Ich heiße superfantastisch!
Unglaublich! Großartig! Erstaunlich! Ohne Kollateralschäden verließ die Gute-Platten-Findungs-Kommission in diesem Jahr die außerordentliche Klausurtagung "50 Platten des Jahres". Und das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen: Auf Platz 1 landeten die unglaublichen Franz Ferdinand, auf dem zweiten die großartigen Libertines und auf Rang drei der erstaunliche Morrissey.
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Franz Ferdinand
Franz Ferdinand Domino/Rouqh Trade
Sie mögen jetzt bitte kurz einmal die Hand heben, denn irgendwo müssen sie ja sitzen. Tatsächlich aber konnte man den Eindruck gewinnen im Laufe des ahres, es gebe sie in der Tat nicht: Menschen, die Franz Ferdinand nicht ausstehen können. Wo ist der Kopf, der sich da schüttelte und nicht im Takt nickte, wenn der Beat und das Riff von „Jacqueline“ einsetzten, nach 45 Sekunden delikat gecroonten Intros, das den hinreißendsten Pop-Ritt von einem Album dieses Jahr eröffnete? Wo ist das Bein, das nicht „Auf Achse“ über den Discofloor federte? Das Kleinhirn, das dem Ohrwurm von „The Dark Of The Matinee“ hätte trotzen können?
Franz Ferdinands Charme-Offensive kam ohne große Vorwarnung. „Dans Of Pleasure“, die prophetischen Worte „I know that you will surrender“ im Text führend, ließ im Spätherbst 2003 aufmerken. Die zweite Single „Take Me Out“ schob sich- als Indie-Release – Anfang des lahres bereits snug asa bug zwischen die dominierenden Plastikpop-Blassnasen in den britischen Charts. Im März dann der Ausbruch der Pandemie: FRANZ FERDINAND erschien und setzte 39 Minuten Musik frei, die unter Ausschaltung sämtlicher Abwehrmechanismen in die Hirne der ihr erliegenden Hörer diffundierte wie die Lockgesänge der alten Circe.
Aus Disco-Flockigkeit, Wave-Drang, Indierock-Feuer, Pop-Catchyness und 1.001 Referenz was Leckeres zuzubereiten, das war in den letzten zwei Jahren ja schon der einen oder anderen Band ganz gut geglückt. Aber für das Idealrezept, den ganz großen Wurf, mussten diese vier schnittig gewandeten (Wahl-)Schotten her, Künstlertypen, Sympathen, aber keine Schnullis, die anstatt grantiger Konzepte, neurotischen Perfektionismus‘, zerfurchter Seelen und Rockstar-Clownerien den recht entwaffnenden Anspruch vor sich hertrugen, mit ihrer Musik Mädchen zum Tanzen bringen zu wollen. Die sich, so die Legende, via Prügelei um eine geklaute Flasche Wodka kennen gelernt hatten. Deren Songs, so die Kunde, ihre Feuertaufe auf wüsten illegalen Partys erhalten hauen. Und in deTen Texten immer ein paar Schritte vom Walk On The Wild Side dahingetänzelt, durch Nachtclubs getaumelt, am helllichten Nachmittagzum Knutschen im Kino rumgehangen und selbstredend nur arbeiten gegangen wird, wenn für all die Bohemien-Eskapaden mal wieder etwas Geld her muss. Weil: It’s always better on holiday.
Vielleicht waren und sind Franz Ferdinand nicht zuletzt so mögbar aufgrund der frisch fröhlichen Verve, mit der sie in Zeiten des bedrückenden Krisengebetsmühlens ihrer eigenen Krisenbranche ein selbstbewusstes „Es geht auch anders!“ vor den Latz knallten. Wenn auch Erfolg per se nicht zwangsläufig sexy ist: Als stolze Indie-Underdogs mit Doit-yourself-Ethos innerhalb eines Dreivierteljahresdie halbe Popwelt um den Finger wickeln, das macht was her. Und setzte dem Unikum Franz Ferdinand das Sahnehäubchen an Un widerstehlich keit auf, Stichwort: der Gute Hype. Apropos Hype: Selbst der sonst so locker sitzende Kampfruf der ewig skeptischen Wächter der Pop-Moral fiel auffällig selten im Zusammenhang mit Franz Ferdinand.
Franz‘ Hits schienen über Cool-, Hip-, Old- und Sonstigness-Grenzen hinweg überall genau richtig am Platz: Vom (progressiven) Morgenradio über die kniewippende Abendentspannungbis hin zur (idealtypischerweise) außer Kontrolle geratenen Wahnsinnsparty mit Tanzflurschaden. In ihrer Heimatstadt Glasgow spielten Franz ein krachvolles Nachmittags-Spezialkonzert für ihre glühenden Fans von null bis 18. während zeitgleich auf irgendeinem hippen Laufsteg „dieser Welt“ zum zackigen Beat von „Michael“ der allerallerneueste Ugg-Boot (oder so) vorgestelzt wurde.
FRANZ FERDINAND kam so leger und mit schnippenden Fingern um die Ecke, als wär’s das leichteste Ding der Welt, mal eben eine Platte aus dem Ärmel zu schütteln mit mehr tatsächlichen und potentiellen Hitsingles (nämlich genau elf von elf), als manche nicht schlechte Band in einer ganzen Karriere zusammenbringt. Dabei sind diese Songs bei aller Nonchalance keine hingeworfenen Pop-Eintagsfliegen (nichts gegen hingeworfene Pop-Eintagsfliegen), sondern akribisch zu maximaler Wirkungskraft durcharrangierte – man achte nur einmal auf die raffinierten Harmonie-Vocals, die hinter Alex Kapranos‘ Leadgesang hervorlugen -Wundermaschinchen, gut geölt dahinschliddernd und immer bereit, im nächsten Moment vom Gleis zu laufen, Haken zu schlagen und in neue Richtungen auszubrechen. Viel von ihrer kinetischen Energie verdankt die tanzbarste Rockplatte/rockendste Tanzplatte des Jahrtausends ihren prickelnden Gegensätzen. Schweinscoolness und Hitzköpfigkeit. Reduktion und euphorischer Überschwang, bubenhafter Charme und Glam-Arroganz, Zickigkeit und Pop-Schmeichel. Eine Feelgood-Platte mit scharfen Kanten, hier das Zuckerbrot der catchy Melodien und Kapranos‘ trockengeschmeidiger Stimme, da die pieksenden Peitschenhiebe aus extrem pointierten Riffs und einer verschachtelten, galoppierenden Rhythmik, die ein Rei ßen in den Knien verursachten, dem nachgegeben werden musste. Abgehen als Imperativ! Glasgow ruft, wir folgen gern. Und das schönste deutsche Wort ist, verdammt, nicht „Habseligkeiten“, sondern sehr eigentlich doch „Lachsfisch“.