Heinz Rudolf Kunze
Wir sind doch alles aufgeklärte Leute“ versicherte Kunze seinem Publikum vor ausverkauftem Haus. „Glaubt keinem Sanger!“ Aber vergeblich: Niemand ließ sieh davon abhalten, je nach Stimmungslage fleißig Fäuste oder Feuerzeuge zu recken, mit Wunderkerzen zu wedeln — und all den einschlägigen Budenzauber eines Rock-Groß-Ereignis konservativen Zuschnitts zu veranstalten.
Lange zurück liegen die Tage, da Heinz Rudolf vorwiegend allein am Piano seinem balladesken Randy Newman-Fimmel frönte, sich in lange literarische Lesungen verstieg und seine Zuhörerschaft zu mucksmäuschenstiller Aufmerksamkeit verdonnerte.
Heute präsentiert sich die selbsterklärte „deutsche Antwort auf Prince“ — süffisante Selbstironie, das! — als rockender Überzeugungstäter. Provoziert Hauruck-Mitklatsch-Orgien und ständige „standing ovations“ mit den angelernten Mitteln eines ausgekochten Unterhaltungsroutiniers. Ganz gemäß dem alten Kinks-Motto: „give the people what they want!“ Und die wollen offenbar unzeitgemäße, schweißnasse, breitbeinige Rock-Exzesse gestriger
Art. Biederen Good-Time-Rock n‘ Roll, simple Singalong-Refrains und stoisch gezimmerten Vierviertel-Beat. Garniert allerdings mil der stimulierenden Wortgewalt und dem sarkastischen Zynismus dieses talentierten Versschmieds.
So eröffneten Kunze und seine bewährte Verstärkung — plus zweier Gastmusiker. Martin Hoch (g) und Kristian Vogelberg (keyboards) — den Set der WUNDERKINDER-Tour mit einer muskulösen Version des Titelstücks, setzen die druckvolle Yuppie-Attacke „Dies ist Klaus“ dahinter und ließen ohne Atemholen das stürmische Credo“.Vertriebener“, den hymnischen Sentimental-Hit“.Mit Leib und Seele“ und die eingängige Detektiv-Mär „Finden Sie Mabel“ als Standard-Rock ’n‘ Roll folgen. Bevor dann Heinz Rudolf, ganz belesener Jung-Referendar und bissiger Zeit-Kommentator, als ersten Show-Stopper einen seiner bildungsbeflissenen, moralinenen Monologe abließ.
Sonst regierte in der Regel bodenständige Gitarren-Herrlichkeit. Saiten-Steuermann Heiner Lürig legte seine zerrenden Akkorde wie ein aristokratischer Souverän. Machte man in mollige Melancholie und gefühliges Pathos, schwelgte Martin Hochs Slide-Guitar in bittersüßem Schmelz. Die zartelnde Slow-Motion-Ballade „Ich brauch Dich jetzt“ ließ den kritischen Alternativen seiner Erwählten tief in die Augen blicken. Das eindrucksvoll inszenierte Tierversuch-Lamento „Kadaverstern“ — Zündung der Nebelkanonen! — ließ ihn an dem Kloß in seinem Hals herumwürgen. Selbstbestätigt konnte er applaudieren, wenn Wortkunst-Könner Kunze Kohl & Co. durch den satirischen Kakao zog. symbolische Feindfiguren beim Namen nannte oder mit brillanter Sprachakrobatik glänzte. Die rasante Fassung des Kunzeschen Mega-Hits „Dein ist mein ganzes Herz“ ließ ihn um Zugaben klatschen, und als die glücklich erschöpfte Band den altehrwürdigen Cretdence Clearwater-Knaller „Hey Tonight“ originalgetreu anstimmte und ihm die eingedeutschte Kinks-Hommage „Lola“ wohlige Wiedererkennungsschauer über den Rücken trieb, wußte er: Das ist meine Band!
Die WUNDERKINDER-Offensive macht klar: Um wie Kunze trotz schlechten Aussehens, linkischem Bühnen-Gehabe, unerotischer Ausstrahlung und kauziger Intellektuellen-Pose zum nationalen Pop-Helden zu avancieren, muß man musikalisch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückgreifen: rocken bis die Schwarte kracht!