J Mascis über Deutschland
J, welches ist dein deutsches Lieblingswort? (Schweigen. Sinnieren. Fragender Blick durch lange graue Haare)
Wie viele deutsche Wörter kennst du denn?
Nicht allzu viele. Mein Deutsch ist nicht sehr gut. Ich kann ein bisschen was verstehen. Manche Menschen verstehe ich besser als andere. Die Mutter meiner Frau spricht so langsam, dass ich sie einigermaßen verstehen kann.
Aber du sprichst es gar nicht?
Nein.
Nicht mal ein paar Schimpfwörter?
Doch, das schon. Da kann ich ein paar. Aber man muss ja gar nicht Deutsch lernen, die meisten hier sprechen doch eh Englisch.
Deine Frau Luisa ist Deutsche, dein Sohn jetzt sechs Jahre alt. Wächst er zweisprachig auf?
Ja, aber sein Englisch ist besser als sein Deutsch. Immerhin besser als meines. Die vergangenen Tage ist er mit seinem Cousin in die Schule in Spandau gegangen. Das scheint ganz gut gelaufen zu sein.
Stellst du Unterschiede fest bei dir und deiner Frau, die damit zu tun haben, dass sie Deutsche ist und du Amerikaner?
Es gibt ein paar kulturelle Unterschiede. Sie kennt ein paar TV-Sendungen nicht, die bei uns zum Standard gehören. Aber ansonsten? Nein, eigentlich gibt es kaum Missverständnisse.
Hast du jemals darüber nachgedacht, nicht in Amherst, Massachusetts, zu bleiben, sondern mit deiner Frau nach Deutschland zu ziehen?
Nicht wirklich. Ich bin ein Kleinstadttyp.
Wir haben hier in Deutschland auch ein paar reizende Kleinstädte.
Ja, aber das wäre nicht die Stadt, in der ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Nicht, dass ich Amherst so großartig fände. Ich mag die Stadt nicht besonders, aber ich verspüre auch keine Abneigung gegen sie. Ich bleibe am liebsten da, wo ich herkomme. Ich brauche keine großen Veränderungen. Luisa versucht bisweilen sogar Menschen davon zu überzeugen, nach Amherst zu ziehen. Aber dafür möchte ich nicht verantwortlich sein.
Gibt es etwas, worauf du dich freust, wenn du nach Deutschland kommst?
Vor allem die Menschen, die ich kenne.
Und sonst? Das Bier? Bratwurst?
Keine Wurst, kein Schnitzel. Ich esse kein rotes Fleisch.
Brot? Die Deutschen sind sehr stolz auf ihr Brot.
Ja, das Brot ist ganz gut. Zu Hause esse ich gar kein Brot, hier immerhin ab und zu. Aber eins muss ich zugeben: Die Pizza ist in Deutschland besser als in den USA.
Wie heißt deine Lieblingsstadt in Deutschland?
Berlin, klar. Hamburg ist okay, aber den Rest von Deutschland finde ich deprimierend. Ich habe mal ein paar Tage in Limburg verbracht, das hat mir gereicht.
Wie hat es dich nach Limburg verschlagen?
Ich habe dort bei einem Guru meditiert. Das war auch okay, aber Limburg Allerdings liegt das vermutlich vor allem an mir selber: Ich bin nicht gern in einer fremden Umgebung.
Nicht so praktisch als Musiker, der öfter auf Tour geht.
Auf Tour ist es okay, da habe ich ja was zu tun. Und ich habe ja auch nichts gegen fremde Länder. Aber wenn ich ein oder zwei Mal da war, dann reicht es. Aber Berlin mochte ich immer, schon bevor ich Luisa kannte. Vor allem als die Mauer noch stand, fand ich Berlin cool. Die Stadt wirkte so geheimnisvoll. Außerdem lebte Nick Cave hier. Als ich das erste Mal nach Berlin kam, das muss 1988 gewesen sein, war ich total aufgeregt – und die Stadt hat meine Erwartungen erfüllt. Wir spielten als Vorgruppe für den Gun Club im Loft. Kid Congo spielte damals beim Gun Club und den Bad Seeds und wir gingen zu einer Geburtstagsparty in Blixa Bargelds Haus.
Wie war die Party?
Sehr cool, sehr durchgedreht. Seltsame Models, die sich in der Ecke eine Spritze setzten. Auf jeden Fall sehr anders als Amherst.
Du bist begeisterter TV-Seher. Schaust du auch deutsches Fernsehen?
Ich sehe nie deutsches Fernsehen.
Aber du schreibst die Songs noch beim Fernsehschauen?
Das mach ich immer noch. Ich klimpere auf der Gitarre herum und warte, dass etwas passiert. Es ist ein bisschen wie Angeln: Man wartet und hofft, dass einer anbeißt.
Wäre das nicht mal ein interessantes Experiment, Songs zu schreiben, während deutsches Fernsehen läuft? Würden die Lieder anders klingen?
Sicher. (lacht) Nein, das würde nichts ändern. Der Fernseher ist ja keine Inspiration. Der läuft ja nur, damit die Zeit schneller vergeht, weil Angeln ganz schön langweilig sein kann. Der Fernseher leistet mir bloß Gesellschaft.
Du bist erklärtermaßen Krautrock-Fan …
Ja, ich liebe alle diese Bands. Neu!, Kraftwerk. Aber ich finde auch neuere deutsche Bands wie zum Beispiel EA80 gut.
Kann man den Krautrock in deiner Musik hören?
Ja, durchaus. Aber Krautrock hat generell einen großen Einfluss auf den Alternative Rock. Der typische Sonic-Youth-Drumbeat ist von Neu! geklaut und dann haben My Bloody Valentine den Drumbeat von Sonic Youth geklaut und so weiter. Und Kraftwerk ist für jeden, der ehrlich ist, ein riesiger Einfluss, nicht nur auf Rap. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal Kraftwerk gehört habe: Ich war mit dem Ski-Team meiner Schule unterwegs, einer spielte uns Kraftwerk vor und meinte, das sei „deutsche Disco-Musik“. Es war das Bizarrste, was ich jemals gehört hatte.
Warum gibt es nur so wenige deutsche Acts, wie Kraftwerk, Einstürzende Neubauten oder Rammstein, die außerhalb von Deutschland erfolgreich sind?
Die meisten anderen kopieren nur amerikanische Vorbilder.
Als du aufwuchst in Amherst, was für ein Bild von Deutschland hattest du?
Das war vor allem von Berlin geprägt. Ich hatte den Film „Christiane F.“ gesehen. Berlin war dieser faszinierende, dunkle, mysteriöse Ort, an dem David Bowie und Iggy Pop lebten.
Kamen in diesem Bild keine Autobahnen vor? Keine Nazis?
Nazis kamen natürlich auch vor.
Hat sich dein Bild von Deutschland nun verändert?
Ja, das Bild ist milder geworden. Ich glaube nicht mehr, dass jeder Berliner ein Junkie und jeder Deutsche ein Nazi ist. (lacht) Ich habe in der Schule ziemlich viel über den Zweiten Weltkrieg gelernt. Einer meiner Lehrer war vorher SS-Offi zier gewesen.
Ach so? Warum saß der nicht im Gefängnis?
Keine Ahnung. Er war Deutschlehrer und gab einen Kurs, der „Hitlers Mythos“ hieß. Es gab noch einen anderen Deutschlehrer, einen Juden, der vor den Nazis geflohen war, dann für die Alliierten gekämpft und nach dem Krieg als Übersetzer bei den Nürnberger Prozessen gearbeitet hatte. Das war natürlich spannend, dass die zwei zusammenarbeiten mussten.
In den vergangenen Jahren hast du viel Zeit in Deutschland verbracht. Was hast du über das Land gelernt, das du noch nicht wusstest?
Nichts, glaube ich.
Joseph Donald Mascis Jr. wurde 1965 in Amherst, Massachusetts, geboren. Er begann seine Karriere als Schlagzeuger, revolutionierte aber als Gitarrist den Alternative Rock und legte die Saat für die Grunge-Explosion. Ob bei Dinosaur Jr. in einer bisweilen handgreiflichen Partnerschaft mit Bassist Lou Barlow oder auf seinen Solo-Alben, von denen das akustische TIED TO A STAR, unlängst erschien: Mascis blieb seinem Stil treu und hielt die Gitarren-Soli mindestens so lang wie seine Haare, die seit Jahren in Ehren ergraut sind.