Hole


Es war eine harte Woche für Courtney Love gewesen. Ausgerechnet am Valentine’s Day hatten ihr unbekannte Übeltäter den Verlobungsring geklaut, den ihr Kurt Cobain geschenkt hatte. Und obwohl ihr Hotel eine Belohnung in Höhe von 10.000 Dollar ausgesetzt hatte, blieb das rubin- und diamantbesetzte Erinnerungsstück verschollen. „Mögen die Schufte in der Hölle schmoren“, hatte Courtney noch zwei Tage später auf einer Internet-Pressekonferenz vom Backstagebereich des Roseland gewettert, dann stieg sie auf die Bühne: Nach einer MTV-Unplugged-Session und einer ersten Show im Roseland das dritte Konzert vor ausverkauftem Haus.

Dennoch, von Müdigkeit oder Lustlosigkeit war an diesem Abend nichts zu spüren. Zusammen mit ihrer Band Hole — Gitarrist Eric Erlandson, Schlagzeugerin Patty Schemel und Neuzugang Melissa Auf der Maur, die Heroinopfer Kristen Pfaff am Bass ersetzt — legte Frau Love einen 100-Minuten-Gig hin, der zeigte, warum ihr immer noch aktuelles Album ‚Live Through This* vom New Yorker ‚Village Voice‘ zur besten Platte, und Hole zur besten Live-Band des Jahres ’94 gekürt wurde. Hole, und besonders Bandchefin Courtney Love, bekamen in letzter Zeit aber nicht immer nur Lob ab, sondern mußten vor allem auch Prügel einstecken. Egal was Courtney anstellt, sei es auf einem Flug in Australien Streit mit Stewardessen anzuzetteln, ein Techtelmechtel mit Lemonhead Evan Dando anzufangen, oder im Online-Service Internet einen Furz zu lassen: Am nächsten Tag zerreißt sich die Klatschpresse darüber das Maul. Eine Band aus Olympia, Washington, benannte sich nach der „Schlampe Courtney Love“, und Babes In Toyland schrieben einen Song über sie mit der vielsagenden Zeile: „I hope your insides rot/Liar, liar, liar“. Zuletzt stimmten sogar Kurt Cobains ehemalige Grunge-Kameraden Mudhoney in den Anti-Love-Chorus ein, indem sie auf ihrem neuen Album ‚My Brother The Cow‘ Courtney fragen „Why don’t you blow your brains out, too?“ Doch die Zeit hat Courtney Love abgebrüht werden lassen. So zeigt die Dame an diesem Abend in New York, daß sie mit ihren Feinden leben kann. Unbeeindruckt präsentiert sie sich als die Postpunk-Diva der 90er. Zwischen den Songs läßt sie das Publikum an ihrem Privatleben teilnehmen, flucht einmal mehr über die Hoteldiebe und erklärt die Fehde zwischen ihr und Trent Reznor von Nine Inch Nails als beendet. Dem verblichenen Ehemann Cobain huldigt sie mit zwei Songs, dem Carole-King-Cover ‚He Hit Me (It Felt Like A Kiss)‘ und ‚Drown Soda‘, einem Lied, das Cobain geschrieben, aber nie aufgenommen hatte. Zum Ende der Show zeigt Courtney dann, woher sie die Kraft zum Triumphieren nimmt. Nach dem obligatorischen Dive von der Bühne ins Publikum, schleppt sie sich mit hochgerutschtem Rock zurück ans Mikrofon, und schreit: „You guys pick up every stitch. Must be the season of the witch“, eine Strophe aus Donovans ‚Season Of The Witch‘. Courtney sieht sich also selber als Hexe. Aber sie ist nicht bereit, ohne Gegenwehr auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Statt dessen kämpft sie und bringt damit den Mob um das fragwürdige Vergnügen der Hexenjagd.