Jazz-Setter


Glaubt man den Schlagzeilen, steht ungefähr alle fünf Jahre ein „Jazz Revival“ ins Haus – auch wenn sich das normalerweise lediglich in den untersten Regionen der Charts niederschlägt. Ungefähr in der Gegend von Rang 189 findet man dann den alten Stan Getz/Astrud Gilberto-Hit „The Girl From Ipanema“. Der hält sich da. bis die Aufregung der Medien abklingt – dann geht’s zurück in die Rumpelkammer, aus der er gekommen ist.

Und die Medien stürzen sich auf den nächsten musikalischen Umbruch, höchstwahrscheinlich ein „Country Revival“. ein „Soul Revival“ oder ein „Psychedelic Revival“. Solche Sachen kommen zyklisch, fast mit der Jahreszeit. Mit dem momentanen „Revival“ schaut’s allerdings etwas anders aus.

Die Londoner Band Working Week, die gemeinhin als die Speerspitze der diesjährigen Jazz-Renaissance eingeschätzt wird, reagierte ausgesprochen unwirsch, als sie unlängst in der britischen Fernsehsendung „Whistle Test“ genau so kategorisiert wurde. Der Moderator der Show kam mit den üblichen Klischees wie: “ Wer hätte gedacht, daß die Kids im Wag Club…“ (ein angesagter Disco-Night Club)“ … Kids, die vor zwei Jahren auf Spandau Ballet abfuhren, jetzt zu Jazz tanzen??“ Des weiteren beschrieb er Working Week als eine Gruppe, die“.behauptet. Bebop zu spielen und gleichzeitig tolle Popsongs zu schreiben. Überzeugt euch besser selbst. “ Die Gruppe freakte aus. Sie schnappte sich den Produzenten der Show und hielt ihm eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. Dann weigerten sie sich zu spielen und brachten die Organisatoren damit in arge Verlegenheit: Die Sendung ist nämlich live.

Nachdem man sich entschuldigt hatte, ließ sich die Band doch noch erweichen – leitete ihren Song „Sweet Nothing“ allerdings mit einer kurzen, energischen Ansprache ein. „Heute abend war oft von einem Jazz Revival die Rede“, fauchte Sängerin Julie Roberts. „Etwas, was nicht tot ist. kann man auch nicht wiederbeleben. Der Jazz war nie tot.

Das ist ein Song über Selbstachtung. „

Das Ende des Jazz war natürlich ein Thema, dem sich die Medien noch öfter widmeten als seinem Revival. Wenn der große Saxofonist Charlie Parker gefragt wurde „Ist der Jazz tot?‘. schob er den Schwarzen Peter immer gern an den Interviewer zurück.“.Das“, erklärte Parker, ohne eine Miene zu verziehen, „kommt ganz darauf an. wieviel Ahnung du hast.“ Und Frank Zappa brachte das Thema in „Bebop Tango“ auf den folgenden Nenner: „Der Jazz ist nicht tot – er riecht bloß komisch. „

Wei versucht, die heutige Jazz-Szene in den Griff zu kriegen, wird zu dem Resultat kommen, daß sie tatsächlich einen merkwürdigen Beigeschmack hat. Bedeutet das Auftauchen einer Handvoll Jazz-beeinflußter Pop-Gruppen, daß die Wiederauferstehung des real thing unmittelbar bevorsteht? Oder ist das Interesse an Jazz bloß oberflächlicher Natur und hat itifehi mit Mode zu tun als mit Musik? Geht es bloß um ein paar Londoner Clubs, oder ist das eine „Bewegung“, die die ganze Plattenindustrie durcheinanderwirbeln wird??

Fragte man den Durchschnitts-Leser von „The Face“, Englands modebewußtestem Pop-Magazin, welche Bands dem Jazz zu neuem Leben verholfen haben, bekäme man eine Liste, auf der mindestens folgende Gruppen stehen würden: Sade, Style Council, Matt Bianco, Carmel, Everything But The Girl und (ungeachtet ihrer Proteste) Working Week.

Interessanterweise bezieht der „Jazz“, mit dem sich diese Gruppen beschäftigen, meist seine Vielfalt aus einer Ära, in der Jazz noch in erster Linie Tanzmusik war. Erst später, etwa ab 1964, entzogen Ornette Colemans Abstraktionen, der Intellektualismus von Miles Davids und der emotioneüe Ausbruch von John Coltrane, Archie Shepp und Albert Ayler den Jazz dem Zugriff des gewöhnlichen Hörers und machten ihn in erster Linie zu einer Musik für Musiker.

Beim jetzigen Jazz in London liegt die Betonung auf Image. In einer Stadt, in der sich alle, denen eigene Identität fehlt, in die Mode flüchten, dokumentiert sich Jazz vor allem in der Rückkehr zu den Fünfziger Jahren, jener wunderlichen Ära von Norman Mailers „White Negro“ – wobei die Betonung wohl eher auf „white“ liegt. Genaugenommen ist die Musik, von der hier die Rede ist, das Imitat einer älteren Musik, die wiederum selbst oft genug nur die Verwässerung eines substanzielleren Vorläufers darstellte.

Der Wag Club gehört Chris Sullivan, dem Sänger von Blue Rondo, früher Blue Rondo A La Turk, Der Gruppenname wurde von einer Dave Brubeck-Nummer entliehen. Brubeck, der im gleichen Maße, wie ihn das Publikum in den Himmel lobte, von den Kritikern niedergemacht wurde, gibt überhaupt eine passende Symbolfigur für die neue Musik ab. „Take Five“, sein bekanntester Hit, bedeutet in der Musikersprache: das schwierige, anspruchsvolle Material kurz unterbrechen, eine Pause zu machen. Heute hätte Brubeck statt „Take Five“ vermutlich „Relax“ gesagt.

Allerdings wird kein Londoner Hipster je wirklich relaxen können. Cool zu sein bedeutet, ständig auf der Lauer nach den letzten Image-Nuancen zu sein – aber felsenfest davon überzeugt, daß man das alles „bloß so“ und „just for fun“ macht. Vom Haarschnitt bis zu den Schuhen.

Der Mann, der Londons Revival praktisch im Alleingang angeleiert hat, ist der DJ., den Chris Sullivan fürs „Wag“ angeheuert hatte, ein 28jähriger namens Paul Murphy, der Kleidung (breitschultrige, dunkle Anzüge) und Frisuren komplett von Jazz-Idolen der 50er übernimmt-von den Saxophonisten Art Pepper und Gerry Mulligan und dem Trompeter Chet Baker (letzterer ist übrigens auf Elvis Costellos Version von“Shipbuilding“ wieder aufgetaucht). Murphy gibt offen zu, daß für ihn 1959 bis ’62 die wichtigsten Jahre des Jazz waren und sein Geschmack von der Afro-kubanischen Fusion geprägt wurde, die in dieser Periode Fuß faßte; Dizzy Gillespie mit Chano Pozo und so weiter. Und der tanzbare Hard Bop von Art Blakey und seinen Jazz Messengers.

Das brachte ihn wiederum auf die angrenzenden Areale des Salsa und brasilianischer Musik – Klänge, an denen die Tänzer im Wag und in Camdens Electric Ballroom, Murphys zweiter Residenz, zunehmend Gefallen fanden. Im Ballroom war’s, wo sich die schwarzen Tänzer trafen und zur Musik einer anderen Ära breakdancten.

Gitarrist Simon Booth, der seine erste Gruppe Weekend (mit Free Jazzer Larry Stabbins und Alison Stratton, früher bei den Young Marble Giants) gerade aufgelöst hatte, fühlte sich genötigt, nochmal ganz von vorne anzufangen. Working Week wurde im Electric Ballroom ausgebrütet – die hipsten Tänzer teilten sich die Bühne mit der kosmopolitischsten Band des „Revivals“. Working Weeks Musiker nahmen für Murphys Palladin Jazz-Label auf. und

Weekends alter Produzent, Robin Millar, wurde DER Jazz-Produzent.

Als Millar anfing, hatte er es nur mit einem lockeren Verbund von Freunden zu tun, die – verblüffend genug – allesamt auf die nostalgischen Arrangements abgefahren waren, die er für die (nicht sehr hippen) Pale Fountains geschrieben hatte. Aber nachdem Everything But The Girl und, ganz besonders, Sade in die Charts eingefallen waren, wurde Millar mit einem Mal als „akustischer Trevor Hörn“ tituliert. Er weiß zwar immer noch nicht genau, was diese Bezeichnung eigentlich bedeuten soll, stimmt aber zu, daß da auch schlimmere Namen hätten fallen können.

Auf Millar werde ich demnächst in einem Artikel über Produzenten nochmals zurückkommen – hier möchte ich bloß noch hinzufügen, daß wohl keiner, der – wie es Millar neulich in einem Interview tat – ernsthaft behauptet, Trompeten zu hassen („Schreckliche Instrumente, ich halt‘ den Sound nicht aus“), als Jazz-Produzent sonderlich ernst genommen werden kann.

Derartige Kategorisierungen sind allerdings immer ein Problem. Millars Klang-Verständnis ist eher „klassisch“ und paßt besser zu ECMs Manfred Eicher oder Will Ackerman von Windham Hill – beides Labels, die peinlichst darum bemüht sind, die Bezeichnung „Jazz“ zu vermeiden.

Windham Hill, das erfolgreichste unabhängige „Jazz“-Label 1984, nennt seine Produkte lieber „New Age Music“ – eine Bezeichnung, bei der mir leicht übel wird, obwohl sie den Kurs der kalifornischen Firma angemessen beschreibt. Musik, die noch weiter vom Ghetto entfernt ist, kann man sich kaum vorstellen. Bis A&M den US-Vertrieb übernahm, wurden Windham-Hill-Platten hauptsächlich über alternative Buchhandlungen und Bio-Läden verkauft. Nichtsdestotrotz war Windham-Hill-Pianist George Winston in den „Billboard“-Charts zum Jahresende Amerikas bestverkaufender Jazz-Künstler. Seine Alben DECEMBER und WINTER IN-TO SPRING haben sich beide 200000mal verkauft; die Zahlen für sein AUTUMN-Album reichen jetzt an die Halbmillionen-Marke.

Winston ist damit erfolgreich auf die Position des Easy Listening/Meditations-Gurus nachgerückt, die Keith Jarrett eine Zeitlang mit THE KÖLN CONCERT halten konnte (als ich zum letzten Mal nachfragte, lagen dessen Verkäufe bei ungefähr 900000!).

Solche Zahlen sind im Jazz phänomenal; normalerweise reibt man sich schon die Hände, wenn man eine Jazz-Platte 15000- bis 20000mal verkauft. Die Studiokosten (niedrig, weil Jazz-Musiker wissen, wie man’s schnell richtig hinkriegt) ammortisieren sich – und Label wie auch Musiker können beide etwas verdienen. Seit ECM vorgemacht hat. daß sich Jazz-Platten wesentlich länger in den Regalen halten als die Pop-Konkurrenz, haben die Firmen gelernt, ihre Jazz-Kataloge komplett zu halten. Grafisch dargestellt, haben die Verkäufe mehr Ähnlichkeit mit einer Reihe kleiner Wellen als mit der steilen Spitze und dem ebenso steilen Abfall eines Rock-Albums.

So gesehen wirkt auch die Vorstellung eines Revivals nicht ganz schlüssig. Die ganzen Siebziger hindurch hat sich der Jazz beständig, wenn auch unspektakulär verkauft – die Tatsache, daß sich die großen Labels um das Genre überhaupt nicht kümmerten, war ein Geschenk des Himmels für die unabhängigen Konkurrenten, die Dutzende bewährter Musiker übernahmen, die alle keine Verträge besaßen.

Aber wir kommen vom Thema ab. Sade, gell? Was ist mit Sade? Sade ist weniger Jazz-Revival als vielmehr der lebende Beweis dafür, daß der Klüngel im Musikgeschäft immer noch Wunder wirkt. Sades Freund/Manager ist Robert Elms, zufällig einer der einflußreichsten Journalisten von „The Face“, ausgestattet mit einem nützlichen Netz von Kontakten, sowohl in der Mode- als auch in der Musik-Welt. Modemäßig sprach Sades Gesicht für sich selbst, und prompt bekam sie die Titelseiten der chicsten Journale und sämtlicher Frauenzeitungen – und obendrein die erste Seite von „The Face“ (na sowas) und der wöchentlichen britischen Rock-Presse, lange bevor DIA-MOND LIFE überhaupt veröffentlicht wurde. Ich will gar nicht behaupten, daß sie ohne diese liebevolle Betreuung ein Flop geworden wäre, aber geschadet hat’s sicher auch nicht.

Sie selbst bestreitet jede Verbindung zum Jazz. „In Europa“, beklagte sie sich im „Melody Maker“ (Briten tun immer gern so, als seien sie keine Europäer), „in Europa nennen sie meine Musik immer, Jazzbeeinflußter Pop ‚. Völliger Blödsinn, weil es etwa Working Week und Matt Bianco in dieselbe Schublade schiebt. Natürlich besitzt unsere Musik Jazz-Elemente, aber diese Elemente sind doch nur Klangfarben.“ Hmm, klingt mir nach einem anderen Ausdruck für „Jazz-beeinflußter Pop“.

Na gut, was ist mit dem real stuff? Trompeter Wynton Marsalis etwa, wahrscheinlich der herausragendste Jazzer der letzten Jahrzehnte. Zufällig teilt Marsalis die Ansicht, daß der Jazz irgendwann Mitte der 60er aus der Bahn geriet, als „die Brüder anfingen, wallende Gewänder zu tragen und Avantgarde-Mist zu spielen, der einfach nicht swingte.“

Wyntons Album THINK OF ONE verkaufte eine lockere Viertelmillion. Und sehr zur Freude des Sade-Lagers – Robert Elms schrieb begeisterte Lobeshymnen auf Marsalis huldigt Wynton auch uneingeschränkt dem Style. „Stil“, meint Marsalis, „ist im Leben das Wichtigste. Alles, was über existenzielle Bedürfnisse, über Essen und Scheißen, hinausgeht, hat zwangsläufig mit Stil zu tun. „

Und Robert Elms ist sofort zur Stelle, um diese Feststellung noch auszuschmücken:

„In Marsalis Vertrag gibt es eine Klausel, die besagt, daß in jedem Hotelzimmer Bügeleisen und Bügelbrett vorhanden sein müssen. Er geht nicht auf die Bühne, solange er in seinen gut-geschnittenen, grauen Anzügen nicht tadellos aussieht. Stil spielt sehr wohl eine Rolle. Aber komplexbeladene Intellektuelle verstehen nichts von Stil.“

Na gut, okay. Etwas platt formuliert, aber wir kapieren, worum es geht. Stil zählt. Alles klar. Aber die Frage, die das Jazz-Revival nicht anzusprechen scheint, bleibt: Wessen Stil?

Die Uhr um 25 Jahre zurückdrehen, schnell wieder die akustischen Instrumente rausholen, sich einen Gerry-Mulligan-Bürstenschnitt zulegen oder, in Sades Fall, den aus-der-Stimgekämmten Billie-Holiday-Effekt, einen der italienischen Anzüge tragen, die Miles Davis in den Fünfzigern bevorzugte (schmale Revers, kurzes Jakkett, enge Keilhosen…) – ist das vielleicht mehr als Oberflächlichkeit? Mehr als der banale Versuch, den Jazz zu kopieren – als ob das bloß eine Frage von Gesten und Aussehen wäre, und nicht von Substanz?

Zum Sinn für Stil gehört natürlich ein Gefühl für Mode keine Frage! Aber Stil hat mehr mit Kreativität und Originalität zu tun – einem Gefühl fürs Ich.

Stil gibt s nicht von der Stange. Wenn die Jazz-Stars der 50er Stil hatten – und wer könnte das bestreiten? – dann war das ihr eigener Stil und kein trendgerechtes Echo auf die Kreativität von jemand anderem ein Vierteljahrhundert vorher.

Außerdem tanzten sie nicht nach der Pfeife irgendeines Zirkusdirektors. Der Jazz kannte keine Geschmacks-Diktatoren; es gab keinen Jazz Malcolm-McLaren mit einer Trend-Boutique in der Kings Road, der bestimmte: So muß es sein! Dickköpfigkeit und das Standvermögen, seinen eigenen Weg zu gehen – das waren schon immer die bewundernswertesten Eigenschaften der wirklichen Jazzer.

Man nehme Miles Davis: Inzwischen an die 60, lehnt er jede Form von Nostalgie ab, selbst hinsichtlich seiner eigenen Vergangenheit. Eine neue Generation bekommt verklärte Augen, wenn sie BIRTH OF THE COOL hört, eine Platte, die Ende der 40er als Avantgarde galt. Miles selbst hat sie seit Jahrzehnten nicht mehr gehört und würde diese Musik für kein Geld der Welt nochmal spielen. Damals war damals und heute ist heute – das ist Miles‘ Philosophie.

Unterdessen sind Sade, Working Week und der Style Council hellauf begeistert, mit Miles‘ gelegentlichem Partner, dem Arrangeur Gil Evans, zusammenzuarbeiten. Evans, inzwischen 73 Jahre alt, hat ihre Musik zum Soundtrack des Julian-Temple-Films „Absolute Beginners“ arrangiert. Der basiert auf Collin Maclnnes‘ gleichnamigem Buch und spielt im London der Fünfziger. Man darf sicher sein, daß Musik und Film ihren Teil dazu beitragen werden, noch ein paar „Zoot Suits“ mehr zu verkaufen.

Wie gesagt, der Jazz „kehrt“ etwa alle fünf Jahre „wieder“. Wobei mich zum Beispiel das Mcdell von 1980/81 mehr beeindruckt hat als der nebuiöse Nostalgie-Boom, den wir im Moment erleben. Auch wenn die Gruppen, die George Gruntz beim Berliner Jazz Festival ’81 zum „Free-Funk-No-Wave-Punk-Jazz-Dance“ versammelte, nicht allzuviel verbindet, haben diese Bands und das, was aus ihnen geworden ist, einen dauerhaften Beitrag zum Rock geleistet.

Die Gruppe Material existiert nicht mehr, aber Gründer Bill Laswell hat mehr als irgendwer sonst dazu beigetragen, Free Jazz und Hard Funk zusammenzubringen; jeder, der mit seinen Experimenten in Berührung kam, hat davon profitiert. Herbie Hancocks Alben FUTURE SHOCK und SOUND SYSTEM repräsentieren das überzeugendste Kompendium von Jazz und schwarzen Musik-Stilen, das bisher zusammengestellt wurde.

Wynton Marsalis lehnte diese Fusion-Versuche als Entartung kategorisch ab: „Als ob man mit seiner eigenen Tochter ins Bett geht. “ Und ob sich die Türen für einen Jazz-Musiker, der bei einem Pop-Hit als Aushängeschild diente, wirklich geöffnet haben, bleibt auch noch dahingestellt. Kauft sich das Publikum tatsächlich die Alben von Avantgarde-Gitarrist Sonny Sharrock, nachdem es ihn bei Material gesehen hat? Wie ein Radio-Macher neulich in „Billboard“ meinte: „In den Sixties war es an der Tagesordnung, daß die Hörer von Captain Beefheart auf Eric Dolphy umstiegen. Von Hancocks .RockiV geht niemand irgendwohin. „

Das ist allerdings zum Teil der Fehler konservativer Plattenfirmen, die, nachdem sie mit experimentellem Funk-Jazz den kleinen Zeh ins Wasser gesteckt hatten, sofort kniffen, wenn keine Profite herausschauten. Rip Rig And Panic wurden von Virgin fallengelassen (sie spielen in England unter dem neuen Namen Float Up C.P. weiter); die Lounge Lizards wurden von EG ausgebootet (nehmen jetzt für das winzige Europa-Label auf) und das trotz des Erfolges, den Saxofonist/Leader John Lurie als Filmschauspieler in „Stranger Than Paradise“ einheimste. Ornette Colemans Prime Time hat überhaupt kein Label, und nur die Golden Palominos, die Free-Funk-Supergruppe mit Arto Lindsay, John Zorn, Jamaaladeen Tacuma, Laswell usw. konnten die Flagge des Experimentellen mit einigem Erfolg hochhalten.

In England erfreuen sich momentan die Blow Monkeys einiger Beliebtheit – eine Gruppe, die eine Comic-rnäßige Vereinfachung von Free Jazz verkauft, gefiltert allerdings durch eine ausgeprägte Vorliebe für die glamouröse Seite der Popmusik. Leader Dr. Robert Howard, ein Australier, verehrt Marc Bolan und Iggy Pop und hat ein vergleichbares Charisma. Es ist wahrscheinlich, daß die Blow Monkeys genau aus diesem Grunde das Publikum bekommen, das früher zu Rip Rid And Panic gepilgert wäre.

Zurück im Wag Club… Vielleicht stehen gerade Kalima aus Manchester auf der Bühne und spielen ihre Bossa-Nova-Version von Sarah Vaughans „The Smiling Hour“ – mit den Jazz Defectors, einem Quartett tanzender Sänger. Oder IDJ sind da, die Breakdancer, die ursprünglich zu Working Week im Electric Ballroom getanzt haben Genausogut könnte man auch Will Gaines treffen, den 60 Jahre alten Steptänzer, der sämtliche anderen Tänzer wie angewurzelt stehenbleiben ließ, als er einen Gast-Auftritt im Electric Ballroom gab.

Gaines ist wenigstens ein Oldtimer, der vom Revival profitiert hat. Ebenso wie Slim Gaillard, Gitarrist, Tänzer, Sänger und in erster Linie jivetalker ein Mann, der seine Hoch-Zeit in den 40ern erlebt hat. Heute übernehmen neue Möchtegern-Hipster Slims Revolverschnauze (es hat vermutlich wenig Sinn, das hier abzudrucken; ist zudem absolut un-übersetzbar); und Slims alte Hits wie „Fiat Foot Floogie“, „Tutti Frutti“ und „A-Reeta-Voutee“ liegen oft auf Paul Murphys Plattenspielern oder denen seiner Deejay-Kollegen Baz For Jazz oder Colin Curtis.

Die entscheidende Frage bleibt allerdings unbeantwortet. Führt das diesjährige Jazz-Revival zu irgendwas? Prognosen sind kaum mehr als vergebliche Hoffnungen; und der Schreiber, der sie stellt, ist oft genug heilfroh, wenn die Musikzeitung von diesem Monat vier Wochen später im Abfall verschwunden ist.

Das vorausgeschickt, glaube ich allerdings, daß der bloße Einfluß der Filmindustrie ausreichen wird, die Flammen dieser schwelenden Szene noch eine Zeitlang anzufachen. 47 Millionen Dollar wurden nicht für nichts und wieder nichts in Coppolas „Cotton Club“ investiert. Die Plattenverkäufe von Duke Ellington und Cab Calloway haben schon angezogen.

Des weiteren steht demnächst Richard Pryor in „The Charlie Parker Story“ ins Haus – und nimmt man noch die „Absolute Beginners“ dazu, darf man schon mutmaßen, daß die Vergangenheit des Jazz einen ganz schönen Schub bekommen wird.

Ich könnte jetzt von großartigen Musikern erzählen, die Taxi fahren oder auf dem Bau arbeiten, um sich ihre Musik leisten zu können. Sie würden sich als Jazz-Musiker bezeichnen, aber der Jazz-Boom wenn er kommt – wird spurlos an ihnen vorübergehen. Und das wissen sie nur zu gut.

Mit Neuem ist kein Geld zu machen, das war schon immer so. Man steckt lieber die Vergangenheit in eine neue Verpackung.