Hinter all diesen Türen


Tourkoller in Krefeld, "Mediendepression" in Freiburg und kein Bananensaft am Büffet: Auf Tournee mit Tomte lernt ME das harte Leben "on the road" kennen „Gejammert wird nicht, sagt Thees. "Ich würde mich sonst selbst so hassen."

Freiburg, Dienstag 15:45 Uhr

Kurz vor dem Soundcheck im Jazzhaus: Rock n’Roll-Alltag, ungeschminkt. Tourleben, das in keiner Tour-Doku auftauchen wird, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit über das Leben on the road: Thees Uhlmann löffelt Kartoffelsuppe. Gitarrist Dennis Becker liest ein gutes Buch. Timo Bodenstein sitzt bereits auf der Bühne und drischt seit zehn Minuten gleichmäßig und ohrenbetäubend auf die Snaredrum ein, um in Abstimmung mit den Technikern den perfekten Drumsound zu finden. Bassist Olli Koch streift etwas ziellos durch die leeren Gewölbe, und kein Mensch weiß, wo Gitarrist und Keyboarder Max Martin Schröder ist. Die Veranstalterin vom lazzhaus eilt herbei. „Da sind welche, die ein Interview machen wollen „, berichtet sie aufgeregt und blickt etwas unsicher von einem zum anderen. Schließlich wendet sie sich an Thees. „Ist jemand von Tomte hier?“ thees (schroff): „Nein, sindalle im Hotel, die Arschlöcher.“

Veranstalterin: „Diesagen, daßdas mit dem Manager abgesprochen ist.“ THEES: „Können sie vergessen. Der Sänger ist heiser.“

VERANSTALTERIN (zögerlich): „Vielleicht der Schlagzeuger, der muß ja nicht so viel singen?“ thees: „Der Schlagzeuger gibt beschissene Interviews. Hol die Typen her. Ich muß nur schnell eine Karte fertigschreiben.“

Drei Buben von einer Freiburger Realschule werden hereingeführt. Sie setzen sich und schauen grinsend zu, wie Thees eine Postkarte an seinen Neffen schreibt. „Schlagzeugsoundcheck nervt“, sagt er schließlich und legt den Stift beiseite. „Überhaupt streit ich mit dem Schlagzeuger seit drei Wochen. Er haßt mich, aber er kann nicht ohne mich leben. Ich würde mich auch hassen, wenn ich bei Tomte spielen würde. Wollt ihr’n Bier?“ Die drei Schüler lachen unsicher und schütteln den Kopf. „Was dann? Bionade?“ Man einigt sich auf Cola und geht nach draußen, wo es ruhiger ist. Thees gibt ihnen das längste Interview in der Geschichte der Schülerzeitung.

16:55 Uhr

Viermal in Folge ertönt Phoenix „Everything Is Every thing“, mit dem die Tonmischer den Sound der Anlage einstellen. Als sie zufrieden sind, ru fen sie Dennis auf die Bühne. Während der Mann am Mischpult Knöpfchen dreht, spielt der Gitarrist Akkorde, improvisiert mit wechselnden Effekteinstellungen und baut immer wieder Classic-Rock-Riffs vte dSsThema von „Owner Of A Lonely Heart“ und „Venus“ ein. Er hat beste Laune, denn in der Nacht, die man nach einem Off-Day ohne Konzert statt im Tourbus im Hotel verbracht hat, hat er „Laola“ geschaut und danach „geschlafen wie eine Oma „.

Ein Stockwerk höher schreibt Thees seinen Namen auf Taschen und Federmäppchen von 14jährigen lndiemädchen. Er hat „Mediendepression“, da er eben informiert wurde, daß noch Interviews mit zwei Radioteams anstehen. Beide, stellt sich heraus, sind von Radio Dreyeckland, doch sie bestehen aufgetrennte Gespräche. Leicht irritiert bittet der Tourmanager um eine Erklärung, doch Thees winkt die erste Gruppe der Reporter bereits zu sich. „Wollt ihr’n Eier? Über was sprechen wir?“ Die jungen Journalisten sind hochmotiviert und lesen lange, komplizierte Fragen voller Querverweise und Anspielungen vor. Thees spricht konzentriert, offen und direkt. Radio Dreyeckland erfährt, daß „Tomtefrüher jahrelang kurz vorder Auflösung“ standen und daß er nach hinter all diesen Fenstern „eineinhalb Jahre nichts auf dem Herzen“

hatte, weshalb er auch keine Songs schreiben konn te. Als ihm Zeilen aus einem Buch vorgelesen werden, erkennt er diese sofort als Zitat aus Astrid Lindgrens „Tomte Tummetott“. „Das hat mich als Kind tief berührt. Lies das nochmal vor“, sagt er begeistert. ,“In einer solchen Nacht geben die Menschen acht, daß das Feuer im Herd nicht erlischt‘? Das ist spitze. Da kann sich Kracht ganz weit hinten anstellen, der Arsch.“ Wenig später wird Thees wütend, denn die Reporter erzählen ihm von einer schlechten Kritik, die eine große Tageszeitung gedruckt hat. „Wenn man Tomte scheiße findet, wird’s meistens boshaft und persönlich. Das find ich auch interessant“, sagt er und wird auf der Stelle selbst persönlich. Er verteidigt seine Band und vor allem sein Publikum – über das sich der Kritiker offenbar milde abfällig geäußert hatte – und bedenkt den Schreiber mit einigen überraschend ordinären Kraftausdrücken. Als er bemerkt, wie zornig er geworden ist, schweigt er einen Moment, um sich zu fassen. „Dem Kritiker schick ich 20 Internet-Hook vor die Tür“, sagt er abschließend und grinst.

21:25 Uhr

In einem wenigglaSiouriasen Racksugebereich – einem etwa vier Quadratmeter großen Raum mit einer durchgesessenen Couch, einem Kühlschrank und beschmierten Wänden – werden die Gespräche aufgeregter und das Lachen lauter. Thees wechselt Hemd und Hose, redet viel Quatsch und wärm t dazwischen mit kurzen tähihs etwas halbherzig seine Stimme auf. Timo lockert seine Handgelenke. Der Club ist voll (ob wohl es an der Abendkasse noch einen Stapel Karten gab), als Tomte auf die Bühne kommen. Der Empfang ist freundlich, die Stimmung ist gut. Nach einigen Songs fordert jemand in den hinteren Reihen „Pantera„. „Spielen wir nicht mehr, jetzt wo der Gitarrist erschossen wurde“, sagt Thees sofort. „Tocotronicspielen ja .Michael Ende…’auch nicht mehr. Kleiner Querverweis. Nach fünf Flaschen Rotwein backstage noch voll auf der Höhe in Sachen Popkultur. Oder wie ich immer wieder gerne saqe: Hut ab vor mir selbst.“

22:40 Uhr

Thees ist in Erzähllaune. Mit Freiburg, berichtet er, verbindet er eine frühe Erinnerung: Im Urlaub mit Eltern und Verwandten habe er als Sechsjähriger hier unbeaufsichtigt „The Shining“ im Fernsehen gesehen, worauf er drei Stunden lang nicht einschlafen konnte. „Die Axt und alles – Eheprobleme waren damals für mich ja noch ein grünes Feld“, sagt er. Das Publikum freut sich, weshalb Thees zwei Songs später noch erzählt, wie er im Alter von zwei Jahren seinem Schlagzeuger eine Kiste Lego über den Kopf geschüttet hat. Olli Koch nutzt die Gelegenheit, um seinen Baß abzulegen und kurz backstage zu verschwinden.

23:30 Uhr

Die meisten Leute im Jazzhaus strahlen, nicht aber die Künstler. Obwohl das Publikum ein musikalisch wie menschlich beglückendes Tomte-Konzert erlebt hat, sind einige Bandmitglieder backstage regelrecht aus dem Häuschen. Dennis hält den Auftritt für „das schlechteste Konzert der Tour“, weil „die erste Show nach einem Off-Day immer scheiße“ ist, und überhaupt. Auch Thees ist ganz und gar nicht zufrieden damit, wie der Abend gelaufen ist. Eine Gitarrenbox ist mitten im Konzert kaputtgegangen, und außerdem ist er sauer, daß es weder ihm noch all seinen Kollegen gelungen ist, über 120 Minuten bei der Sache zu bleiben. “ Wenn ich was anders machen könnte, dann müßten die wegen mir die Architektur der Clubs ändern „, sagt er. „Ich hasse es, von der Bühne die Garderobe zu sehen. Da kuckst du immerhin, ob Leute bei der Zugabe schon ihre Mäntel holen. Da stehen dann zwei, und du denkst: ,Ach, die müssen bestimmt nur auf eine Party oder so‘. Das macht mich nervös.“ Später, als das Adrenalin abgebaut ist, kommt ihm noch was in den Sinn.“.Ich könnte auch zornig darüber werden, daß es manchmal vorkommt, daßeineraufs Klo muß“, sagt er ruhig. „Aber irgendwie ist das auch geil: Du bist auf Platz vier in den deutschen Charts, und einer muß während des Konzerts mal eben pinkeln. Ist halt ziem-» reportage

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lieh unverhrampftbeiTomte. Ergrinst, macht ein Bier auf und geht nach draußen in die Halle, um noch ein bißchen mit den Leuten zu plaudern.

Mittwoch, 0:55 Uhr Abfahrt nach Krefeld. Aller Unmut ist verflogen – Feierstimmung im Tourbus. Noch vor der Autobahn werden Bierflaschen geöffnet und belegte Brötchen aus einer IKEA-Tüte verteilt. Niemand nennt den anderen beim Namen, es zählt nur die Funktion. „Monager, gibt’s noch ein Sandwich ohne Schinken?“, „Schlagzeuger, hast du Bier?“ etc. Zudem ist alles „rein“: Die Tiramisu am Büffet war „die reine Sünde“, und notiert der Autor dieser Zeilen Eindrücke in seinem kleinen Büchlein, ist er „der reine Journalist“. Das Schimpfwort der Woche ist „Hugendubel“.

1:45 Uhr „Der Bassist ist in Diskutierlaune und hat „den Schlagzeuger“ in ein hitziges Streitgespräch über linkes Radio in Hamburg verwickelt. Meistens redet Olli Koch, vor allem dann, wenn Timo etwas zu erwidern versucht. „Du verstehstmich nicht“, sagt Timo schließlich frustriert. „Da komm ich nicht gegen dich an. Du bist ein Panzerkreuzer.“Kurz nach Karlsruhe haben sich die Gemüter beruhigt. Tomte erleben ihren eigenen „Almost Famous“-Moment: Wieder versöhnt und reichlich angetrunken werden gemeinsam „Überraschungstüten“ geplündert. In einer sind vier Fußballerbildchen und ein Vereinswappen. Es ist „ohne Scheiß, dasgibts doch nicht?“ -von St. Pauli. Die Freude ist unbeschreiblich.

5:15 Uhr Alle schlafen, bis auf den „Journalisten“. Er liegt leicht angetrunken, aber hellwach in seiner winzigen Koje im ersten Stock des Tourbusses und macht Notizen.

„Füße undKopfstoßen an ; „JedeBrückenschwellejede Unebenheit ein Schlag in die Rippen „; „Eisige Luft aus der Klimaanlage trocknet die Schleimhäute aus “ etc. Ist er nicht hart genug für den Rock’n‘ Roll?

8:20 Uhr Ankunft in Krefeld. Nach und nach öffnen sich die Vorhänge, und verknittert aussehende Menschen kriechen aus ihren Betten. Die Kulturfabrik liegt etwas abseits des Zentrums. In unmittelbarer Nachbarschaft: riesige betonierte Parkplätze, leerstehende Fabrikhallen und Schlachthof-Betriebe. Aus der Hippiestadt Freiburg, dem San Francisco Deutschlands, ging es über Nacht direkt in sein Detroit.

Die Veranstalter haben bereits die Halle aufgesperrt. Der Backstage-Bereich ist größer als in Freiburg, gemütlicher aber ist er nicht. Bis auf einen schmalen Gang mit einem liebevoll angerichteten Büfett gibt es überall nur kalte, kahle Räume, an deren Wände zahllose Bands mit schwarzem Edding Dummheiten geschmiert haben. Unterhaltsam ist lediglich ein Besuch auf der Toilette: Wer sich im Stehen erleichtert, muß dabei „Seeed sieht dein Glied“ lesen.

13:45 Uhr Die Wäsche ist gewaschen, die Akkus in der Playstation sind leer, und der freundliche (und taube) Hund des Hauses hat keine Lust zum Spielen mehr. In der Halle ertönt Phoenix‘ „Everything 1s Everything“. Olli Koch holt sein Rad aus dem Anhänger und macht sich auf die Suche nach einem Hallenbad. Der Rest der Band leidet längst an „Tourkoller“, erträgt die Langeweile aber im großen und ganzen stoisch. „Ich empfinde das nicht als hart, wirklich“, sagtThees, steht auf und schließt die Türe, da in wenigen Augenblick der Schlagzeug-Soundcheck beginnen wird. „Ich verweigere auch, mich zu beschweren. Wenn ich mich jetzt beschweren würde, würde ich mich selbst so hassen. Ich meine… auf so einem Konzert wie hier in Krefeld sind halti.ooo Leute. Da wird nicht gejammert., Oh je, das Bier ist nicht kalt, undauf der Liste steht doch Bananensaft. Und wo ist mein Ingwer, weil ich doch gerne Ingwertee trinke‘- nein, das kommt nicht in Frage.“

18:05 Uhr Kurz vor dem Abendessen tauchen The Kilians auf. Die Band aus Dinslaken wird herzlich begrüßt, denn sie hat zwei Wochen zuvor bei einigen Auftritten das Vorprogramm von Tomte bestritten. Sie spielen, wie man hört, „so Strokes-mäßige Songs „, die Thees so gut gefallen haben, daß er die Band eventuell zu Grand Hotel Van Cleef holen will. Die jungen Musiker-die Mehrheit hat noch kein Abitur – freuen sich über das Interesse, auch wenn ihnen der Rummel nicht ganz geheuer ist. Ein A&.R einer großen Plattenfirma hat für den nächsten Tag einen Besuch angekündigt und sie fragen etwas kleinlaut „was das bedeutet“. „Das bedeutet“, sagt Thees, „daß ihr gar nichts unterschreibt. Wer war das? Wer will mir hier meine Band wegschnappen? Ich kann mir schon denken, wer das war. Den ruf ich jetzt an und wasch ihm den Kopf, sagt er und zieht sein Handy aus der Tasche. „Mach ’s einfach nicht“, muß Olli Koch einmal, zweimal und dann ein drittes Mal in doppelter Lautstärke sagen, bevor Thees mit einem halb beleidigten, halb unschuldigen Grinsen das Handy wieder verschwinden läßt. „Nichts wird unterschrieben „, sagt er noch mal und verspricht den Dinslakener Teenagern mit todernster Mine ein vielfaches von dem, was die großen englischen Plattenfirmen vermutlich im letzten Sommer den Arctic Monkeys geboten haben. The Kilians hören mit großen Augen zu, grinsen schließlich über beide Ohren und trinken dann sehr viel Bier.

21:35 Uhr Als die letzten Takte von „New York“ verklingen, gibt es kurzen Applaus, dann wird es wieder still im Saal. Im Gegensatz zu Freiburg wirkt das Publikum reserviert. Thees läßt sich nicht beirren, er sucht den Dialog. Nach fast jedem Song stellt er den stillen Krefeldern Fragen und erzählt persönliche Geschichten, die nicht immer eine Pointe haben und gerade deshalb irgendwann doch die Herzen der Zuschauer gewinnen. Schließlich tauen die Leute auf- sie werden emotionaler, euphorischer, klatschen im Takt und stimmen gegen Ende des Auftritts so laut in „Schönheit der Chance“ ein, daß Thees die Gitarre ablegt, die Arme ausbreitet und den Song mit 1.000 Stimmen a cappella nach Hause singt.

22:50 Uhr Die Menschen, die vor zwei Stunden noch furchtbar ernst ausgesehen haben, strahlen. Tomte haben mehr Zugaben gespielt als auf der Setlist standen, und Thees hat sich gleich danach unter die Leute gemischt. Als ihm der jüngste Fan vorgestellt wird – Bianca, sechs Jahre alt -, signiert er mit den Worten „Die Jüngsten sind die Größten “ ein kleines grünes Tomte-Shirt.

„Ich hob noch nie so gerne Musik gemacht wie auf dieser Tour“, sagtThees zwei Stunden später auf dem Weg von der Garderobe zum Bus. „Ich kann jetzt genießen, was ich mir immer gewünscht habe. Das hat langenichtso richtig geklappt-früher war das immer ein Kampf: Man wollte halt so gerne Tomte machen, aber die Welt war noch nicht bereit, oder die Leute haben’s noch nicht verstanden, oder wir waren noch zu scheiße. Deshalb erlebe ich die Abende jetzt auchganz intensiv undmeistens nüchtern. Das gibt mir mehr, als wenn ich besoffen meine Egoshow abzieh und am nächsten Morgen mit einem riesigen Kater aufwache. Ich saug das jetzt aus, bis zum letzten. Ich erleb z8 Tage, die ich mein Lebtag nicht mehr vergessen werde … „Es ist nach eins, als der Busfahrer die Türe schließt und „Kiel“ in das Navigationssystem eingibt. „50 Meter geradeaus“, sagt eine freundliche Stimme, „und bei der nächsten Ampel links.“

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