Hot Chip – Made in the dark
For Rockers, Ravers, Lovers and Sinners: Mehr Nerdism, mehr Elektronik auf dem dritten Album der Electropopper aus London.
Vielleicht gehört das ja zum higher concept. Man musste bei den ersten beiden Hot-Chip-Platten jeweils einen Eröffnungstrack überstehen, der aus den verschiedensten Gründen schwer zu ertragen war, bevor es dann – wie wir Musikwissenschaftler uns ausdrücken – ans Eingemachte ging. „Out At The Pictures“ heißt der Eröffnungssong von made in the dark, und der nervt mit einem fiesen Synthesizerriff, aus dem dann eine Art hochgepitchter Electro-Metal-Song erwächst – die schludrige Karikatur eines Hot-Chip-Songs im Zeitraffer – mit allen Zutaten, inklusive Holzhackerbeats, der joy of repetition und der charmanten, stolpernden Vorläufigkeit, die den Tracks dieser Band manchmal anhaftet. Wer den Song überstanden hat, ist dann aber drin im neuen Album der Electropopper aus London.
Was das zweite Hot-Chip-Album the warning für manche zur Platte des Jahres 2006 gemacht hat, war ja diese unverschämte Attitüde, mit der die fünf Londoner sich selber freigegeben hatten zur absoluten Vereinnahmung für die verschiedensten Tribes im Mainstream der Minderheiten – war das jetzt Indie, oder Electro oder Folk oder Soul? Das Konsensmodell Hot Chip sorgte für Verwirrung, für das Gefühl der Unmöglichkeit der Kategorisierung dieser Band. Wer the warning geliebt hatte, war davon überzeugt, Hot Chip hätten die Platte nur für ihn gemacht. Diese Band gehörte jetzt allen und damit niemandem. Größtmögliche Freiheit durch größtmögliche Diversifizierung und Breitenwirkung. Den Konsens auf eine breite Basis stellen, ohne einen Gedanken an die Konsensfähigkeit der Musik zu verschwenden, das macht ihnen so schnell keiner nach.
In der Zwischenzeit ist einiges passiert. Ein paar umjubelte Tourneen der Nerdvereinigung aus London, ein dj-KiCKS-Mix, der die beiden Fraktionen innerhalb der Band (Dance/Pop/Soul und Minimal-Techno) hübsch gegeneinander laufen ließ und zwei Remixe für Kraftwerk, die auch irgendwie registriert haben mussten, dass Hot Chip die Band der Stunde ist. Eine hervorragende Ausgangssituation für Album Nummer drei. Es scheint, als habe der Nerdismus auf made in the dark die relative Mehrheit erzielt, was im Oktober letzten Jahres schon aus der Vorabsingle „Shake A Fist“ herauszulesen war. Ein Hot-Chip-Popper mit Kopfstimme, orientalischen Ornamenten und einem schweren tribalen Beat, inkl. Todd-Rundgren-Sample – nach knapp zwei Minuten dann der Break, die Stimme von Alexis Taylor, der dir was von „Sounds of the Studio“ erzählt, woraufhin eine Leistungsschau der wundersamsten Synthiesounds beginnt, die in ihrer Seltsamheit nicht unbedingt zur Tanzbarkeit des Tracks beitragen. Die zweite Single „Ready For The Floor“, ein vollelektronischer Pophit mit einer Synthhookline, die an die in „The Day Before You Came“ von Abba erinnert, wird in spätestens zwei Monaten auf den einschlägigen Tanzböden mit Erkennungsjubel bedacht werden. Dann: „We’re Looking For A Lot Of Love“, textlich wie auch musikalisch das Update von Marvin Gayes „Sexual Healing“, das Hot Chip vor zwei Jahren gecovert haben. Es gibt klobige Heavy-Rock-Gitarren („Bendable Poseable“) auf diesem Album, die aber nur als Verzierungen dienen in einer elektronischen Extravaganza aus den zirpenden Sounds von rückwärts gespulten Tapes, schweren Basslines und Kinderliedmelodien aus der Hölle. Der Titelsong „Made In The Dark“ kommt mit der Lässigkeit einer End-70er-Ballade von Marvin Gaye. Überhaupt hat es im Mittelteil des Albums viele Songs, die man als Balladen bezeichnen darf – Introspektion ohne Jammerlappigkeit. In „Wrestlers“ dann die abgebremste Fantasie über HipHop mit Willie-Nelson-Namedrop.
Das erste Hot-ChipAlbum Coming on sthong war im Jahr 2004 lediglich das Versprechen auf eine schillernde Pop-Zukunft, das dann zwei Jahre später von the warning eingelöst wurde, made in the dark ist trotz der eklektizistischen Anmutung (Songschleicher mit gospelnder Orgel, electrofizierter Country, die Rückholung von R’n’B auf die gute Seite, das Update von 70s Soul und Funk, die Durchdeklinierung der aggressiven Seite des Electro-Rocks, die Übertragung von Minimal-Techno-Konzepten auf Liveband-Bedingungen) viel mehr ein „elektronisches“ Album, als es the warning gewesen ist. Dass sie aber trotzdem alle „ja“ dazu sagen werden, die Rockers, Ravers, Lovers and Sinners, die mit der Vorliebe für „handgemachte“ Musik, liegt an diesen Melodien, die Hot Chip nur so aus dem Ärmel zu schütteln scheinen, sehnsüchtig, hymnisch und hundert Prozent Pop. VÖ: 1.2.
>» www.hotchip.co.uk
Discographie:
2003 Down With Prince EP
2004 Playboy EP (beide Moshi Moshi)
2004 Coming On Strong (V2/Universal)
2006 The Warning (Labels/EMI)
2007 DJ-Kicks (IK7/Rough Trade)
2008 Made In The Dark (Labels/EMI)