Herzenssache


Missverständnisse und Pannen: Das neue Album von ATLAS SOUND wäre fast gestorben. Bradford Cox entschied anders.

Sieht man von fliegenden Hunden und Kamelen mit Geburtstagskappen ab, ist das Cover zu LOGOS das wohl ungewöhnlichste Artwork des vergangenen Jahres. Es zeigt eine Aufnahme von Bradford Cox, nackt, sein Gesicht durch ein Blitzlicht verdeckt, seine Brust durch ein großes Loch dort entstellt, wo normalerweise das Herz ist. Bei dieser Aufnahme handelt es sich nicht etwa um eine Fotomontage: „Das bin ich mit 14. Meine Mutter hat es gemacht, bevor das mit den Herz-OPs los ging.“ Cox, hauptamtlich Sänger und Multiinstrumentalist von Deerhunter, leidet am Marfan-Syndrom, einer genetischen bedingten Schwächung des Herzmuskels.

„Ursprünglich wollte ich ein Foto von Will McBride nehmen, das einen nackten Jungen in einem Schrank zeigt, aber das schien mir doch zu riskant. Ich wollte nicht, dass man mich mal wieder für pädophil hält.“ Die Sorge rührt von einem Zwischenfall 2007: Cox postete in seinem Blog seine „fünf perfekten Boyfriends, und weshalb es nicht klappt!“ Ein Foto erschien einem Fan verdächtig, der den Eintrag daraufhin an mehrere Musik-Sites weiterleitete. Was eine gallige Antwort von Cox zur Folge hatte, in der er die Vorwürfe zurückwies, von seinem Missbrauch und seiner Sexmüdigkeit sprach. „Ich habe damals zu viel von mir preisgegeben“, sagt Cox heute. „Ich will meine Sexualität nicht mehr thematisieren.“ Die ganze Sache kommt ihm ohnehin zu durchsichtig vor: „Leute, die damit hausieren gehen, dass sie hetero sind, langweilen. Und die, die sagen, sie seien Homos, wollen nur Aufmerksamkeit.“

Die nächste Panne folgte umgehend: Als am 16. Juli 2008 ein Fan durch einen versehentlich geposteten Link in Cox‘ PC eindrang und LOGOS ins Netz stellte, verkündete der Sänger, dass das Album niemals erscheinen werde. „Ich war wütend und habe überreagiert. Als ich mich beruhigt hatte, entschloss ich mich, das Album doch noch fertigzustellen. Alles andere wäre inkonsequent gewesen.“ Nach einer Tournee mit Animal Collective, bei der auch das Duett „Walkabout“ mit Noah Lennox entstand, nahm Cox die Arbeit wieder auf. Von den zwölf Songs der Demoversion sind nur sechs geblieben.

Angesichts der Entstehungsgeschichte und des Artworks verwundert es, dass Cox es sein „unpersönlichstes Album“ nennt. „Früher ging es in meinen Texten immer um mich. Diesmal habe ich versucht, eine übergeordnete Erzählperspektive einzunehmen. Aber es ist auch viel Intimes dabei: ‚Attic Lights‘ ist ein Lied über meinen Freund Cole Alexander, von den Black Lips und unsere gemeinsame Jugend. Ich vermische das dann immer mit anderen Dingen – hier Anspielungen auf den Bürgerkrieg – aber es handelt von unserer Freundschaft.“ Es ist diese Mischung aus Schönheit und Abgründigkeit, die LOGOS zu einem kleinen Meisterwerk erhebt. Welche Illustration würde besser passen als ein nackter, von Krankheit gezeichneter Cox?