Diskussionsrunde

„Wir haben eine Stimme, die unsere Eltern nicht hatten“: Was Eko Fresh, Chefket, Ebow und Aydo Abay über Identität und Diskriminierung sagen


Die Debatte um Fußball-Nationalspieler Mesut Özil hatte einmal mehr gezeigt: Viele Menschen in Deutschland scheinen ein Problem mit ihren türkischstämmigen Mitbürgern zu haben – und die haben offenkundig eines mit Diskriminierung. Wir haben mit Ebow, Chefket, Eko Fresh und Aydo Abay – vier Musikern mit türkischen Eltern – über dieses scheinbar endlose Dilemma diskutiert. Ein Text von Laura Aha und Oliver Götz.

Für unsere Diskussionsrunde haben wir uns diese verrauchte, mordsgemütliche, durchaus egalitäre Eckkneipe in Kreuzberg ausgesucht: die „Schultheiss Quelle“. Aber sind wir damit nicht gleich selbst in die Vorurteils-Falle gelaufen? Denn hat uns dabei nicht diese Art von Gedanke geritten: Setzen wir diese vier „Deutschtürken“ doch mal in so einer urdeutschen Stammtischlandschaft aus, von wegen der kulturellen Gegensätze, das könnte doch interessant werden? Die Tatsache missachtend, dass solche Eckkneipen doch genauso Teil ihrer Kultur sind: Eko Fresh, Ebow, Aydo Abay und Chefket sind geboren und aufgewachsen in Deutschland! Deshalb fragen sie aber auch nicht weiter nach dem Wiesoausgerechnethier, sondern bestellen Wasser, Saft, Bier, zünden sich Zigaretten an und springen ohne großen Anlauf in das Gespräch, für das wir sie nicht lange überreden mussten. Sie kamen gerne. Eko sogar bis aus Köln gefahren. Er, Ebow und Chefket kennen sich schon; Aydo ist der Unbekannte, das bleibt aber nicht lange so.

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Uns allen ist klar, dass wir diese so mühsame wie müßige Debatte um den zurückgetretenen Özil nicht auch noch gebraucht hätten, um zu erkennen, dass es 57 Jahre nach dem „Gastarbeiter“-Abkommen zwischen der Türkei und Deutschland immer noch jede Menge Missverständnisse und Misstrauen gibt. Immerhin wurde in deren Folge (unter Hashtags wie #metwo und #germandream) eine weit verzweigte Diskussion losgetreten, die durchaus konstruktive Ansätze erkennen lässt. Hoffen wir, dass auch unsere Runde hier dazugezählt werden darf.

Şevket „Chefket“ Dirican wurde 1981 in der Nähe von Ulm geboren – genauer in Heidenheim an der Brenz; „keiner kennt’s“, reimt er. Seine Band dort hieß Nil. Die falsche Aussprache seines Vor- namens übernahm er einfach als Künstlernamen. Seine Eltern machen sich keine Sorge mehr um seine Karriere, seit er 2007 mit dem türkischen Popstar Sertab Erener quasi weltweit im Fernsehen zu sehen war. Auf seiner aktuellen Single „Gel Keyfim Gel“ vom auch in diesem Magazin gefeierten neuen Album ALLES LIEBE (NACH DEM ENDE DES KAMPFES) lässt er seine türkischen Wurzeln sowohl textlich wie musikalisch einfließen
Şevket „Chefket“ Dirican wurde 1981 in der Nähe von Ulm geboren – genauer in Heidenheim an der Brenz; „keiner kennt’s“, reimt er. Seine Band dort hieß Nil. Die falsche Aussprache seines Vor- namens übernahm er einfach als Künstlernamen. Seine Eltern machen sich keine Sorge mehr um seine Karriere, seit er 2007 mit dem türkischen Popstar Sertab Erener quasi weltweit im Fernsehen zu sehen war. Auf seiner aktuellen Single „Gel Keyfim Gel“ vom auch in diesem Magazin gefeierten neuen Album ALLES LIEBE (NACH DEM ENDE DES KAMPFES) lässt er seine türkischen Wurzeln sowohl textlich wie musikalisch einfließen

Nachdem geklärt ist, dass Chefket leider früher aufbrechen wird (er muss zum „People Festival“ – proben!), und unsere vier Gäste den unterhaltsamen Gedanken wieder verworfen haben, das Gespräch bei Bedarf einfach ins Türkische switchen zu lassen, geht es los …

Wahrscheinlich kriegt ihr in letzter Zeit viele Anfragen wie unsere …

Eko Fresh: Ja, „Beruf: Migrant“.

Chefket: Wir sind auf einmal sehr in. Ich frage mich allerdings, ob dieser Alarmismus, der gerade stattfindet, tatsächlich dem realen Leben entspricht. Vielleicht geht es auch nur darum, ein Sommerloch zu stopfen.

Wir haben euch ja auch in diese Runde eingeladen als sogenannte „deutsch- türkische“ Künstler, mit diesem Label „Migrationshintergrund“. Was haltet ihr davon?

Chefket: Wenn man überhaupt nicht mehr über Musik reden kann, sondern auf die Herkunft reduziert wird, dann ist das traurig. Aber man muss trotzdem klar sagen, wie man über gewisse Dinge denkt. Dass man sich selbst einfach als Deutschen mit türkischen Eltern sieht – ein Deutscher, der halt gut Türkisch kann …

Eko: Für mich ist Chefket ein Schwabe!

Chefket: Ja, Mann! … Alles, was ich mit der türkischen Kultur verbinde, hat mit meinen Eltern zu tun. Ich bin ja auch zweite Generation, mein Vater ist 80, meine Mutter ist 76. Ich habe nur Gutes daraus ziehen können und nie verstanden, wenn Leute negativ darüber reden …

… dass man in zwei Kulturen aufgewachsen ist?

Chefket: Ja, das fängt schon in der Schule an. Wenn man der Einzige mit türkischen Eltern ist, kommen Fragen wie: „Warum sind deine Landsleute so aggressiv?“

Aydo Abay: Meine Schulzeit war die Hölle. Ich war der einzige Türke auf dem ganzen Gymnasium, der „dicke Türke“. Das war erst vorbei, als ich anfing, in Rockbands zu spielen.

Chefket: Warst du dick?

Aydo: Ja, ich war damals auch noch dick. Zwei Sachen auf einmal.

Eko: Auf meinem Gymi waren wir in meiner Clique ein Pole, ein Kroate, ein Deutscher und ich als Türke, und man musste sich für gar nichts entscheiden. Es gab all diese Sachen nicht … dieses Beobachten, ob man sich auch richtig verhält.

Ebow: Bei mir ist es ein bisschen anders, weil ich einen kurdischen Background habe und Alevitin bin. Das prägte meine Erziehung. Aber diese Identitäts-Zuschreibungen, die sich daraus ergeben, finde ich superunnötig. Es geht immer nur darum: Was muss ich verteidigen in welchem Kontext? Wenn ich mit Türken abhänge, bin ich die Kurdin, wenn ich mit Kurden abhänge, bin ich die Alevitin und so weiter.

„Biodeutsche“ dürfen einfach sein, wie sie sind …

Chefket: Man darf halt nicht in diese Falle tappen, dass man seine Entfaltung als Mensch bremsen lässt durch Rassismus, indem man sich dauernd damit befasst. Man wird zum Kulturinformanten, nur weil irgendwelche Menschen zu faul sind, sich ein bisschen Wissen anzulesen. Schon in der Schule wurde ich von Lehrern als „unser Türkeispezialist“ angesprochen. Und weil ich davon gar keine Ahnung hatte, habe ich mir halt Sachen angelesen.

Dir wurde diese Aufgabe aufgedrückt?

Ebow, bürgerlich Ebru Düzgün, wurde 1990 als Tochter kurdischer Aleviten in München geboren und wuchs dort bei Mutter und Großmutter auf. Anfangs machte sie sich mit Battle-Raps und Guerilla-Gigs einen Namen. Ihre Texte sind feministisch, als Einflüsse nennt sie Missy Elliott, M.I.A. und die türkische Sängerin Selda Bağcan. Ihr zweites Album KOMPLEXITÄT (2017) bekam reichlich gute Kritiken. Neben ihrer Soloarbeit ist sie Mitglied des Futurepop-/R’n’B-/Elektro-Trios Gaddafi Gals. Aktuell lebt Ebow in Wien, wo sie Architektur studiert.
Ebow, bürgerlich Ebru Düzgün, wurde 1990 als Tochter kurdischer Aleviten in München geboren und wuchs dort bei Mutter und Großmutter auf. Anfangs machte sie sich mit Battle-Raps und Guerilla-Gigs einen Namen. Ihre Texte sind feministisch, als Einflüsse nennt sie Missy Elliott, M.I.A. und die türkische Sängerin Selda Bağcan. Ihr zweites Album KOMPLEXITÄT (2017) bekam reichlich gute Kritiken. Neben ihrer Soloarbeit ist sie Mitglied des Futurepop-/R’n’B-/Elektro-Trios Gaddafi Gals. Aktuell lebt Ebow in Wien, wo sie Architektur studiert.

Ebow: Man wird zum „Token“ gemacht.

Eko: Es wird auch einfach davon ausgegangen, dass wir alles wissen, was da so abgeht. Aber wir sehen ja auch nur das, was jeder andere im Fernsehen sieht. Nur, dass wir eben noch die Sprache verstehen. Das heißt, wenn ich türkisches Fernsehen gucke, geht mir das oft zu schnell.

Ihr bleibt also immer weiter die „Quotentürken“ …

Eko: Richtig, ich habe das, wie du zitierst, schon 2013 in meinem Song „Quotentürke“ zum Thema gemacht. Eigentlich bin ich ein technisch versierter Rapper, ich habe angefangen als Battle-Rapper, hatte Hit-Singles. Aber irgendwann war ich nur noch bei solchen Themen gefragt. Ich wurde zum offiziellen Türkei-Beauftragten der deutschen HipHop-Szene. Als ich das erkannte, fiel es mir auch erst einmal schwer, weiter etwas dazu zu sagen, obwohl es bis dahin ein großer Teil meiner Kunst war, das Leben zwischen Deutschen und Türken zu beschreiben. Inzwischen denke ich mir aber: Okay, dann habe ich eben diese Vermittleraufgabe, es gibt ja auch undankbarere Rollen.

Chefket: Ich hatte eigentlich versucht, dieses Thema mit meiner Platte IDENTITÄTER abzuhandeln. Aber ich konnte nicht aufhören, weil es immer Punkte gab, an denen es mir wichtig war, etwas dazu zu sagen.

Eko: Mit „Quotentürke“ habe ich vor allem versucht, mich darüber lustig zu machen, um die Anspannung zu lösen.

Chefket: Aber du rappst da auch: „Der Quotentürke ist jetzt nicht mehr so lustig“.

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Eko: Genau: Langsam ist es nicht mehr lustig.

Chefket: Es kommt einem so vor, als dürften Türken eben nur Comedy machen und Fußball spielen oder im Fernsehen Kriminelle darstellen.

Ebow: Humor hat ja auch eine Schutzfunktion. Ich arbeite auch immer wieder damit, aber man fragt sich gleichzeitig: „Wieso lachen die Leute eigentlich über solche Sachen?“ Wenn jemand lacht, der nicht den gleichen Background hat, fühlt er sich vielleicht ertappt mit seinen Vorurteilen und lacht genau deswegen. Das sind wesentliche Fragen: Wie wird etwas medial aufgegriffen? Wie wird man instrumentalisiert? Wie wird man dargestellt? Oder es passiert so etwas: Jemand hört ein Interview mit mir und sagt: „Ah, du studierst ja auch!“ Der denkt, er macht dir ein Kompliment, aber es ist keines. Denn er sagt ja, dass es nicht normal ist, dass ausgerechnet ich studiere.

Chefket: Vieles davon geschieht aber auch einfach unbewusst. Wir sind nicht durchmischt, wir reden übereinander, statt miteinander. Man müsste das dreigliedrige Schulsystem ändern, sodass Kinder nicht so früh voneinander getrennt werden. Man müsste darauf achten, dass jedes Kind einen gewissen Bildungsstandard genießt. Dann studiert man vielleicht sogar zusammen, dann findet Begegnung statt.

Was müsste eurer Meinung nach darüber hinaus getan werden, um diese „Integrations-Debatte“ ein Stück voranzubringen?

Ebow: All diese TV-Talkshows zum immer gleichen Thema müsste es nicht mehr geben, wenn die Leute, die dazu einladen, sich selbst damit auseinandersetzen würden. Natürlich ist es wichtig, dass jetzt nicht fünf Weiße hier sitzen und darüber reden, wie das alles ist. Aber andererseits ist es halt auch so, dass einem die immer gleichen Fragen gestellt werden.

Welche zum Beispiele? Was nervt am meisten?

Ebow: „Wie ist es als Türkin in Deutschland?“ Als wäre ich zum Urlaubmachen hier! Und es ist ja auch nicht so, dass ich mich jeden Tag damit befasse: „Wie ist das jetzt gerade hier? Wie fühl ich mich? In diesem Deutschland, krass!“

Chefket: Bei solchen Talkshows werden ja auch nie Soziologen oder Philosophen eingeladen, die mal ein paar Fakten reinbringen. Da geht es nur um Einschaltquoten, mit reißerischen Überschriften wie „Gehört der Islam zu Deutschland?“.

Eko: Menschen schauen halt eher auf das Negative. Deshalb wird immer weiter an diesem Rad gedreht, statt einen lösungsorientierten Weg einzuschlagen.

Neben dem Druck, sich in Deutschland ständig erklären zu müssen: Spürt ihr auch aus euren türkischen Familien und Freundeskreisen Druck, euch zu den Entwicklungen in der Türkei positionieren zu müssen?

Aydo: Mit meinen Eltern habe ich aufgegeben, solche Diskussionen zu führen. Sie sind pro Erdoğan …

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Jörg Brüggemann Musikexpress
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