Blind Date

Humpe & Humpe: „Annette hatte die Schnauze voll davon, alles mit mir zu machen“

Wir trafen Annette und Inga Humpe zum ausgiebigen Audio-Streifzug durch ihre Karrieren.


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Annette und Inga Humpe sind seit den frühen 80ern die Chef-Architektinnen deutschsprachiger Popmusik. Mit den Neonbabies traten sie die NDW los, auf der sie in unterschiedlichen Bands wie Ideal und DÖF ritten. Dennoch sollten sie ihre größten Erfolge erst im 21. Jahrhundert feiern, mit den Duos Ich + Ich und 2raumwohnung. Wir trafen die Schwestern zum Musikhören in der Stadt, der Ideal schon 1980 ein Denkmal gesetzt hatten: Berlin.

Neonbabies – „Blaue Augen (Live 1981)“

Inga Humpe: Da singe ja ich! Die Version habe ich noch nie gehört.

Ursprünglich war das ein Song eurer gemeinsamen Band Neonbabies, ein Hit wurde es aber erst in der Fassung von Annettes Nachfolgegruppe Ideal.

Annette Humpe: Das ist mein Song, den ich geschrieben habe. Zunächst habe ich ihn gesungen. Dann wurde Ideal gegründet und die Männer bei Ideal waren sehr eifersüchtig darauf, dass ich in zwei Bands singe. Das wollten die nicht. Meinetwegen wäre ich in beiden Bands geblieben. Ich habe dann meinen Song mit rübergenommen und in dieser Zwischenphase muss ihn Inga gesungen haben.

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Du musstest dich bei Ideal also einer Mehrheitsentscheidung fügen?

Annette: Ja, F.J. (Ideal-Gitarrist Frank­ Jürgen Krüger – Anm.) und Hansi (Drummer Hans-Joachim Behrendt) haben gesagt, ich könne nicht bei den Neonbabies und ihnen sein. Danach haben sie sich geöffnet und Inga angeboten, auch zu wechseln. Aber ich wollte das allein machen.

Das klingt nicht ganz easy.

Annette: War es nie und wurde es auch nie.

Inga: Am Anfang wollte da auch jeder seine eigene Identität. Und Annette hatte wohl auch die Schnauze voll davon, immer alles auch mit mir zu machen.

Ideal – „Keine Heimat“ (1982)

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Zeitgemäßer könnten Songtexte kaum sein, oder? „Der Mann aus Übersee / Die Amis kommen / Oder kommen die Russen? / Keine ­Heimat / Wer schützt mich vor ­ Amerika?“ Das stammt von 1982!

Annette: Den könnte man heute wiederveröffentlichen. Sag das doch mal dem Typen von der Plattenfirma!

Trio — „Da Da Da“ (1981)

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Annette, hier singst du Backing Vocals. Was macht das mit einem, zu beobachten, wie sich dieser irre Song zu einem Welt-Hit entwickelt?

Annette: Gar nichts. Ich habe da weder mitgeschrieben noch arrangiert. Stephan (Remmler – Trio-Sänger; Anm.) hatte mich gefragt, ob ich da mitsingen will.

Im Video dazu wirst du erstochen, Annette. Wie kam es dazu?

Annette: Dieter Meier von Yello war Regisseur, eine typische Männerfantasie …

Inga: Wo wirst du denn da erstochen?

Annette: Ich spiele eine Kellnerin in einer Kneipe, Stephan haut mir machomäßig auf den Po, ich zeige ihm den Mittelfinger, woraufhin Stephan ein Messer zückt und mir in den Rücken schmeißt. Ich beiße dann auf eine Blutkapsel und spucke Blut.

Inga: Das habe ich nie wahrgenommen.

Annette: Heute hätte ich gesagt: „Spinnt ihr? Das mache ich nicht.“

Weil du blutend weitersingst, steckt vielleicht eine Geste feministischer Widerstandskraft drin?

Annette: Nix! Es ist von vorne bis hinten, wonach es aussieht.

Jetzt kommt meine früheste­ Kindheitserinnerung …

Annette & Inga: Wir wissen schon, was es ist!

DÖF — „Codo“ (1983)

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Inga: Genau! Das aufzunehmen, war für uns einer der größten Spaßmomente.

Als Kind musste ich mir bei den Rammstein-artigen „Ich bin der Hass“-Strophen immer verängstigt die Ohren zuhalten und auf den himmlischen Refrain warten.

Annette: Das war zusammen mit zwei Comedians aus Österreich: Josef Prokopetz und Manfred Tauchen. Die hatten den Refrain schon und ich als Produzentin hatte mir dann gedacht: „Das ist zu süß! Dem muss ich etwas Hässliches entgegenstellen, da muss ein Kampf entstehen, Liebe gegen den Hass.“

Dann ist der Frauen-Part also von Männern geschrieben und­ andersherum? Sensationell!

Annette: Genau, das Süßliche ist von den Jungs.

Um die Urheberschaft der Refrainmelodie gab es 1983 einen Rechtsstreit, da das Lied nach Ansicht des DDR-Songwriters Holger Biege auf sein „Küss mich und lieb mich“ zurückgehe. Biege klagte und verlor. Wie stressig war das damals?

Annette: Ich hatte da keine Angst. Der saß in Ost-Berlin, hinter der Mauer, und behauptete, wir hätten heimlich Ostradio gehört und das von ihm geklaut. Das ist natürlich Quatsch gewesen. Der tat mir aber auch leid, der war ein Star in der DDR und ging dann nach der Wende unter.

Humpe & Humpe – „Yama-Ha“ (1985)

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Mit so Kauderwelsch-Japanisch käme man heutzutage wohl nicht mehr durch, oder? Stichwort­ kulturelle Aneignung.

Inga: Das wurde damals auch nicht im Radio gespielt. Es hieß, das wäre Schleichwerbung.

Annette: Aber „MfG“ von den Fantastischen Vier mit seinen ganzen Markennamen war 15 Jahre später kein Problem.

Inga: In Japan kennt man das allerdings. Darauf bin ich dort mal angesprochen worden.

Eigentlich singt ihr hier als Duo auf Englisch. Wie kam es zu dem Move?

Inga: Deutsch haben wir damals bewusst vermieden, die Sprache war von der NDW plattgeklopft.

Wie habt ihr die Kommerzialisierung der Revolution, die ihr mit initiiert hattet, erlebt?

Annette: Das ist doch im Kapitalismus immer so: Etwas hat Erfolg und wird ausgeschlachtet – hat mich nicht gewundert.

Inga: Aber getroffen hat’s mich schon.

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Ich + Ich feat. Rhythms del Mundo — „Vom selben Stern“ (2008)

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Annette: Ach, das ist diese kubanische Version, die habe ich gar nicht so auf dem Schirm, obwohl ich für die Neueinspielung auf Kuba dabei war. Das Original gefällt mir besser. Die Reise dahin war schön, das Essen allerdings nicht lecker.

Die Harmoniegesänge erinnern an „Codo“ – war das Absicht?

Inga: Das ist Adel (Tawil, Sänger bei Ich + Ich – Anm.) damals auch aufgefallen – ja, das ist ein Zitat.

Udo Lindenberg feat. Inga Humpe — „Ein Herz kann man nicht reparieren (MTV Unplugged)“ (2011)

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Annette: Das haben wir geschrieben – Udo wollte das zuerst nicht singen.

Inga: Ihm war das zu negativ. Aber am Schluss gibt es doch diese positive Umkehrung.

Annette: Die ist von ihm! Er wollte nicht, dass das Lied schlecht ausgeht.

2011 war das erneut ein Hit. Erstaunlich, dass ihr mit euren Projekten immer neue Generationen erreicht.

Inga: Das war nicht beabsichtigt.

Annette: Doch, von mir aus doch.

Inga: Man macht halt interessante Musik, aber doch nicht mit Hinblick auf …

Annette: Ich möchte nicht interessant sein. Ich möchte kommunizieren, immer.

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Annette Humpe wurde 1950 in Hagen geboren, ihre Schwester Inga sechs Jahre später. Mitte der 70er-Jahre zogen sie nach Berlin und gründeten dort die New-Wave-Band Neonbabies, aus denen Ideal um Annette hervorgingen. 1985 taten sie sich für zwei Alben als Humpe & Humpe zusammen. Inga Humpe firmiert seit 2000 mit ihrem Lebensgefährten Tommi Eckart als 2raumwohnung, Annette tritt als Produzentin von u.a. Die Prinzen, Rio Reiser und Joachim Witt und an der Seite von Adel Tawil als Ich + Ich in Erscheinung. Nun wurde ihr gemeinsames Album von 1985, HUMPE HUMPE, wiederveröffentlicht.