Henri Jakobs über neue Männlichkeit: „Vom Staat hätte ich mir als Trans-Person weniger Einflussnahme gewünscht“
„Schwuchtel, Transe, Missgeburt, Sprachverhunzer, Abtransport / Gendersternchen ohne Himmel, Männer brauchen große Pimmel“. In dem Song „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ parodiert Henri Jakobs den reaktionären Kommentarspalten-Zeitgeist. Das Stück erscheint auf „Bizeps“, seiner ersten Solo- EP, doch der Wahlberliner mit München-Hintergrund ist kein Newcomer. Mit dem Electro-Duo Tubbe veröffentlichte er bereits zwei Alben – seinerzeit allerdings noch als weiblich gelesene Person. Heute hat er die Transition zum Mann vollzogen.
Musikexpress: Bevor wir in deine Story eintauchen, Henri, mit dieser Frage vorgeprescht: Wenn eine Musikerin für einen Auftritt in den Club kommt, wird sie gerade von Technikseite oft anders behandelt als ein Typ. Kannst du das bestätigen?
Henri Jakobs: Ich kann alles, was man dazu weiß oder ahnt, unterstreichen. Mir wird jetzt anders begegnet und das ist natürlich eine Frechheit. Kommt eine Frau in den Laden und sie wird von einem Mann begleitet, dann wird sich auf der Sachebene grundsätzlich an den gewendet, während sie gerade noch den gefälligen Small-Talk abbekommt. Wenn ich heute mit demselben technischen Wissen wie damals den Club betrete, werden meine Aussagen plötzlich nicht mehr hinterfragt, wie ich das früher oft erlebt habe. Der Dude wird’s schon wissen, ist die Devise. Zum Kotzen.
In dem Podcast „Transformer“ hast du alles, was mit der Transition in einen männlichen Körper einhergeht, sehr offen dargestellt … Du wirkst darin oft lustig, mitunter albern, allerdings spürt man immer auch den Druck und die Ungewissheit. Wie schaust du heute auf diese Zeit des Umbruchs?
Besagter Weg ist natürlich unfassbar kräftezehrend gewesen. Irgendwann hatte ich aber den Gipfel der Anstrengung erreicht, also als der ganze bürokratische Irrsinn, die Anträge, die Gutachten abgeschlossen waren und ich mich nicht ständig vor allen sinnbildlich und wirklich nackt machen musste. Ab dann konnte ich entspannter den Berg runterwedeln, aber nichtsdestotrotz befindet man sich eben immer noch auf einem Berg, der immer wieder Schluchten öffnet. Zu kämpfen hat man vor allem mit drei Sachen: den Reaktionen der anderen, mit sich selbst und mit dem Staat, der einfach sehr präsent ist im Leben von Trans-Personen. Gerade von Letzterem hätte ich mir weniger Einflussnahme gewünscht, schön wäre dagegen mehr Aufklärung seitens der Gesellschaft. Aber langsam hält ein Wandel Einzug – das gibt Hoffnung.
Also haben auch Behörden mittlerweile ihre Sichtweise auf Geschlechteridentitäten aufgebrochen?
Nein, das möchte ich nicht sagen. Der Staat ist weiterhin behäbig und hängt jeder gesellschaftlichen Entwicklung hinterher.
Klaus Scheuermann, dein Bandkollege bei Tubbe, bezeichnete deine einst weibliche Stimme als „engelsgleich“. Sie war auch Markenzeichen eurer Musik. Die Hormontherapie, die du 2016 begonnen hast, hat allerdings sehr unmittelbar auf diese Einfluss genommen. Wie geht man damit um, als Sänger plötzlich anders zu klingen?
Ich habe viele Stücke transponieren müssen, also in eine tiefere Tonlage übersetzt. Doch wenn ich vorher wusste, wie ich einen bestimmten Ton zustande bekomme, dann war es plötzlich nicht mehr so – ich bin noch mal durch einen Stimmbruch gegangen und musste meinen eigenen Gesang ganz neu lernen.
Tubbe war ein Duo mit lesbischer und weiblich gelesener Frontperson, jetzt als Henri Jakobs wirkt alles auf den ersten Blick plötzlich normativ – ein weißer Dude, der auf Frauen steht. Wie bewertest du das?
Mir wurde in einer Diskussion mal an den Kopf geworfen, dass „aufgrund des Pakets, das ich gebucht hätte“ für mich nun die Regeln gelten würden wie für jeden anderen Cis-Typen, weil ich nun ja so privilegiert sei. Das halte ich für gefährlichen Unfug. Man sollte Menschen doch in ihrem Kontext betrachten und mit dem, was sie mitbringen.
Die Vergangenheit spielt also immer mit?
Auf jeden Fall, es gibt einfach zu viel von ihr. Außerdem ist es bloß ein Ausschnitt, wenn jemand ein Video von mir sieht und denkt: „typischer Typ, der zufrieden sein Lied singt“. Ich habe im Alltag mit Ärzten, Behörden und was weiß ich noch zu tun, wo dieses privilegierte Cis-Dude-Sein schnell auffliegt. Wenn ich im Freibad liege, kann jeder die krassen Narben sehen – okay, mittlerweile bin ich sehr tätowiert, um das zu verdecken. Und wie ist es im Fitnessstudio in der Umkleide? Es begleiten viele Gedanken und auch Ängste meinen Alltag, die anderen nicht bewusst sind.
Christina Wolf, die jenen Podcast über dich gemacht hat, bescheinigt dir, als Mann würdest du plötzlich breitbeiniger sitzen, mehr Raum auf Stühlen und Bänken beanspruchen …
Das sehe ich tatsächlich anders. Da spielt die Wahrnehmung der anderen eine Rolle. Ich war in meinem ganzen Leben nie besonders feenhaft, aber als ich damit dann als Mann in Erscheinung trat, wurde ich sofort auch anders „gelesen“. Bei vielen Dingen kann ich sagen: Ich habe mich gar nicht verändert, aber die Reaktionen auf mich sind nicht mehr dieselben.
Schreibst du jetzt andere Lieder, weil du als Mann auftrittst?
Vielleicht schon, aber nicht wegen meiner Form von Männlichkeit. Viel mehr konnte ich in den letzten Jahren gar nicht anders, als mich sehr stark mit mir selbst zu beschäftigen. Irgendwann konnte ich mich nicht mehr hinter Gags, Firlefanz und Traurigkeit verstecken, sondern habe mich freigelegt. Wenn man sich so begegnet, ändert sich dann zwangsläufig auch der Prozess, wie man Lieder schreibt – und worüber.
Und hat sich deine Bühnen-Persona verändert, seit du als Mann wahrgenommen wirst?
Nein, ich glaube bei meinen Auftritten … da ist nur der äußere Proll dem inneren Proll, der ich schon immer war, angeglichen worden.
Da schwingt eine große Befreiung mit, aber wie gehst du damit um, dass die Überbetonung einer „klassischen“ Männlichkeit auch unzeitgemäß empfunden werden kann? Was für ein Männerbild möchtest du verkörpern?
Für meinen Fall finde ich es stimmig und wichtig, eindeutig männlich auszusehen. Das ist das, was ich bin und womit ich mich wohlfühle, aber das muss natürlich nicht mein Verhalten bestimmen. Ich finde es toll, jetzt so einen Spitzen-Bizeps zu haben, aber das geht für mich nicht damit einher, den ganzen beschränkten Mackerschwachsinn mitzumachen oder dass ich überholte Rollenbilder forcieren müsste. Ich meine, ich backe ausgiebig und bringe stets süße Teilchen mit zu Treffen mit Freunden.
Über Henri Jakobs:
Der preisgekrönte Podcast „Transformer“ des BR begleitet Henri über zwei Jahre lang auf seinem Weg zum Mann – dazu gehören Behördenwidrigkeiten, Sorgen, Euphorie und die Neugier allerseits, ob er sich denn wohl auch einen Penis machen lassen würde?! Henri ist Mitte dreißig, als er sich auf diesen Weg macht. Heute lebt er in Berlin, veröffentlichte gerade auf dem Label Audiolith seine erste EP „Bizeps“, zudem arbeitet er an der Schaubühne und macht Synchronisationen.
Dieses Interview erschien zuerst im Musikexpress 10/2021.