„Die Kassette ist für mich ein Lebensgefühl“: Labelbetreiber Elia Buleti im Interview
Wieso entscheidet man sich dafür ein Label zu gründen, das nur Kassetten veröffentlicht? Und dann auch noch in Eigenregie? Elia Buleti vom Berliner Label „Das andere Selbst“ ist diesen Weg vor zehn Jahren gegangen. Für ihn ist die Kassette ein Gesamtkunstwerk.
Analog ist besser: Diese Empfindung bringen die meisten mit ihrer Liebe zum Vinyl zum Ausdruck. Aber wer bitte sammelt schon Kassetten? Die MC ist ein Tonträger, der scheinbar nur Nachteile hat: Das Magnetband nutzt sich schnell ab, ist anfällig für Hitze, der Klang ist nicht so voll wie auf einer Vinyl. Dennoch: Die Kassette findet in ihrer Nische immer mehr Anhänger.
So wie Elia Buleti. Der gebürtige Schweizer hat 2008 nach seinem Kunststudium das Kassetten-Label „Das andere Selbst“ in Genf gegründet. Inzwischen hat das Ein-Mann-Unternehmen seinen Sitz in Berlin-Neukölln. Klingt hipper als es sein soll: Buleti versteht sein Label eher als eine Art Kunstkollektiv, um mit anderen in Kontakt zu kommen. Neben seiner Label-Arbeit legt er auch als DJ auf und nimmt experimentelle Musik auf.Wie gefällt es Buleti, dass sogar Urban Outfitters Kassetten verkauft? „Die nehmen eben mit, was geht“, sagt er. Auf seinem eigenen Label finden sich keine große Namen, dort veröffentlichen vor allem Künstler, die sonst in anderen Bands spielen und eben ein Label für ihre Nebenprojekte suchen oder sich ausprobieren wollen. Doch wie kommt man darauf, ein Kassettenlabel zu gründen, Elia Buleti?
Elia Buleti: Für mich ist die Kassette immer ein Thema gewesen. Ich bin in meinen Vierzigern, habe die ganze prä-digitale Zeit miterlebt. Kassette ist für mich das „Normale“ und nichts Besonderes. Das ist ein Lebensgefühl. Mein erstes Mixtape habe ich mit zwölf gemacht. Anfang der 2000er war sie als Medium kurz weg für mich, da bin ich voll auf .mp3 abgefahren. Aber irgendwie wollte ich doch etwas Physisches haben. Also habe ich 2008 das Label, damals noch in Genf, gegründet. Das war für mich am Anfang vor allem so etwas wie eine Plattform. Ein kleines Kollektiv von Leuten, mit denen ich mich vernetzt und künstlerisch ausgetauscht habe. Damals hatte ich aber noch die Vision einfach das Digitale wieder mehr auf CD zu bringen.
ME: Wie kamst Du schließlich doch auf die Kassette?
Als ich später nach Berlin zog, bin ich durch Zufall auf die Kassettenszene hier gestoßen. Es fühlte sich von Anfang an wieder sehr natürlich an, Kassetten aufzunehmen. Ich war da voll in meinem Element und wusste: Das ist etwas, das ich machen will. Jede einzelne Kassette hat so viele Möglichkeiten, vom Minialbum bis hin zur normalen Album-Länge oder darüber hinaus. Und die Produktionskosten betragen nur ein Viertel von einer Schallplatte. Das macht es mir in meinen Kreisen einfacher, gewisse Projekte umzusetzen.
https://www.instagram.com/p/Bf7wnGMDIqY/
Mit welchen Formaten arbeitest du?
Bei manchen Alben bieten wir den digitalen Download auf Bandcamp oder in unserem Onlineshop an, der ist dann natürlich unlimitiert. Die Kassetten sind aber limitiert. Je nach Edition zwischen 50 und 100 Stück, manchmal aber auch nur Einzelexemplare. Ich fertige inzwischen öfters Mixtapes an, von denen gibt es dann nur ein einziges. Ich will, dass die Kassette und das Artwork mit allem so etwas Besonderes bleiben. Ein wertvolles Unikat.
Arbeitest du alleine?
Ja. Wenn ich in der Produktionsphase bin, habe ich aber auch Freunde, die mir helfen. Ich mache die Kassette nämlich noch in Hausproduktion. Ich nehme sie selber auf, jede einzelne, Stück für Stück auf dem Kassettendeck. So bleibt jede Kassette auch wirklich ein Einzelstück. Da steckt meine Zeit drin, die ich dem Kunstwerk widme.
Wie lange dauert das?
Das Duplizieren geht ziemlich schnell, finde ich. Wenn du dein Ohr daran gewöhnt hast. Du bist dann wirklich getrimmt auf das Geräusch vom Kassettenspieler, wenn du merkst, eine Seite ist zuende. Ich mache zwischendurch ganz viele andere Sachen, wenn ich aber dann das „Tack!“ höre, drehe ich um oder lege das nächste Band ein und weiter geht es. Das dauert bei einer Auflage von 50 bis 100 Stück, je nachdem, so vier bis fünf Tage.
Machst du auch das Artwork selbst?
Zum Großteil schon, ich habe ja Kunst studiert in der Schweiz. Ich tue mich aber auch gerne mit befreundeten Künstlern zusammen, wir sind da im regen Austausch. Aber nur, wenn ich weiß, dass sie auch coole Sachen machen. Ich mache dann eine Vorlage, die kopiere ich und schneide sie mit dem Schnittlineal aus. Die Buchstaben trage ich beim ersten Mal mit einem Stempel auf, das sieht schöner aus, als wenn ich es am Computer mache. Das ist dann oft ganz einfach auf Druckpapier gedruckt, und gut ist es. Ich bedrucke bei der Kassette aber selber nur die A-Seite mit einem Klebeetikett, dann weiß man, was die A- und B-Seite ist.
Woher besorgst du deine Leerkassetten?
Ich bestelle die aus London, das geht ziemlich schnell und zuverlässig für mich.
Eignet sich Berlin als Ort für ein Kassettenlabel besonders gut? Du hättest damit ja auch nach England gehen können oder in der Schweiz bleiben.
Nun ja, eigentlich war es eher so, dass ich mal außerhalb der Schweiz leben wollte. Zumindest für eine gewisse Zeit. Aber inzwischen habe ich mich hier mit vielen Künstlern vernetzt, ich habe eine richtige Szene gefunden, das ist ein sehr schönes Gefühl. Wir arbeiten alle zusammen und tauschen uns alle aus. Wir bleiben in einer Nische. Ich mag das, wenn es unkommerziell bleibt und nicht die ganz große Welle schlägt.
Die Künstler und Musik die ihr auswählt, sind ja sehr artifiziell. Wie kommt es dazu?
Für mich ist es ein Unterschied, ob ich etwas zur Unterhaltung höre oder wirklich aufmerksam etwas oder jemandem zuhöre. Kunst hat mit Lernen und Verstehen zu tun. Das fängt schon bei meinem Label-Namen an: „Das andere Selbst“. Ich möchte versteckte Facetten zeigen, etwas, das nicht jeder direkt mitkriegt. Vielleicht eine Brücke schlagen zwischen konzeptioneller Musik und moderner Elektronik. Bei mir veröffentlichen auch oft Nebenprojekte oder Künstler ihre Probeaufnahmen, das ist also auch eine Art „anderes Selbst“.
https://soundcloud.com/eliab-1/a01
Woher kommt der Labelname?
Es gibt diese Schweizer Versicherung „DAS“ und wir haben eine Zeit lang in einer leerstehenden Genfer Villa gelebt, wo eben früher ein Versicherer der „DAS“ seinen Sitz hatte. Die Umrisse vom Logo konnte man noch immer an der Wand erkennen und irgendwann meinte ich zu meinen Mitbewohnern: „Guckt mal, das „Das“ ist weg, jetzt also das andere Selbst.“ So hat sich das irgendwie festgesetzt bei mir. Erst viel später habe ich das gleichnamige Buch von Jean Baudrillard (ein französischer Philosoph, Anm. d. Red.) entdeckt. Aber das passt überraschenderweise auch sehr gut zu meiner Idee und dem Verständnis vom Label.
„Das Interesse an Kassetten steigt – der Verkauf aber ist immer noch schwierig“
Gibt es dann für dich auch das Gesamtkunstwerk Kassette?
Ja, auf jeden Fall. Ich war wirklich lange in der Genfer Kunstszene unterwegs. Das andere Selbst als Kassettenlabel ist wohl eine Art Gegenreaktion dazu gewesen. Ich wollte Kunst machen, aber eher in einem kleineren Kreis, und sehr speziell sein. Ich wollte Sachen verbinden. Und Musik auf Kassette bietet einem als Künstler da viele Möglichkeiten. Es ist eben nicht so populär und im Fokus. Klar, das Geld zum Leben mache ich woanders. Aber es ist auch mehr als ein Hobby. Ich brauche das, es ist ein Lebensinhalt, der mich weiterführt, ein Geist, der mich umgibt.
Du feierst zehnjähriges Jubiläum in diesem Jahr – hast du gemerkt, dass die Nachfrage an Kassetten steigt?
Mehr Interesse gibt es auf jeden Fall. Aber verkaufen ist immer noch schwierig. Ich als kleines Label verkaufe mehr, wenn ich oder meine Künstler auf Tour sind. Und ich habe eben feste Läden, wie Staalplaat in Berlin und ein paar in der Schweiz, da läuft das dann auch ganz gut. Im großen Stile findet da aber nichts statt. Auf jeden Fall habe ich mehr Angebote irgendwo selber zu spielen, weil der Bekanntheitsgrad einfach steigt. Das meiste verkaufen wir aber online, etwa über Bandcamp.
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