Indierock, Lads und Rapmusik: Hurricane 2013, Tag 2- Nachbericht und Fotos vom Samstag
Am Samstag wartete das Hurricane Festival mit vielen alten Bekannten, Briten, Rappern und seinem bestbesuchten Tag auf. Das schlechte Wetter ließ sich davon leider nicht beeindrucken.
Tag 2 des Hurricane Festival 2013 war der Tag der alten Bekannten, des einstmals großen Ding namens Indierock und der Rapmusik. Nachdem am Freitag einerseits mit The Hives, Billy Talent und Rammstein Testosteron und andererseits mit The National, Portishead und Sigur Rós Feingeist im Vordergrund stand, spielten am Samstag mit Bloc Party, den Arctic Monkeys und den Editors vor allem britische Bands, die sich seit Jahren zwischen den zwei Extremen vom Freitag bewegen. Die straighteste Rockband des Tages war Kasabian, der größte Publikumsmagnet Headliner Deichkind.
Den Auftakt machen No auf der roten Bühne um 14 Uhr. Die machen dort im Bademantel eine bessere Figur als in den Suchmaschinen des Internet, man wünscht ihnen fürs nächstes Jahr einen Slot am späteren Nachmittag. Verdient gehabt hätten sie ihn schon jetzt, aber nebenan geben sich ja mit The Vaccines, The Maccabees und Frightened Rabbit die vergleichsweise etablierteren Bands des Genres die Mikros in die Hand. Vereint sind sie alle in ihrem Hang zur großen Geste, kraftvollen Gesangsstimmen und ihren mutmaßlichen Vorbildern, die sie heute noch selber sehen und hören würden – allen voran den Editors.
Im Zelt auf der White Stage spielen Hudson Taylor indes ihr erstes Deutschlandkonzert; der countryeske, drumlose und harmonieträchtige Folkrock dieser drei Jungspunde zwischen Mumford & Sons, Fleet Foxes und Crosby, Stills und Nash hat bei den mitsingenden Fans offensichtlich schon einen Namen. Mehr Indie vor weniger Zuschauern passiert auf der roten Bühne, die ebenfalls nicht gerade suchmaschinenoptimierten Peace werden dort trotz kleiner Hits ihres Debüts IN LOVE und Aufforderungen zum Knutschen und zum Tanzen dem Brit-Hype um sie nicht gerecht. Miles Kane übrigens auch nicht, die Songs seines neuen Albums wären vor 15 Jahren spannender gewesen, als sie es jetzt sind. Besser als so einige andere englische Bands sind er und seine Jungs dennoch – und seinen größeren Auftritt sollte Kane ohnehin am späteren Abend haben.
Deplatziert wirken am Samstagmittag The Kyteman Orchestra. „Wo Sigur Rós schlichtweg besonders sind, versuchen die es bloß zu sein“, sagt ein Kollege nach deren Auftritt. Und ja: 20 Menschen mit Streichern, Percussions, Synthies, Bläsern, dem ganzen Besteck, und ein Derwisch-Dirigent, die gemeinsam erst einen Crossover aus Klassik und Rock auf die Bühne bringen und danach eine Handvoll Rapper – das hatte schon bei den Flobots nur ein halbes Album lang funktioniert.
Dallas Green tut größeres Besteck wiederum gut. Sein so angenehmes wie einlullendes Emo-Songwriting wird erst mit Backing Band zu dem Folkrock, der Greens Erfolgsprojekt City And Colour auf die großen Bühnen bringt, die er seit ein paar Jahren bespielt. Eine intimere Bühne hätte ihnen trotzdem besser gestanden. Die hingegen wünschen sich mutmaßlich Bosnian Rainbows. Omar-Rodriguez Lopez, Ex-Kopf von The Mars Volta und At The Drive-In, versammelt seine neue Band auf geschätzten zwei Quadratmetern inmitten der roten Bühne, und diesen Radius verlässt nur die aus der Zeit gefallene Sängerin Teri Gender Bender – etwa um ihr Kleid in die Luft zu werfen, mit den Monitoren und dem Publikum zu spielen und Lopez‘ Songs einen Hauch von Pop und Show-Appeal zu verleihen.
Für den gesteigerten Rap-Anteil des Samstags und auf ihre Kosten kommende Fans sorgen nicht nur Frittenbude und Ex-Model Marteria, der auch als sein Alter Ego Marsimoto auftritt – auch Bloc-Party-Frontmann Kele Okereke legt in einem brandneuen und unveröffentlichten Song einen bisher ungehörten Sprechgesang hin. „Wir sind sehr stolz auf dieses neue Lied und spielen ihn hier zum ersten Mal“, sagt er – und damit auch, dass trotz angekündigter Bandpause nach dem Festivalsommer noch mit neuem Material zu rechnen ist. Abgesehen davon hat ihr Auftritt, der statt von Matt Tong von der Hot-Chip-Schlagzeugerin vorangetrieben wird, die besten Momente immer dann, wenn Bloc Party die lauten Songs ihres aktuellen Albums spielen oder die treibendsten alten. Sie haben schließlich noch „some rock hits in our pockets“ – und Okereke nach wie vor seine grundwehleidige Stimme und Mimik, die den Jungen dahinter verstecken und Bloc Party auch nach vier Alben zu einer immer noch interessanten britischen Band machen.
Of Monsters And Men aus Island sind leider schon nach einem einzigen Album nicht mehr spannend. Den späten Slot nach Bloc Party hat ihnen der sehr eingängige Folkrockpop ihres Debüts eingebracht, spätestens nach drei Singles und des heutigen Auftritts bleibt aber neben zuckersüßen Ohrwürmern ein fader Beigeschmack hängen: Mit Pauken, Geigen und dreistimmigem Gesang ist ihr Folk ein fast aufgesetzter. Er will Effekte erhaschen, Indie als Behauptung, sozusagen. Mit ihrem ausstehenden zweiten Album werden Of Monsters And Men entweder untergehen wie die Fantasiewesen in ihren Unterwasser-Videos – oder den Hype überraschend doch rechtfertigen. Der Druck ist halbwegs enorm – was man noch viel mehr über die Editors behaupten kann.
Die Band um Sänger Tom Smith war nach einem umjubelten Debüt Anfang der Nullerjahre auf den letzten Festivals stetig nach unten gerutscht – 2013 auf der Hurricane und mit der Vorabsingle ihres neuen Albums THE WEIGHT OF YOUR LOVE machen die Editors keinen Hehl mehr daraus, dass sie es wissen, und wo sie dieses Jahr hin wollen: in die Stadien, nicht in die Clubs. Heute aber sind sie nicht mal die größte Rockband des Tages, und das werden auch nicht die Arctic Monkeys gewesen sein. Das sind mit Abstand Kasabian.
Tom Meighan steht nicht nur im Licht der verregneten Abendsonne und der Scheinwerfer wie ein Relikt aus den britischen Neunzigern da, er und seine Band gehen auch mit einem Selbstbewusstsein hausieren, wie es Rockmusiker eigentlich seit 18 Jahren nicht mehr haben. Wie Meighan breitbeinig am Mikro hängt, seine Robin-Gibb-Gedächtnis-Sonnenbrille kaum abnimmt, das Tamburin in die Menge wirft, neben Gitarrist Serge Pizzorno einen Hit nach dem anderen rausfeuert und nebenbei The Beatles und Fatboy Slim anstimmt, hat man so seit Ian Brown und Noel Gallagher nicht mehr gesehen. Man will sogar raushören, wie Meighan in „Vlad The Impaler“ den verstorbenen Schauspieler James Gandolfini mit der Zeile „Tony Soprano, see you on the other side“ ehrt.
Und dann endlich die einst so jungen Arctic Monkeys. Die spielen freier auf als noch vor ein paar Jahren. Aber mit mehreren guten Alben, einem kommenden neuen, einem Projekt namens Last Shadow Puppets und Motorradfahrten mit Josh Homme hat Sänger Alex Turner auch allen Grund zur Gelassenheit. Mit „Mad Sounds“ spielen sie einen neuen Song, es sind aber die alten Hits, die beim Festival-Publikum am besten ankommen. Zum Finale fragt Turner, ob er denn einen alten Freund auf die Bühne holen sollte. Miles Kane kommt, und da hat er, die andere Hälfte der Last Shadow Puppets, das Publikum, das er mittags nicht hatte. Weiter hinten wandern Menschenmassen derweil ab, das hat aber mit den Arctic Monkeys nichts zu tun: Auf der blauen Bühne treten um 00:30 Uhr Deichkind auf.
Die ehemalige HipHop-Band, deren kostümierten Electro-Party-Rock-Clash seit „Remmidemmi“ und „Bück Dich hoch“ jeder Dorfdisko-Besucher kennt, dürfte die Band werden, die am kompletten Festivalwochenende zu so später Uhrzeit die meistens Fans angezogen hat. Ihre Show entzieht sich natürlich jeder Beschreibung (Kostüme, Choreografien, „Bon Voyage“- und „The Power Of Love“-Samples, das ganze Programm), spätestens jetzt muss man aber auch über den Sound meckern dürfen. Wer nicht vorne mitmischt, hört hinten kaum was von der Band, für die fehlende Lautstärke eigentlich das geringste Problem sein sollte.
Über die am heutigen Sonntag auftretenden Rocklegenden Queens Of The Stone Age und The Smashing Pumpkins sowie über Modeselektor wird man das morgen hoffentlich nicht sagen müssen. Und über das Wetter Besseres.