Joy Division: „Wir haben es gerade nicht wegen des Geldes getan“


Peter Hook und Stephen Morris erzählen davon, wie es ist, im langen Schatten von Joy Division zu spielen. In einer Band, die erst spät ordentlich entlohnt wurde, nie die größte der Welt sein wollte - und es auf ihre Art und Weise dann doch wurde.

Auf dem neuen Album gibt es mit „Who’s Joe?“ einen Song, der viele an die Härte von Joy Division erinnert. Daran sieht man wieder, wie wichtig diese Band immer noch genommen wird. Könnt ihr euch diesen Kult erklären?

PETER HOOK: In einem Interview letzte Woche sollte ich meine zehn Lieblingsplatten nennen. Ich bin gleich auf CLOSER gekommen und sah auch keinen Grund, mich dafür zu entschuldigen. Es ist einfach eine sehr angenehme und bewegende Platte, UNKNOWN PLEASURES konnte ich nie ganz nachvollziehen, CLOSER schon.

STEPHEN MORRIS: Es ist seltsam, oder? Diese Band hat so wenig hinterlassen, trotzdem bleibt sie aktuell. Wir rühren ja nicht mehr die Werbetrommel dafür, aber anscheinend ist das Interesse gerade deshalb so groß, weil es wenig Material über die Gruppe gibt. Das animiert die Leute offenbar, sich eigene Gedanken zu machen. Daran sieht man aber wohl auch, wie gut die Musik von Joy Division immer noch ist.

HOOK: Es entstehen gerade Filme, die sich mit Ian Curtis beschäftigen. „Love Will Tear Us Apart“ wurde bei den Brit Awards für die Auswahl des besten Songs der letzten 25 Jahre nominiert. Wir sind auf Joy Division stolz, keine Frage. Allerdings dachten wir, mit Ians Tod sei es zu einem natürlichen Bruch gekommen. Bald darauf mußten wir dann feststellen, wie sich Joy Division als eine Art Parallelwelt über New Order legten. Nun, da wir Ians Tod verarbeitet haben, können wir die Musik von Joy Division ganz normal genießen und sie sogar wieder live spielen.

Stimmt es, daß euch bereits Ian Curtis mit elektronischer Musik, insbesondere der von Kraftwerk, bekanntgemacht hat und so praktisch die musikalische Initialzündung für New Order vorwegnahm?

HOOK: Das stimmt, er mochte elektronische Musik und spielte sie uns vor. Wir hatten bei Joy Division ja bereits synthetisches Schlagzeug verwendet, Bernard benutzte selbstgebaute Synthesizer. Als wir mit New Order anfingen, waren dann viel mehr elektronische Instrumente auf dem Markt, und wir nutzten diese Gelegenheit.

MORRIS: Außerdem sind wir ab 1980 verstärkt in Clubs gegangen. Anfangs wurde die Dance-Music noch mit akustischen Instrumenten gespielt. Da dachten wir uns, man könnte eine bessere Variante mit Drumcomputern und Sequenzern abliefern.

Worin lag für euch damals der Reiz von Dance-Music?

HOOK: Die Frauen, die Getränke, die Drogen – hast du das etwa vergessen? (lacht) Clubs dienten damals der Zerstreuung. Es gab da diese junge Frau, Ruth Polski, sie nahm uns nach New York mit, wo sie die Geschäfte der Danceteria führte. Sie hat uns praktisch in jeden angesagten New Yorker Club gezerrt. Bernard und Stephen waren begeistert, ich war skeptisch. Aber dann merkte auch ich, wie interessantes war, in einen Laden wie die Paradise Garage zu gehen und dort tanzbare Musik über eine fette Anlage zu erleben. Das war wirklich aufregend und revolutionär.

MORRIS: Clubs gab es in England nicht. Es gab ein paar Lokalitäten, wo Mädchen mit Handtaschen tanzten und das Ganze eine Art Popkabarett war. Die Clubs in New York waren völlig anders. Sie waren Bestandteil einer Szene. Es gab keine Kleiderordnung wie in England, wo man Hemd, Krawatte, Samtsakko und Plateausohlenschuhe tragen mußte. Die Marktlücke animierte uns, in Manchester die Hacienda zu eröffnen.

Aus den New-York-Eindrücken entwickelte sich der Track „586“ von POWER CORRUPTION & LIES, aus dem dann nach und nach „Blue Monday“ entstand. Wie lief das genau ab?

MORRIS: Wir freundeten uns damals gerade mit den elektronischen Instrumenten an. Entsprechend unbeholfen waren die ersten Gehversuche. Die erste Version von „586“ klang wie Bossa Nova mit einer Beatbox. Dann besorgten wir uns eine bessere Drumbox und nahmen „586“ noch einmal auf. „Blue Monday“ entstand in etwa zur selben Zeit. Es war ja so, daß New Order damals keine Zugaben spielten. Wir sahen darin einfach keinen Sinn. Aber uns stand plötzlich Technologie zur Verfügung, die es ermöglichte, einen Song zu schreiben, der sich von selbst abspielt. Wir gingen also auf die Bühne zurück, nachdem alle Welt eine Zugabe forderte, drückten einen Knopf, gingen wieder weg und ließen die Maschinen laufen. Danach entwickelte der Track plötzlich sein Eigenleben. Bernard wollte dazu singen, Peter wollte eine Baßlinie hinzufügen, und so wurde der Song zu dem, was er heute ist.

War das dann der Zeitpunkt, wo ihr das Gefühl hattet, als New Order allmählich den Kinderschuhen zu entwachsen?

MORRIS: Schon auf dem Album MOVEMENT kann man hören, daß wir uns nicht mehr für Joy Division hielten. Wir versuchten, eine neue Identität zu begründen, und stellten uns dabei ungeschickt an. Ich muß aber auch sagen, daß es auf MOVEMENT ein paar gute Songs gibt. Doch erst mit POWER, CORRUPTION & LIES stießen wir zum Kern vor und fanden einen Weg, der von Joy Division wegging.

HOOK: Unser Produzent Martin Hannett trieb uns bei MOVEMENT zur Weißglut, es war unerträglich. Er verhielt sich ungehobelt, aggressiv und eigenartig. Wir dachten, wir machen diese Platte gemeinsam, doch er erweckte den Eindruck, als wollte er sie trotz unserer Anwesenheit aufnehmen. Schon auf UNKNOWN PLEASURES gefielen uns einige Dinge nicht, die Martin zu verantworten hatte. Als wir es nicht mehr aushielten mit ihm, setzten wir ihn einfach vor die Tür. Aber: Er hat uns auch einiges beigebracht. Wir lernten, wie man eine Platte macht, als wir ihm über die Schulter schauten. Danach versuchten wir es mit „Temptation“ zum ersten Mal selbst. Diesen Song haben wir etwas verunstaltet, aber die Leute mochten ihn trotzdem. Das zeigt: Man kann einen guten Song nicht zerstören, selbst wenn man es noch so sehr versucht.

Perfektion war auch später nicht immer euer Ding. Auf einen Glanzmoment wie „Bizarre Love Triangle“ folgte sogleich ein Fehlschlag in der Art von „Every Litlle Counts“ auf BROTHERHOOD.

HOOK: Wir waren immer für einen Moment des Wahnsinns gut. Das Problem ist nur, daß ein Witz lästig wird, wenn man ihn mehr als einmal erzählt. In Wahrheit haben wir einen wunderschönen Song gegen die Wand gefahren – aber so etwas gehört auch zu New Order.

MORRIS: Weißt du, wir nehmen uns nicht so schrecklich ernst. Uns liegt die Musik am Herzen und die Art und Weise, wie wir sie live darbieten. Aber was um sie herum passiert, kann man nicht ernst nehmen. Tut man es doch, verwandelt man sich in ein gigantisches Arschloch.

Ab TECHNIQUE lief es dann offensichtlich besser. Die Platten klingen seitdem insgesamt runder.

HOOK: TECHNIQUE war das letzte Album, das wir selbst produziert hatten. Da hatten wir es also endlich hinbekommen. Vielleicht hätten wir uns danach auflösen sollen, (lacht) Das wäre wieder typisch New Order gewesen. Aber im Ernst: Ich mag all unsere Platten. Nur mit der Seite zwei von BROTHERHOOD habe ich meine Probleme. Die Sounds sind veraltet, wir haben es mit der Benutzung elektronischer Hilfsmittel übertrieben, und das beeinträchtigt die Hörfreude. Das ist schade, denn die akustische Seite des Albums ist sehr gut.

Ich dachte, du hattest auch ein Problem mit REPUBLIC. Man hört wenig Baß, was als Zeichen für ein inneres Zerwürfnis gewertet wurde.

HOOK: Es war schon eine Menge Baß auf REPUBLIC zu hören. Nur war es so, daß die Platte stückweise entstand. Die Songs auf REPUBLIC sind großartig, nur leider hat es uns fast das Herz gebrochen, wie sie zusammengestellt wurden. Es war furchtbar. Die schlimmste Phase, die ich je durchmachen mußte.

MORRIS: Man mag von dem Produzenten Stephen Hague halten, was man will. Aber er hat es geschafft, uns unter den damaligen Umständen ein Album abzuringen.

Welche Umstände genau?

HOOK: Das Ende des Factory-Labels, das Ende der Hacienda, das Ende der funktionierenden Beziehung der Bandmitglieder untereinander. Es ist mir schleierhaft, wie wir da überhaupt eine Platte machen konnten.

MORRIS: Es war so, als hätte jemand eine Waffe auf dich gerichtet und dich gezwungen, ein Album aufzunehmen, – mit der Begründung, die Plattenfirma gehe sonst pleite.

Warum verschlechterte sich die Beziehung der Mitglieder untereinander?

HOOK: Im Grunde ist jede Band gleich, ob sie nun Primal Scream oder Busted heißt. Alles verläuft freundschaftlich, bis das Geld sein häßliches Haupt erhebt und das Ego jedem einen Arschtritt verpaßt. In gewisser Weise hatten wir Glück, denn wir wurden von Label und Manager systematisch am Existenzminimum gehalten. Wir waren Idealisten, die es gerade nicht des Geldes wegen taten. Doch während wir uns so durchmogelten, wurde unser Geld verplempert. Andere konnten sich ihr eigenes Reich einrichten, ehe uns zehn Jahre später ein Licht aufging und wir fragten: Wie kommt es, daß ihr den Club betreibt, in der Business Class umherreist und wir nur 100 Pfund pro Woche bekommen? Wenn du dann merkst, wie schlimm es aussieht, und darüber hinaus feststellen mußt, daß du die Leute, die den Karren in den Dreck gefahren haben, auch noch retten mußt, bist du mit deinem Latein einfach am Ende.

MORRIS: Am Anfang war FACTORY wirklich ein gutes Label. Sie ließen uns schalten und walten. Factorys Fehler haben New Order auch zu dem gemacht, was die Band heute ist. Das muß man fairerweise sagen.

HOOK: (mit zynischem Unterton) Sie gaben Idioten aus der Arbeiterklasse wie uns das Gefühl, in einer kapriziösen Künstlerumgebung zu arbeiten. Dazu gehörte es, Bands wie A Certain Ratio und Happy Mondays aus der Patsche zu helfen. Dann gab es da eine Dame namens Cath Carroll, eine ehemalige Autorin des NME und Hobby-Songschreiberin. Ihre Platte kostete ein Vermögen und verkaufte nur acht Exemplare. Aber Tony Wilson hatte ja einen Showcase-Auftritt im Londoner Ronnie Scott’s organisiert. Die Liste ist endlos.

MORRIS: Um es zusammenzufassen: Factory – gut, was die Kunst angeht, und schlecht, was das Geschäft betrifft.

Factory-Boß Tony Wilson spielt heute keine so grolle Rotte mehr, Rob Cretton ist gestorben. Wie haben sich die Dinge verändert?

HOOK: Tony Wilson ist immer noch dabei. Er war an einem Filmprojekt über Joy Division beteiligt, auch an „24 Hour Party People“. Wir sind heute noch Freunde von Tony. Nur wenn er sich mit dem Geld nach Brasilien verabschiedet hätte, wäre ich ihm böse gewesen. Doch es ging ja letztendlich auch zu seinem Nachteil aus. Und wir tragen auch einen Teil der Verantwortung, wir hätten ihnen einfach rechtzeitig auf die Finger klopfen müssen. Während der gesamten Zeit bei Factory hatten wir nicht einmal eine Ahnung davon, wie viele Platten wir verkaufen.

MORRIS: Rob Gretton war eine Galionsfigur der Szene in Manchester. Er hat die Arbeitsweise von New Order als Manager entscheidend geprägt. Seine Denkweise beeinflußt uns bis heute. Nur versuchen wir nun, den gesunden Menschenverstand mit einzubeziehen.

HOOK: New Order haben keine übersteigerten Erwartungen. Wir wollen nicht die Welt beherrschen, sondern einfach nur Platten machen, die uns selbst gefallen. Wir sind nicht U2 und wollen nicht die größte und beste Band sein, obwohl wir es in gewisser Weise vielleicht sind – wegen des Einflusses, den wir auf die Musikszene haben.

Wie steht es denn heute um eure Heimatstadt Manchester? Haben sich die Dinge dort auch verändert?

HOOK: Es scheint, als hätte man das Herz herausgerissen. Es sieht dort mittlerweile wie überall in Europa aus. Oberflächlich ist alles nett anzusehen, aber man fühlt sich unweigerlich wie im Theater. Tragisch. Es gibt in Manchester einen Sanierer, der heißt Tom Bloxham. Er hatte früher einmal einen Club. Sein Laden wurde von Gangstern geschlossen, noch bevor die zu uns kamen. Dann wechselte Bloxham in die Baubranche, sanierte alle Gebäude, in denen Bands ihre Proberäume hatten, und verwandelte sie in Wohnungen für Yuppies. Andererseits werden die es kaum schaffen, der Kultur ganz den Hahn abzudrehen. Es gibt ja noch Leute wie Badly Drawn Boy, I Am Kloot und Elbow. Die sorgen dafür, daß man weiterhin von Manchester spricht.

Zur Gegenwart gehört auch New Orders neue Platte, die an die frühen Jahre der Band erinnert. War das ein bewußter Schritt?

MORRIS: Den Vorgänger GET READY zu machen, war nicht einfach, weil es die erste Platte nach einer längeren Pause war. Wir hatten uns vorgenommen, nicht zu altmodisch zu klingen. Die Folge jedoch war, daß alles sehr gitarrenlastig wurde. Nun, da GET READY hinter uns liegt, konnten wir unsere Verklemmtheit lösen und wieder wie New Order sein.

HOOK: Es gab Rückmeldungen von Fans, die GET READY schon mochten, sich aber auch beschwerten, daß wir nicht wieder so etwas wie „Temptation“ oder „Everything’s Gone Green“ anbieten. Wir hatten gedacht, das wolle niemand mehr hören. Jetzt sehen wir das unkompliziert und erfüllen den Fans ihren Wunsch. Interessant an WAITING FOR THE SIRENES‘ CALL ist auch die Tatsache, daß wir 18 Stücke aufgenommen haben, mehr, als wir brauchten. Das hatten wir bisher noch nie. Jetzt spielen wir mit dem Gedanken, die verbliebenen Tracks zusammen mit anderen neuen auf einer weiteren Platte zu veröffentlichen.

Peter, ich darf den Saal nicht verlassen, ohne dich nach deinem unverwechselbaren Baßsound gefragt zu haben. Wie ist er entstanden?

HOOK: Das mag sich komisch anhören, aber angefangen hat alles damit, daß ich zu Zeiten von Joy Division einen billigen Verstärker hatte, über den ich überhaupt nichts hören konnte. Alles klang irgendwie verschwommen. Ich mußte die ganz hohen Noten spielen, um überhaupt etwas von meinem Instrument mitzubekommen. Ian Curtis hörte das und sagte, daß es toll klingt. Später habe ich den Stil verfeinert und in den keyboardbetonten Songs nach Möglichkeiten gesucht, mich mit melodischen Breaks quasi um die Gesanglinie zu wickeln. Heute bevorzuge ich persönlich Titel, in denen der Baß die ganze Zeit mitläuft. Aber ich weiß es auch zu schätzen, wenn ich einem Song Extrawürze geben soll. Da verhalte ich mich mannschaftsdienlich.