Aus dem Heft

In Rainbows: Verqueerer Mainstream


Queere Queens und Kings machen nicht mehr nur in Nischenfilmen Mut, sondern auch in Blockbustern. Schwullesbische Popstars rennen ihren Geliebten hinterher und die Charts hoch. Transgender treten aus ihren Closets auf den Dancefloor. Der Mainstream verläuft 2018 nicht mehr somewhere over oder under the rainbow, sondern zunehmend mittendrin.

Die 80er mit ihrer ungeschminkten Homosexualität in geschminkter Gestalt von Boy George, Marc Almond und Holly Johnson werden gemeinhin als das „schwule“ Jahrzehnt der Popgeschichte wahrgenommen. Selbst straighte Schürzenjäger wie Duran Duran gaben sich weiblich, Knallheten wie die Hair-Metal-Szene um Poison, Dokken und Ratt trugen feminines Make-up, Radaubruder Axl Rose stolzierte oberkörperfrei und in hautengen Radlerhosen über die Bühne. Doch so sehr man auch eine Kultur verkörperte oder sich derer bediente, so wurde doch „darüber“ nicht im großen Stil gesprochen.

Sogar Freddie Mercury gockelte 1985 im Video zu „I Was Born To Love You“ einer jungen Frau, Debbie Ash, hinterher, obwohl er schon mit seinem Langzeitpartner Jim Hutton zusammen war. 33 Jahre später sind wir weiß Gott weit davon entfernt, uns dafür zu rühmen, am Ende des ersten wirklich schwulen Jahrzehnts zu stehen. Aber dennoch öffnet sich der Mainstream gerade mehr denn je queeren Typen.  

„Make America Gay Again“

Dem YouTuber-turned-Popstar Troye Sivan etwa dürfte mit dem Release seines zweiten Albums BLOOM Ende August der Durchbruch in die Charts-Oberliga gelingen – Mädchen liegen ihm zu Füßen, obwohl er in seinen Videos wie zu „Youth“ mit Jungs kuschelt und „Make America Gay Again“-Käppis trägt. Vier Jahre nach ihrem Coming-out räkelt sich St. Vincent im neuen Clip zu „Fast Slow Disco“ auf fast nackten Besuchern einer schwitzigen Gay-Disco. Die Videos der UK-Newcomer Hmltd gehen da noch weiter: „Pictures Of You“ ist an der Grenze zum Hardcore-Porno. Die Klickzahlen gehen in die Hunderttausende. 

In der supererfolgreichen Neuauf­lage der TV-Sitcom „Roseanne“, die in den 90ern mit zentralen schwulen und lesbischen Charakteren zur besten Sendezeit Grenzen einriss, war ein Junge mit klassisch weiblichen Wesenszügen zu sehen, der dazu am liebsten Mädchenklamotten trug – und so akzeptiert und geliebt wurde. Erstaunlich für Hauptdarstellerin Rose­anne Barr, selbst Schwester eines Schwulen und einer Lesbe, die in ihrem Privatleben wiederholt gegen Transgender-Leute ätzte – und ihren Reboot mit einem rassistischen Tweet gegen die Wand fuhr und so ihr eigenes Erbe zerstörte. Das ist eine zwar bizarre, aber eben andere Geschichte.  

Zurück zu unserer, erbaulicheren. Reden wir über Farben, Farben sind schön. Zum Beispiel auch die der Flagge der Bisexuellen. Diese entsteht aus dem Aufeinandertreffen von Pink und Blau. Bereits der letztjährige Kino-Thriller „Atomic Blonde“ um die von Charlize Theron verkörperte bisexu­elle Agentin Lorraine Broughton wurde von diesem Farbenspiel geprägt.  

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„I grab back“

Ende Februar ließ sich auch Janelle Monáe in ihrem Tribut an Prince, den Großmeister der geschlechtlichen Verwirrung, von diesen Farben bestrahlen. „Make Me Feel“ hatte dann auch die Textzeile „I’m powerful with a little bit of tender, an emotional sexual bender“.  Dazu tanzte sie energetisch zwischen Mann und Frau hin und her, schlängelte sich an Damenbeinen vorbei, rieb sich an der Schauspielerin Tessa Thompson. Deren Flirt wurde zwei Monate darauf im Clip zu „Pynk“, sowieso eine einzige Feier der Vagina, noch heftiger: diesmal näherten sie sich einander über eine Reihe Damenpopos hinweg an, später wird ein weiblicher Zungenkuss ästhetisiert.

Auch hier wie bei Sivan der verspielte, aber bestimmte Protest gegen Trump: Die Unterhose einer Tänzerin trägt die Aufschrift „I grab back“. Zwar küssen sich auch in Filmchen zu Formatradio-Hits wie Andreas Bouranis deutschem „Viva La Vida“, „Auf uns“, zwei Männer und zwei Frauen, doch haben solche Bilder eben eine andere, größere Power, wenn der/die Künstler/in sie auch lebt. Monáe äußerte sich im Zuge ihrer aktuellen Veröffentlichungen erstmals zu ihrer queeren Identität. Und Gerüchten zufolge sind sie und Thompson – die 2015 bereits einen Auftritt als Tänzerin in Monáes Video „Yoga“ hatte – tatsächlich ein Paar.  

„Die Schöne und das Biest“: Schwulenhasser rufen zum Boykott des Films auf
Thompson spielte im Vorjahr die bisher zweite, wie die jüngste Inkarnation ihrer Comicvorlage: bisexuelle Superheldin Valkyrie im Marvel-Blockbuster „Thor: Ragnarok“; die erste bisexuelle oder lesbische Superheldin erschien ein gutes halbes Jahr zuvor auf der Leinwand in Form der gelben Power-Rangerin Trini. Die Szene, die Valkyries Sexualität belegt hätte, wurde allerdings rausgeschnitten und so dürfte sich Valkyries Einfluss in ähnlich engen Grenzen halten wie der lesbischen Figur Jillian Holtzmann im „Ghostbusters“-Reboot von 2016,  bei der das Filmstudio auch direkte Belege verboten hatte oder des sich im selben Jahr in „Independence Day: Wiederkehr“ outenden Dr. Brackish Okun oder des sachte als schwul angedeuteten LeFou im 2017er-Remake von „Die Schöne und das Biest“.

Aber: immerhin. Ein Anfang ist gemacht. Die Entwicklung kann nur weitergehen. Außerdem hatte sich das Studio Disney damals geweigert, LeFou für die Veröffentlichung des Films in Malaysia zu streichen, obwohl Disney sonst sehr auf kulturelle Aneignung achtet – und so etwa „Iron Man 3“ für den chinesischen Markt eine vierminütige, in der Volksrepublik angesetzte Sequenz hinzufügte.  

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„Es ist nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Leute sich mit dem, was ich bin, wohlfühlen“

Doch lassen wir ein paar Zahlen für sich sprechen: Noch im Jahr 2016 beinhalteten lediglich 18 Prozent der 125 erfolgreichsten US-Filme LGBTQ-Figuren – überwältigende 83 Prozent davon schwule Männer. Zwar war die Häufigkeit der Darstellung von Lesben im Vergleich zum Vorjahr um 35 und die Bisexueller um 13 Prozent gestiegen, doch wenn man non-heteronormative Lebensstile auf der Leinwand sieht, dann sind es eben meist herrenliebende Herren, dazu gerne karikaturhaft überzeichnet. Aber auch das scheint sich zu ändern: 2018 laufen bereits elf größere Filme mit lesbischen Figuren in tragenden Rollen an.  

Abschließend wollen wir der Chronistenpflicht zuliebe noch auf den Dancefloor schauen: Natürlich ist die Discoszene von Beginn an queer behaftet. Aber dass eine als Mann geborene Avantgarde-Künstlerin wie Sophie sich nach Jahren des Versteckens auf einmal oben ohne in einem Video zeigt und auf Anfragen von Madonna und Charli XCX zu reagieren hat, soll nicht unbemerkt bleiben. Ebenso wenig wie die immer prominenteren Platzierungen der Transgender-DJ Honey Dijon in den Running-Orders der wichtigsten Festivals. Wie in ihrer Musik fallen bei Dijon auch privat die Mauern.

So gut das in ihrem Publikum ankommt, so ist ihr das doch herzlich egal. Ihr geht es um Musik. Das ist ihre Errungenschaft. Ihre Existenz ist eine Selbstverständlichkeit: „Es ist nicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Leute sich mit dem, was ich bin, wohlfühlen“, sagt sie. „Ich brauche keine Genehmigung, um hier sein zu dürfen. Ihr seid doch auch alle da.“ Und das sind wir mit steigender Zustimmung in einer Welt, die immer mehr widersinnige Normen aufgibt, bis eines Tages die Erinnerung an diese eine befremdliche ist. 

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