Wünsche Deinen Traum (jetzt): Was Jeff Bezos von den „Three Lions“ unterscheidet
Schön, dass Boris Johnson sich ärgert – und der erste Deoroller fliegt zum Mars. Die aktuelle Popismus-Kolumne von Josef Winkler.
Willkommen beim Hirnflimmern, wo wir uns gerade wieder Anmachsprüchen der Konsumindustrie erwehren müssen. „Wünsche sind zum Erfüllen da, Josef Winkler“, schreibt Ebay. „Du kannst mich an der Pupe schmatzen, Ebay“, würde Winkler gern zurückschreiben, aber das ist ja alles „no reply“. Außerdem: „Wünsche erfüllen“, wie das schon klingt! Wer heute was auf sich hält als Highlevel-Endverbraucher, der hat keine Wünsche, sondern „Träume“, und die erfüllt man sich nicht wie irgend so ein Mittelstandsspießer, sondern die „lebt“ man! Das hat Klasse! Das klingt BIG!
Wie bei Jeff Bezos. Der wünscht sich auch nicht einfach so schnöd ein neues Set Platin-Golfschläger oder eine Haartransplantation oder dass die Menschen, die ihm seinen Reichtum erwirtschaften, faire Arbeitsbedingungen haben oder ein Ende des Hungers auf der Welt – alle diese Dinge könnte er ja mit mehr oder weniger kleinen Bruchteilen seines Vermögens Realität werden lassen. Aber er wünscht sich nicht so uncooles Zeugs. Nein, Bezos träumt davon, der erste menschliche Deoroller im Weltall zu sein! Und diesen Traum will er jetzt leben. Es gibt ja Leute, die sagen: „Nur zu, Jeff! Mach die Düse!“, und fragen, ob er nicht gleich eine Mars-Mission unternehmen mag? Oder sich mit Elon Musk einen packenden Wettlauf zum Jupiter liefern? Und während sie unterwegs sind, schön enteignen und mit der ganzen Kohle die Erde retten. Sie sehen: Ich bin schon auch so ein Träumerle, hin und wieder.
Vielleicht kriegen die Engländer demnächst auch das mit der rassistischen Hetze gegen ihre Spieler in den Griff
Ein anderer Traum ist geplatzt: Die Engländer haben’s wieder nicht geschafft bei der EM. Aber hey, ich finde, es geht voran. Beim Finale haben sie schon die gegnerische Hymne nicht mehr laut ausgebuht. Vielleicht kriegen sie demnächst auch das mit der rassistischen Hetze gegen ihre Spieler in den Griff. Und dann irgendwann mal ein paar Elfer ins Tor. Mal ehrlich: Was war denn popkulturell das Unterhaltsamste am englischen Fußball in den letzten Jahrzehnten? Exakt: Das ritualisierte Gejammer darüber, dass sie keinen Titel gewinnen. Oder präzise: Der Song „Three Lions“ von den Lightning Seeds.
„Thirty years of hurt“, mittlerweile sind’s schon 55 und in fünf Jahren „sixty“, da funktioniert’s dann vom Versmaß wieder, dann
sollen die den Song mal neu auflegen. Warum ich so leichten Herzens Späße mit dem englischen Fußball-Heartbreak treibe? Weil wir jetzt keine Bilder von Boris Johnson ertragen müssen, wie er sich mit seiner blöden Brexit-Frise an Fußballeuropameister ranwanzt. Stattdessen dürfen wir uns vorstellen, wie er sich ärgert, dass ihm diese Gelegenheit, sich in eine populistische Wohlfühlsuhle zu legen, versagt bleibt. Irgendwie erhöht mir das die Lebensqualität im Sommer 2021. Ich lebe den Traum.