„Ich kann nichts“


Erwar Mitbegründer von Can, einer der wichtigsten deutschen Bands aller Zeiten. Damon Albarn hat sich fast in die Hose gemacht, als er ihn zum ersten Mal traf. Anthony Kiedis kaut ihm vor Bewunderung ein Ohr ab. Und trotzdem meint Holger Czukay:"Ich kann nichts"

London. 1999: In einem Hotelzimmer treffen sich vier Musiker zu einem Gespräch, das vom Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ initiiert wurde. Auf der einen Seite die beiden Can-Gründer Holger Czukay und Irmin Schmidt, auf der anderen Damon Albarn und Graham Coxon von Blur. Es wird ein lockerer Plausch zwischen musikalischen Opas und ihren Enkeln. Aber vor dem Gespräch, so gibt ein Augenzeuge zu Protokoll, sei Albarn „nervös wie ein Schuljunge“ gewesen.

Berlin, 15. Februar 2003: Verleihung des Medienpreises „Echo“. Nach knapp drei ermüdenden Stunden mit ermüdenden Boy- und Girlgroups, zappeligen jungen Menschen mit fancy Frisuren, angehenden und bald schon wieder gewesenen Superstars ein seltsames Bild: Czukay, Schmidt, Jaki Liebezeit und die Witwe des verstorbenen Michael Karoli stehen auf der Bühne des Internationalen Congress Centrum, um sich den „Echo“ für das „Lebenswerk“ von Can abzuholen. Menschen jenseits der 60, die sich in den siebziger Jahren -v or allem außerhalb ihrer Heimat Deutschland – einen legendären Ruf erspielt haben. Einen Ruf, dessen Echo bis heute nachhallt, als Einfluss in der Musik von zeitgenössischen Bands wie Stereolab, Tortoise, Radiohead, Blur und tausend anderen. Und das alLes ohne die Hilfe von Dieter Bohlen.

München, 17. Februar 2003: Holger Czukay sitzt in der Lobby des „City Hilton und schlürft ein Tässchen Espresso, während Lionel Richie über die Hausanlage in gedämpfter Lautstärke den Soundtrack zur gedämpften Betriebsamkeit der Szenerie liefert: teure Menschen haben ihren Mobiltelefonen wichtige Botschaften anzuvertrauen. Czukay wirkt erfrischend deplatziert in diesem Szenario. Der Can-Bassist wird am 24. März 65 Jahre alt, schaut seinen Gegenüber mit hellwachen Augen an und könnte – was seine geistige Verfassung betrifft – als 30 Jahre jünger durchgehen. „Immer, wenn ich mit jungen Leuten zusammenkomme, habe ich den Eindruck, dass ich jünger bin als sie. Viele junge Leute sind innerlich sehr alt. Das habe ich wieder beim ‚Echo‘ gemerkt.“ Czukay war „völlig fasziniert von der Exotik“ der Veranstaltung in Berlin: „Ich dachte, ich bin auf dem Mars. Nichts war wirklich wirklich. Aber zwischen all den lauwarmen Bands und Laudatoren hat Czukay zumindest zwei Ausnahmen entdeckt: „Robbie Williams habe ich total unterschätzt. Ich erkenne an seiner Körpersprache, dass der Mann für etwas gekämpft hat. Er ist ein ausgewachsener Sänger. Da habe ich mir gedacht: Junge, von dem kannst du dir eine Scheibe abschneiden.“ Und Anthony Kiedis. Der Red Hot Chili Pepper hat sich mit seinem Idol längere Zeit bei der Aftershow-Party unterhalten. Über Gott, die Welt, Bela Bartok und Karlheinz Stockhausen. Apropos Stockhausen. Der einflussreiche deutsche Avantgarde-Komponist war für die Gründung von Can verantwortlich. Bei ihm studierten Czukay und Schmidt Anfang der sechziger Jahre Komposition, bevor sie 1968 Can gründeten. „Stockhausen war wie ein Vater zu mir. Streng und unheimlich großzügig. Ich habe mir gedacht: ‚Holger, es ist ganz klar: Was du einmal machen willst, bringt kein Geld. Aber wenn du es machst wie er, dann machst du es richtig.‘ Ich habe ihm erzählt, dass ich bei allen Aufnahmeprüfungen durchgefallen bin, und da sagte er: ‚Das gefällt mir, ich nehme Sie.‘ Der Unterschied zwischen mir und Stockhausen: Ich selber kann nichts, aber ich weiß, was ich in die Hand nehme, kriegt absolut meine Handschrift. Wenn ich nur vier Töne auf der Gitarre spielen kann, begnüge ich mich mit dreien und weiß, diese drei wird mir so schnell keiner nachspielen.“

Der Rest ist Geschichte. Eine Geschichte voller magischer Musik, die vor allem im Ausland dankbare Abnehmer fand, weil sie keine Klischees bediente und gänzlich neu klang. Musik ist wie ein Fußballspiel -„Ball abgeben und Ball annehmen, nicht lange bei sich behalten und auf diese Weise die Räume aufmachen und dem Ball eine Richtung verschaffen. Das war unsere Strategie“, sagt Czukay. Und ganz beiläufig bringt er den vielleicht wichtigsten Einfluss von Can auf den Punkt. Alle Musiker, die mehr wollen als Traditionen aufwärmen und alte Formeln wiederkäuen, sollten „einfach ganz von vorne anfangen und altes vergessen, was vorher war“. www.czukay.de