Im Reich Der Gewinne


Sein musikalisches Genie sieht außer Zweifel – jetzt beweist der kleine Prinz aus Minneapolis auch noch gesunden Geschäftssinn und den richtigen Riecher für neue Talente. Seiner eigenen Plattenfirma Paisley Park Records hat er einen 10 Millionen Dollar teuren Studio-Komplex bauen lassen, und jetzt wird alle paar Tage eine neue Band unter Vertrag genommen. Minneapolis, bislang ein weißer Fleck auf der Musik-Landkarte, soll zur Medien-Metropole ausgebaut werden.

Die kühle Architektur laßt eher auf ein neues Hi-Tech-Unternehmen oder gar eine Außenstelle des Pentagon schließen. Doch hinter der streng-kargen Fassade des flachen Zweckhaus im Mmneapohs-Vorort Chanhassen verbirgt sich das teure Vermächtnis seiner Majestät an seine Heimatstadt. Runde zehn Prince-Millionen, Dollar versteht sich, sind in die kürzlich eröffneten Paisley Park-Studios geflossen. Das Herzstück des Multimedia-Anwesens bilden zwei hochwertig bestückte 48-Spur-Aufnahmestudios. Kool & The Gang, die sich im April auf eine Tournee vorbereiteten, blieb es vorbehalten, die 40X35 Meter große Bühne einzuweihen. Beide Studios sind selbstverständlich für Video-. TV- und Film-Nutzung ausgelegt. Übungsund Vorführräume sowie eine geräumige Business-Suite, die auch des Prinzen Privat-Büro und seine PRN-Productions beherbergt, komplettieren den Traum schlafloser Musikernächte.

„Prince“, sagt Paisley Park-Direktor Harry Grossman, „ist unser Klient Nr. 1, und sein Paisley Park-Label wird allein im ersten Jahr zehn Projekte betreuen.“

Doch schon klopfen auch labelfremde Künstler an die Paisley Park-Türen, und weitere, ausbaufähige Räumlichkeiten sollen künftig dazu beitragen, daß Film- und Videoproduktionen denselben Umsatz-Stellenwert haben wie die Musikschaffe. „Der Komplex“, so ein anderer Paisley Park-Sprecher, „ist so ausgelegt, daß er zusammen mit der außlühenden Musik-, Video- und Filmindustrie in Minneapolis wachsen und reifen kann. „

Tatsächlich hätte das Paisley Park-Opening kaum besser terminiert sein können, denn die „Twin Cities“-Szene (Minneapolis und St. Paul liegen unmittelbar beieinander) hat in den letzten beiden Jahren einen enormen Aufschwung erlebt.

„Aus dem Land der 10000 Seen“, bringt der lokale Musikkritikus Jon Bream die jüngste Entwicklung auf den Punkt, „ist das Land der 10000 Grooves geworden. „

Dabei geriet der Prince’sche

PRINCE

Triumphzug nicht nur zum endgültigen Knackpunkt seiner eigenen Karriere, sondern wirkte auch als entscheidender Katalysator für den Minneapolis-Boom.

Laß Zahlen sprechen? Bitteschön: Waren die großen Plattenfirmen in den beiden Jahren vor PUR-PLE RAIN, das von August ’84 bis Januar ’85 stolze 24 Wochen lang die Spitze der US-Album-Charts einnahm, gerade in drei Fällen bereit, eine Investition zu riskieren, so bescherte der „Post-Purple Rain-Fallout“ nicht weniger als 23(!) Minneapolis-Acts einen Major Label-Deal – Tendenz weiter steigend.

Der warme Regen entwickelte auch entsprechende Durchschlagskraft in den US-Charts. Im März dieses Jahres gingen immerhin sechs der ersten neun Plätze in den .schwarzen Single-Charts auf das Konto von „Twin Cities“-Produzenten.

Die Business-Häuptlinge an Ostund Westküste, sonst nur schwer aus ihren nicht minder schweren Sesseln zu bewegen, wenn es tief ins Landesinnere gehen soll, überbieten sich förmlich in ihren Sympathiebekundungen. Walter Yetnikoff. CBS-Präsident mit Minneapolis-Acts wie Andre Cymone und Exotic Storm, stuft die Doppelstadt in Minnesota als „eins der größten musikalischen Energiezeniren auf ckr Weh“ ein. Kollege Larry Solters, Vize-Präsident bei MCA, das gerade den ehemaligen The Family-Sänger St. Paul Peterson unter Vertrag genommen und mit The Jets schon kräftig abgesahnt hat, stellt fest, daß „sich Minneapolis St. Paul als eine erste Adresse für die Entwicklung der zeitgenössischen Musik etabliert hat.“ Und Warner Bros.-Chef Michael Ostin, mit Minnesota-Acts wie Hüsker Du. Ex-Time-Mann Morris Day und den Replacements nicht schlecht im Rennen, sieht „eine gewaltige Talent-Quelle“ sprudeln, die vielleicht eines Tages sogar mit der Detroit-Szene der 60er Jahre konkurrieren könnte.

Minneapolis — dank Prince ein Motown der späten 80er? Paisley Park als neues „Hitsville“ USA? Den typischen Minneapolis-Sound, so typisch wie eben der rasselnde Motown-Beat vor gut 20 Jahren, den gibt es allerdings nicht. Die Kategorisierung taugt allenfalls, um die schwarzen Funk-Acts im Gefolge von Prince und The Time (TaMara & The Seen, Exotic Storm, Jesse Johnson etc.) einzuordnen. Das tatsächliche musikalische Spektrum in dieser Stadt ist schillernd und vielschichtig. Kein Wunder also, daß Chris Osgood. Chef von Twin/Tone Records, hier „eine Aura der musikalischen Toleranz“ ausgemacht hat: „Die Musiker hier waren immer gewillt, sich gegenseitig zu unterstützen. Der Wettbewerb ist nicht so stark wie in anderen .Scenes‘, weil das .Big Business‘ hier immer gefehlt hat.“

Und das könnte auch weiterhin so bleiben, denn die isolierte Lage der „Twin Cities“ im nördlichen Mittelwesten hat nicht nur ein völlig eigenständiges Musikschaffen hervorgebracht, sondern auch viele Business-Haie abgeschreckt, die sonst schnurstracks herbeieilen, wenn sie irgendwo Dollars riechen. Mit den Worten von Don Powell, früher für Bowie und Stevie Wonder tätig und jetzt Manager der Jets: „Die denken, hier ist es immer 40 Grad unter Null, und daß das Getreide mitten auj der Hauptstraße wächst. „

Und so kann Craig Rice, der beim „Purple Rain“-Film als Regie-Assistent wirkte und jetzt das Management für Mazarati, Alexander O’Neal und Ex-Revolution-Bassist Mark Brown besorgt, resümmieren:

„Das Interessante in Minneapolis ist, daß die Manager sich auch untereinander austauschen – ein freundlicher, gesunder Wettbewerb, nicht so wie an den Küsten. „

Beklagt wird momentan noch ein Mangel an wirklich erstklassigen Session-Musikern, doch wenn alle geplanten Vorhaben tatsächlich realisiert werden, dürfte es hier Studio-Arbeit rund um die Uhr geben; zumal dann noch mehr auswärtige Acts den Minneapolis-Trip antreten werden. Locken könnte sie eine ausgediente Brauerei, in der – nach Paisley Park-Vorbild – ein weiterer Multimedia-Komplex entstehen soll: Drei 48-Spur-Studios, fünf Bühnen, ein Open Air-Amphitheater, ein Medien-Zentrum, Restaurant etc. werden runde 75 Millionen Dollar kosten. Ein ähnliches Projekt in einer alten Waffenfabrik wurde mit 22 Millionen veranschlagt. Es tut sich was, Gewaltiges sogar…

Und während in den schon existierenden Studios (Flyte Tyme/Nicolett, Creation Audio, Metro) eifrig gewerkelt wird – was tut derweil seine Majestät, die an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig ist? Das, was sie schon immer getan hat – arbeiten natürlich. Und da Prince die liebgewonnene Aura des Geheimnisvollen nicht aufgeben möchte, sind wir weiterhin auf eine heftig brodelnde Gerüchteküche angewiesen, die vor allem von der lokalen Presse am Kochen gehalten wird. Wahr ist jedenfalls, daß das bloße Gerücht, Prince würde abends im „First Avenue“ auf der Bühne stehen, nach wie vor ausreicht, um die 1200 Tickets im Handumdrehen abzusetzen. Sein gelegentliches Auftauchen zur donnerstäglichen“.More Funk“-Night, mal mit Sheila E.. mal mit Bodyguard Gilbert, und der Prince-Besuch einer Miles Davis-Show, allerdings getarnt im Kapuzenmantel, dürften das jüngste Gerücht widerlegt haben, wonach es um seine Majestät so schlecht stehe wie einst um Elvis in den 70ern.

Unklar sind nach wie vor die genauen Umstände, wie es zum Split der Prince-Begleitgruppe Revolution kam. Bassist Mark Brown steuert jedenfalls eine Solo-Karriere an. und Jerome Benton kann mit der geplanten The Time-Reunion und einer Solo-LP ebenfalls Vollbeschäftigung vermelden. Drummer Bobby Z. produziert das Album der bisherigen Damen-Riege Wendy und Lisa.

Neue Prinzessinnen sind inzwischen in den königlichen Hof eingezogen. Keyboarderin Boni Boyer kam für Lisa, daß Sheila E. vorerst hinter den Drums Platz genommen hat, dürfte kein Geheimnis mehr sein, während eine Dame mit Namen „Cat“ erst noch beweisen muß, ob sie das Allround-Talent Jerome Benton vollwertig ersetzen kann.

Außerdem werden demnächst zwei weitere Frauen ihren Label-Einstand bei Paisley Park geben: Jill Jones agierte bereits im „1999“-Video als Back-Up-Sängerin, während sie in „Purple Rain“ eine Kellnerin mimen durfte. Völlig unbekannt ist dagegen eine gewisse Taja Sevelle auch wenn einige Beobachter hinter diesem Namen die Radio Plattenauflegerin Nancy Richardson vermuten.

Prince machl alles selbst Counlry Songs für Dolly Parlon und Kenny Rogers Pseudonyme sind natürlich auch weiterhin gefragt, wenn Prince selbst einmal anderweitig tätig werden möchte. Die leichteste Quiz-Aufgabe stellte er den Käufern seines eigenen Albums. Denn hinter dem S1GN 0 THE TIMES-Credit Camille, verantwortlich u.a. für das wunderbare „If I Was Your Girlfriend“, verbirgt sich niemand anders als der Meister selbst, mit einer kleinen Speed-Zufuhr bei den Vocals. Angeblich hat er sogar ein ganzes Camille-Album im Kasten — die Katalog-Nummer lag schon vor, doch dann entschied er sich doch gegen eine Veröffentlichung und nahm nur drei Songs für das „reguläre“ Album herüber.

Alte Tarnkappen wie Christopher (für die Bangles) oder auch Alexander Nevermind, der „Sugar Walls“ für Sheena Easton lieferte, haben jedenfalls ausgedient. Als Geheimtip wird jetzt ein gewisser Joey Coco gehandelt, der für die Country-Sängerin Deborah Allen eine Maxi-Single geschrieben und produziert hat. Dieser Coco hat auch eine Nummer für das letzte Kenny Rogers-Album geliefert, und sogar – das ist der Gipfel! – eine gewisse Dolly Parton soll von seiner Majestät beliefert worden sein, lehnte allerdings ab, weil ihr der Song nicht in den Kram paßte.

Prince und Country!?! Da fransen wohl nur mitteleuropäische Gehirnwindungen aus, denn Country und R&B liegen längst nicht soweit auseinander, wie in diesen Breiten gemeinhin angenommen. Und außerdem macht Prince sowieso das, was er will, mit wem er es will und wie er es will.

Manchmal gehören dazu auch Filme, zuletzt ein eher düsteres Kapitel in der Prince-Saga. Es muß ihn schon sehr gewurmt haben, daß „Under The Cherry Moon“ sogar an den Kinokassen im heimatlichen Minneapolis ziemlich baden ging. Trotzdem, so ist aus dem Prince-Camp zu vernehmen, möchte er einen neuen Film in Angriff nehmen, „mehr als alles andere“. Sogar ein Arbeitstitel wird schon genannt: „Dream Factory“ soll der wieder eher musik-orientierte Streifen heißen.

Doch vorerst müssen die Leinwandambitionen zurückstehen: Acht Wochen wird die Europa-Tour dauern, danach geht’s drüben weiter, wo das Publikum sicherlich nicht weniger gespannt ist auf das aktuelle Prince-Package. Geprobt wurde im britischen Birmingham, die Premiere ging am 8. Mai über eine Stockholmer Bühne. Ein Beobachter aus dem „First Avenue“ berichtet von einer Show, die wieder „sehr funky“ sein soll, sich vorwiegend auf neues Material konzentriert und mit „Kiss“ und „Girls And Boys“ nur noch zwei „Oldies“ führt.

Derweil hat Paisley Park-Hausmeister Alan Leeds, Bruder des Prince/Madhouse-Saxophonisten Eric, alle Hände voll zu tun. „Was so besonders bei Paisley Park Records ist? Die Antwort kann ich dir mit einem Won geben: Prince! Wir nehmen momentan so viele Leute unter Vertrag, daß es mir unmöglich ist, die genaue Zahl anzugeben. Sieben Acts während wir sprechen, acht, wenn’s gedruckt wird – und drei weitere schon angekündigt…