es die Xerox Kopiertechnologie notwendig machte. Es besagte: Was veröffentlicht ist, darf kopiert werden. Nur nicht kostenlos, Ausnahmen gab es für Bildung, Kirche oder Gefängnisse. Hierzulande erhebt die GEMA eine Abgabe auf die Nutzung von Musik. Bei CD-Rohlingen heisst diese Kopierpauschale nun Leermittelabgabe, und die soll nach Meinung der Majors erhöht werden; immerhin werden die Hälfte der verkauften Leer-CDs für Audio benutzt. Dies ist keine so schlechte Idee. Sie ist jedenfalls besser, als die zu übermittelnden Daten direkt zu kontrollieren und so den User erkennbar zu machen, ihn immer wieder zu markieren, so dass er nach einiger Zeit gar nicht mehr wissen kann, an welchen Stellen er digital tätowiert wurde, nur weil er Britney Spears‘ neues Album haben wollte.

Ungeschickterweise verlagerten die Majors diese Diskussion auf einen Nebenkriegsschauplatz, indem sie vor einem Jahr bei einer Werbeagentur halbherzig eine Kampagne in Auftrag gaben, an die sie selber nicht recht glaubten: „Copy Kills Music“ hieß die Parole. Als ginge es um das Schwarzbrennen von CDs und nicht um die Entscheidung, wer in Zukunft die Perlen der digitalen Vertriebskette auffeudelt.

Die Grundsatzentscheidungen zu diesen Fragen fallen jetzt. Und eins ist sicher: Die Entkriminalisierung des privaten Kopierens ist genau so von Nöten wie die Sicherstellung des Datenschutzes – im doppelten Wortsinn. Über die Vorteile der digitalen Distribution indes schweigt man. Das ist schade. Denn Majors können nun etwa ihren Backkatalog wieder anbieten, den es körperlich vielleicht gar nicht mehr zu kaufen gab. Sie erreichen online auch die große Gruppe der Nichtkäufer. Das sind Menschen, die Musik mögen, aber keine Plattenläden. Und das Wichtigste: Kunden erhalten Profile – aus Marketingsicht ein Paradies, denn Verhaltensprofile sind zeitgemässer und präziser als die Statistiken der neunziger Jahre über Alter, Auto, Ausbildung.

„Die Einzigkeit des Kunstwerkes ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition.“ Das schrieb Walter Benjamin in „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Popmusik kann nur durch ihre Verbreitung und damit die Kunst der geschickten, tausendfachen Reproduktion existieren. Ob auf Band, Schallplatte oder CD die Musikindustrie lebte schon immer vom Kopierten. Das ist ihre Tradition. Auch wenn sich eine wie Maria Callas zeitlebens vehement gegen Aufnahmen ihrer legendären Auftritte sträubte-die Einzigartigkeit des Kunstwerks ist längst verloren.

Die Zeiten haben sich geändert; und die Mittel, mit denen Musik verfügbar gemacht wurde, haben die sich verselbständigt? Es scheint nur so. Denn im Urwald ist alles so wie immer: Es gibt Banden, und es gibt das Gerangel um die Kokosnuss.Wer bestimmt über die Mittel von morgen? Bilder und Klänge können als Daten verfügbar gemacht werden. Eins aber nicht: der Mensch. Das klingt irgendwie beruhigend.