Joe Jackson – Laughter & Lust
Den Zickzack-Kurs der vergangenen Jahre hat er hinter sich: Joe Jacksons neues Album bündelt wie unter einem scharfen Brennglas alle Facetten seines bisherigen Schaffens.
Der schlaksige Engländer überrascht mit einer ausgereiften Produktion, die mit ihrer stilistischen Vielfalt lässig an seine früheren Bestleistungen anknüpft. Nach NIGHT AND DAY und BODY AND SOUL bevorzugt Joe nun das Lachen und die Lust — beides sicher nicht die unangenehmsten Gefühlszustände.
Folgerichtig gab sich Jackson noch nie so forsch, so witzig und so locker. Er zitiert sich schamlos selbst, ohne dadurch die Wirkung der 13 Songs zu schmälern: Mit dem lakonischen Liebeslied Jamie G.“ und dem Salsa-Puls von „My House* knüpft er an die perkussiven Lafino-Muster von NIGHT AND DAY an; die Bläser von „Goin‘ Downtown“ erinnern on die Jazz-Ausflüge von JUMPIN‘ JIVE und BODY AND SOUL, in „The Other Me“ stauchen sogar die die Streicher von WILL POWER wieder auf. Und wie ein roter Faden zieht sich durch alle Songs jene rotzige Punk-Haltung des zornigen jungen Perfektionislen, die schon Jacksons Debütalbum LOOK SHARP! und den Nachfolger I’M A MAN auszeichnete.
LAUGHTER & LUST ist auch eine der persönlichsten Jackson-Platten geworden — manche Stücke wie .Jamie G.“ oder „When You’re Around“ wirken wie Tagebuchnotizen. Andererseits gibt es hier brillante, bissige, ironische Kommentare zum Zeitgeschehen wie den .Obvious Song“, in dem ein zigarrenpaffender Rock ’n‘ Roll-Star mit dicker Limousine einem Dschungelbewohner von Luftverschmutzung und Erhaltung des Regenwalds predigt, oder den grantigen Protest von Jt’s All Too Much“: .200 verschiedene Kekssorten, davon alleine 87 Schokoladen-Cookies — man sagt, erst die freie Auswahl bedeute Freiheit; ich bin so frei, daß mir schon schummrig wird’Mit „Hit Single“ hat Joe eine ebensolche geschrieben, und schließlich erweist er sich mit einem Oldie von Fleefwood Mac sogar als richtiger Rokker: ,Oh Well“ ist ein Volltreffer. Mit Ausnahme der allzu tranigen Klimperballade „Drowning“, die einen eher klebrigen, unbefriedigenden Schlußpunkt setzt, hat der gute Joe diesmal alle Erwartungen übertroffen. LAUGHTER & LUST macht Lust und Laune, zumal es als digitale Aufnahme auch hervorragend klingt, (gilj
NEUE LUST
Man trage einen Musiker, welche seiner Platten er am besten findet, und er wird normalerweise seine neueste nennen. Joe Jackson macht da keine Ausnahme. FCr ihn ist LAUGHTER & LUST der bisherige Gipfel seines Schaffens. Und es gibt tatsächlich einige gute Gründe, die dafür sprechen, daß er dabei keiner Fehleinschätzung unterliegt. Denn Tatsache Ist, daß er mit seiner langjährigen Plattenfirma A & M nicht mehr klarkam:
„Die haben für mein letztes Album BLAZE Of GLORY keinen Finger gerührt. Nur in Deutsehland hat man was für mich getan.‘ Eigentlich hätte er noch ein Album für A & M aufnehmen müssen, „aber ich habe gedroht, wenn ihr darauf besteht, dann werde ich nie wieder in ein Studio gehen, und Ihr könnt warten bis zum Nimmerleinstag.‘ Jackson wurde daraufhin von seinen vertraglichen Pflichten entbunden und konnte zu Virgin wechseln, was ihm offensichtlich Auftrieb gab: .Die Arbeit an dieser neuen Pfaffe hat mir schon deshalb sehr viel Spaß gemacht, weil ich gespürt habe, daß ich die volle Unterstützung der Firma hatte.‘ Der Spaß, den Jackson und seine Mitstreiter, darunter wieder Perkussionistin Sue Hadopoulos und Bassist Graham Maby, hatten, teilt sich auch dem Hörer problemlos mit, obwohl sich der ätzende Sarkasmus mancher Songs nicht überhören läßt. Aber ein GefälllgkeHs-Songschrelber war Joe Jackson sowieso noch nie, und so verwundert es nicht, daß er auch mit LAUGHTER & LUST trotz der flotten Eingängigkeit vieler Songs keine Konzessionen an oberflächliche Erwartungshaltungen macht. Er bleibt sperrig und grüblerisch, selbst wenn er sich auf dem Cover als Clown verkleidet, „einige der Songs auf dem neuen Album — beispielsweise My House‘ — handeln von der Desillusionierung der Leute meiner Generation, die irgendwann einmal glaubten, sie könnten alles anders machen als ihre Eitern. Sie glaubten, indem sie sich verweigerten, würden sich die Verhältnisse ändern. Dabei führte genau diese Haltung dazu, daß Typen wie Richard Nixon und Ronald Reagan an die Macht kamen.“
ALTER FRUST
Er wurde 1954 im südenglischen Städtchen Burton-upon-Trent geboren und war ein schmächtiger, asthmatischer Knabe. Er erhielt Geigen- und Klavierunterricht und begeisterte sich für die Rolling Stones. Danoch erwärmte er sich für die klassischen Werke Ludwig van Beethovens und Igor Strawinskys und für Jazz-Größen wie Charlie Parker und Duke Ellington. Klassik, Jazz und Pop bestimmten also schon von Anfang an die musikalische Entwicklung von Joe Jackson, und Elemente dieser Genres finden sich auf allen Platten. Trotzdem setzte Jackson von Fall zu Fall andere Akzente, was dazu führte, daß sich sein Output rückblikkend als ziemlich eigenwillig und ganz und gar nicht gradlinig darstellt.
Nach der New-Wave-Attitüde der beiden ersten Alben LOOK SHARP) und I’M THE MAN ließ sich auf BEAT CRAZY der Einfluß von Ska und Reggae nicht überhören. JUMPIN‘ JIVE überrascht« dann als Hommage an die Swing-Heroen der 40er Jahre wie Cab Callowoy und Louis Jordan, während NIGHT AND DAY südamerikanische Rhythmen mit dem sentimentalen Blick des Nachtschwärmers in Manhattan verband. Mit BOOY AND SOUL nahm Joe Jackson bereits 19S4 jene Annäherung von Rock und Jazz vorweg, die sich derzeit als neuer Trend etabliert (siehe S. 78). Zwei Jahre später erschien BIG WORLD als perfektes Live-Album, während sich Jackson mit WILL POWER als neutönerischer Sinfoniker präsentierte und damit kläglich scheiterte. BLAZE 0F GLORY schließlich blieb trotz stilistischer Vielfalt relativ farblos. Mit LAUGHTER & LUST aber trifft Jackson nun endlich wieder ins Schwarze.