J. J. Cale


Das Bekannteste in bezug auf J. J. Cale ist wahrscheinlich sein Song "After Midnight", und der ist noch nicht mal durch ihn bekannt geworden, sondern durch Eric Clapton. Dessen fantastische Version ließ viele aufhorchen und sich den Namen Cale notieren. Als man sich nach Erscheinen seines ersten Albums nach ihm erkundigte, war nicht mehr herauszukriegen, als daß er eigentlich John hieße, aus Tulsa in Oklahoma käme und für sein Leben gerne Gitarre spiele.

Wenn so etwas geschieht, stehen in der Regel den nimmermüden Image-Bastlern Tür und Tor offen. Und so wurde in kürzester Zeit aus J.J. ein romantischer, versunkener Träumer, der auf der Veranda seines Holzhauses im Schaukelstuhl sitzt und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein läßt. Ihn bedrücken weder die Politik noch die Umweltverschmutzung, kein Geld und kein persönliches Problem, sagt man. Er sitzt einfach nur in seinem Schaukelstuhl und redet in der Woche höchstens mal einen Satz — aus Versehen. „Der Schweiger aus Tulsa“ lautet sein Image, und es wird Zeit, zu zeigen, daß er zumindest ebenso aktiv ist, wie die meisten seiner Kollegen.

Der Country-Fan

J.J. hat mit typischer Rockmusik eigentlich nichts am Hut. Er hängt mit Leib und Seele an der Country-Musik. Freilich hat er einen völlig eigenwilligen Stil aus seiner Country-Vorliebe entwickelt. (Vielleicht Country-Blues oder so etwas.) Er hat aber auch schon Rock’n Roll gespielt. Das war in den fünfziger Jahren, und die Band nannte sich die „Valentines“.

Oklahoma, der Bundesstaat aus dem Cale stammt, liegt fast genau in der Mitte zwischen der Ost- und der Westküste Amerikas, und man kann sicher sein, daß es DER Landstrich ist, an dem am wenigsten los ist. Eben ländlich und hinterm Berg. J.J. spricht nicht gerne über vergangene Tage (wo er doch ohnehin schon so wenig spricht), aber wer „Naturally“, seiner ersten LP aufmerksam lauscht, wird schnell begreifen, was dort damals so los war, und was für ein Mensch J.J. ist.

In den Anfangstagen von „Delaney & Bonnie & Friends“ konnte man neben Leon Russell mitunter auch seinen Busenfreund J.J. Cale auf der Bühne entdecken. Leon war ebenso alt wie er, ebenfalls aus Tulsa, und sie hatten den gleichen musikalischen Geschmack. Als es Russell zu Beginn der 60er nach Los Angeles zog, um sein Glück zu machen, folgte ihm J.J. ohne zu zögern. Genauso natürlich folgte er Leon auch zu Delaney & Bonnie, wo Russell vorne stand, und er sich unauffällig und still im Hintergrund hielt. Wie zu erwarten wurde ihm die Sache aber schließlich zu dumm. Er hatte das dauernde Herumreisen satt und packte seine Koffer. Nashville, strahlende Hochburg und Zentrum der Countrv-Musik, war sein Ziel.

J.J. Cale, der Unvergleichbare

Dort begann er zu komponieren, zu arrangieren und als Toningenieur für Leon’s neue Firma „Shelter“ zuarbeiten. Während er die maßgeblichen Herren kennenlernte, lernten diese ihn schätzen. Wer weiß, auf wie vielen Country-Alben er inzwischen ungenannt im Hintergrund die schärfste Gitarre zupft, die je eine Country-Platte gehört hat. Egal welche erlauchten Namen man nennt, J.J. ist in jedem Falle das Gegenteil davon. Er spielt weder schnell noch kraftvoll, nicht unbedingt virtuos, nicht komplex und differenziert und überhaupt fällt einem leichter aufzuzählen wie er nicht spielt, als zu beschreiben wie er spielt.

Supercool und locker

Wenn man ihm zuhört, meint man sich unwillkürlich an ein stilles, verschwiegenes Fleckchen Erde versetzt, wo man in der Sonne liegt, die Wolken beobachtet und einen durchzieht, und die Fliege auf dem Bein ohne den geringsten Anflug von Hast zum Teufel wünscht. Seine Soli klingen so leichtfüßig und locker, daß sie schon fast wieder selbstverständlich wirken, und seine Stimme dazu läßt Cat Stevens wie einen besoffenen Schreihals erscheinen und die Bee Gees wie ein übler Dubliners-Verschnitt.

Die Amerikaner nennen es „Laid Back“ und kommen damit seiner Musik am nächsten. Man hat wirklich den Eindruck, er säße mal wieder in seinem obligatorischen Schaukelstuhl und erzählte der Dorfjugend Märchen auf seiner alten Gitarre. Man ahnt nur, welch ein Können und wieviel Erfahrung hinter so viel Einfachheit und scheinbarer Naivität steckt, aber J.J. würde niemals zwei Harmonien verwenden, wenn er mit einer auskäme.

Die Modernisierung

Aber auch an ihm ging die Zeit nicht spurlos vorüber. Vor ein paar Monaten erschien seine bislang letzte LP „Okie“, und sie ist lange nicht mehr so cool und locker wie „Naturally“, John’s Erstling und Meisterwerk. Mit „Really“, dem Album vom Sommer ’73, bahnte sich bereits die Veränderung an. Die Tonqualität war weitaus hesser, die Studiomusiker wichtiger geworden und J.J. selbst für seine Verhältnisse schon fast rockig. Offenbar hatten ihm einige Herrschaften nahegelegt, doch mal etwas Zeitgemäßeres und Moderneres zu bringen, wie das so üblich wäre.

Und irgendwie haben sie ihn herumgekriegt. Er geht nun öfter in den Staaten auf Tournee, gibt manchmal richtige Interviews und läßt sich einfach in letzter Zeit öfter mal blicken. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit ist jedoch das Farbposter in „Really“. Wenn es jemanden gibt, dem nicht mit Stickern, Postern oder Fanpostkarten gedient ist, dann J.J. Cale. Nicht weil er eher wie ein hartgesottener Farmarbeiter als wie ein Popstar aussieht, sondern vor allem weil seine Musik mit dieser Variante des Showgeschäftes nicht in Einklang zu bringen ist. Sollte er irgendwann einmal in Deutschland auftauchen, und man munkelt im Moment öfter davon, kann sich jeder selbst von seiner Natürlichkeit und dem lästigen Image-Gehabe um ihn herum überzeugen.

Ausgefallene Aufnahmebedingungen

Cales Platten, besonders die beiden letzten, bleiben trotz Modernisierung Kostbarkeiten der Rockgeschichte. Er ist eben einmalig, dieser Okie (Hinterwäldler) aus Oklahoma. Zum Beispiel geht er nicht, wie es üblich ist, in ein Studio, um seine Platten aufzunehmen, sondern schaut in den großen Städten, wo er sich gerade herumtreibt, mal kurz in eins hinein, nimmt mit Studiomusikern oder Freunden ein paar Nummern auf und verschwindet wieder. Später sammelt sein Produzent die angefallenen Bänder ein, wählt ein paar Sachen aus und veröffentlicht sie als LP. Auf diese Weise bleibt zumindest der Hauptanteil seines Stils, die Gelassenheit und das lockere Gezupfe, erhalten.

Leon Russell und Carl Radle

Dankbar sollten wir Leon Russell sein, der ihn für „Shelter“ entdeckte und veröffentlichte und Carl Radle, dem allseits bekannten Studiobassisten (ebenfalls aus Tulsa), ohne den J.J. wohl nie bekannt geworden wäre. Carl, der ihn bei Delaney & Bonnie kennenlernte, ist einer seiner wenigen Business-Freunde. Er sorgte einst dafür, daß J.J.’s Bänder in Umlauf und in die Hände von Eric Clapton gerieten. Inzwischen, da Cale daheim sein eigenes kleines Studio eingerichtet hat, würde er am liebsten überhaupt nicht mehr an die Öffentlichkeit treten. Und wäre Carl nicht, könnten wir vermutlich lange auf Neuigkeiten vom „After Midnight‘-Macher, dem Mystery Man der Rockmusik, warten.